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ACE-Hemmer und Covid

Wichtige Studie womöglich mangelhaft

Nach »The Lancet« hat auch das »New England Journal of Medicine« in einem ungewöhnlichen Schritt berechtigte Zweifel an einer veröffentlichten Studie zu Covid-19 eingeräumt. Fielen beide Journals auf die unsauberen Machenschaften einer US-Firma herein?
Annette Rößler
04.06.2020  17:00 Uhr
Wichtige Studie womöglich mangelhaft

Da das neue Coronavirus ACE2-Rezeptoren nutzt, um in menschliche Zellen einzudringen, bestand in der Pandemie früh der Verdacht, dass die Einnahme von ACE-Hemmern oder Sartanen eine SARS-CoV-2-Infektion wahrscheinlicher machen oder den Verlauf einer Covid-19-Erkrankung verschlimmern könnte. Mehrere Studien untersuchten den möglichen Zusammenhang. Eine davon, von einem Autorenteam um Dr. Mandeep Mehra vom Brigham and Women’s Hospital Heart and Vascular Center und der Harvard Medical School prominent im »New England Journal of Medicine (NEJM)« publiziert, gab Anfang Mai Entwarnung (DOI: 10.1056/NEJMoa2007621). Ein hohes Alter und eine bestehende kardiovaskuläre Erkrankung, nicht aber die Einnahme eines ACE-Hemmers oder eines Sartans sei in ihrer Beobachtungsstudie mit einer erhöhten Sterblichkeit bei hospitalisierten Covid-19 assoziiert gewesen, lautete das Fazit der Autoren.

Dies war womöglich eine nicht gerechtfertigte Schlussfolgerung. Denn unterdessen wurde massive Kritik an der Validität der Daten laut, die Mehra und Kollegen für ihre Studie verwendet hatten. Die Daten aus 169 Krankenhäusern in Asien, Europa und Nordamerika waren von der US-Firma Surgisphere bereitgestellt und ausgewertet worden, deren Gründer Dr. Sapan Desai auch Koautor der Publikation ist. Dieselbe Firma war auch maßgeblich an einer Ende Mai in »The Lancet« erschienenen Studie zu Hydroxychloroquin bei Covid-19 beteiligt, deren Qualität später in Abrede gestellt wurde.

Analog zum Fall der »Lancet«-Studie gab es zur »NEJM«-Studie einen offenen Brief, der von zahlreichen Wissenschaftlern unterzeichnet und auf der Plattform »Zenodo« veröffentlicht wurde. Hier wie dort richtet sich dieses Schreiben an die Autoren der jeweiligen Publikation und die Herausgeber des veröffentlichenden Journals und kritisiert eine mangelnde Transparenz der Datengrundlage, äußert Zweifel an den statistischen Methoden und weist auf offensichtliche Unstimmigkeiten zwischen den Ergebnissen der Studie und anderen Veröffentlichungen hin. Und genauso wie zuvor die »Lancet«-Herausgeber reagierten auch die »NEJM«-Herausgeber mittlerweile, indem sie Surgisphere zur Klärung des Sachverhalts aufforderten und die Leser der bemängelten Studie so lange mit einem »Expression of Concern« auf die laufende Untersuchung des Sachverhalts aufmerksam machen (DOI: 10.1056/NEJMe2020822).

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