WHO setzt Notfallausschuss wegen Affenpocken ein |
In der kommenden Woche soll ein Expertenausschuss der WHO entscheiden, ob es sich bei dem aktuellen Affenpockenausbruch um eine Gesundheitsnotlage internationaler Tragweite handelt. / Foto: Getty Images/DBenitostock
Aus Sorge um die zunehmenden Nachweise von Affenpocken in aller Welt hat der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für kommende Woche einen Notfallausschuss einberufen. Das Gremium soll entscheiden, ob es sich - wie bei Corona - um eine «gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite» (PHEIC) handelt. Für Mittwoch (14.6.) wird unterdessen in Deutschland mit einer Lieferung von Pockenimpfstoff gerechnet. Die Zahl der betroffenen Patienten hierzulande ist nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) von Dienstag auf knapp 230 gestiegen.
Der Notfallausschuss soll am 23. Juni tagen, wie es am Dienstag von der Organisation und ihrem Leiter Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus hieß. Die Erklärung der Notlage ist die höchste Alarmstufe, die die WHO verhängen kann. Eine solche Erklärung hat keine direkten praktischen Folgen, soll aber die Mitgliedsländer wachrütteln. Eine Notlage gilt etwa seit Ende Januar 2020 wegen SARS-CoV-2.
Der WHO wurden bis Dienstag weltweit mehr als 1600 Fälle von Affenpocken und fast 1500 Verdachtsfälle aus 39 Ländern gemeldet. In 32 dieser Länder gab es vor Mai keine bekannten Fälle. In den anderen sieben Ländern in Afrika grassiert das Virus seit Jahrzehnten. Bislang wurden 72 Todesfälle aus den afrikanischen Ländern gemeldet. Die WHO prüft einen möglichen Todesfall durch Affenpocken aus Brasilien.
Die Sorge der WHO beziehe sich auf drei Bereiche, sagte Tedros: Das Virus verhalte sich ungewöhnlich, es seien immer mehr Länder betroffen und damit sei eine koordinierte Reaktion nötig. Tedros betonte aber, dass die Experten des Notfallausschusses die Problematik betrachten und noch nicht entschieden sei, ob sie das Ausrufen einer Notlage für nötig halten. «Wir wollen nicht warten, bis die Situation außer Kontrolle geraten ist», sagte WHO-Spezialist Ibrahima Socé Fall.
Das WHO-Regionalbüro Europa mahnte dringend gemeinsame Anstrengungen und eine gerechte Impfstoffverteilung aufgrund des aktuellen Ausbruchs an. Europa bleibe dessen Epizentrum - mit 25 Ländern, die mehr als 1500 Fälle gemeldet hätten, sagte Hans Henri Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa, am Mittwoch. Das seien etwa 85 Prozent der weltweiten Gesamtzahl. «Das Ausmaß dieses Ausbruchs stellt ein echtes Risiko dar; je länger das Virus zirkuliert, desto größer wird seine Reichweite und desto stärker wird die Krankheit in nicht-endemischen Ländern Fuß fassen.»
Die Risiko-Einschätzung des RKI in Deutschland lautete am Dienstag weiterhin: «Eine Gefährdung für die Gesundheit der breiten Bevölkerung in Deutschland schätzt das RKI nach derzeitigen Erkenntnissen als gering ein.»
Der Virologe Professor Dr. Gerd Sutter vom Institut für Infektionsmedizin und Zoonosen der LMU München teilte auf Anfrage mit, dass die Zahlen hierzulande «keine Überraschung» und «nicht erschreckend» seien. Die Übertragung des Virus erfolge nach derzeitigem Kenntnisstand, wie erwartet, praktisch nur durch direkten Kontakt. Das Tempo der Ausbreitung beschrieb er als «relativ langsam». Mit der Impfung von Kontaktpersonen beziehungsweise spezifischer Zielgruppen «sollte eine Begrenzung des Ausbruchs weiterhin gut möglich sein», erwartet er.
Es gebe immer noch vereinzelte Übertragungen, «aber der Ausbruch hat eher nicht die Eigenschaft, exponenziell wachsende Fallzahlen zu entwickeln», teilte Professor Dr. Timo Ulrichs, Experte für Globale Gesundheit an der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin mit. Eine sexuell übertragbare Infektionserkrankung breite sich langsamer aus als eine, bei der Erreger durch die Luft übertragen werden. Auch andere Experten hatten zuletzt auf viele Unterschiede zwischen Affenpocken und der Coronavirus-Pandemie hingewiesen.
Das Bundesgesundheitsministerium rechnet für Mittwoch mit einer Lieferung von 40.000 Dosen Pockenimpfstoff Imvanex®, der gegen Affenpocken eingesetzt werden kann. Der Bund stelle den Bundesländern die Vakzine zur Verfügung, teilte ein Ministeriumssprecher mit. Die Ständige Impfkommission (STIKO) hatte vorige Woche bekanntgegeben, dass das Mittel für bestimmte Gruppen wie Kontaktpersonen von Infizierten empfohlen werde.
Aufgrund der bisherigen Risikolage hält die WHO Massenimpfungen nicht für nötig, wie aus einem technischen Ratgeber vom Dienstag hervorgeht. Die gegen die 1980 ausgerotteten Pocken entwickelten Lebendimpfstoffe dürften zwar einen gewissen Schutz vor Affenpocken bieten, aber bisher gebe es kaum Studien dazu. Die WHO rief alle Länder dazu auf, Bestände an Pockenimpfstoffen gerecht mit anderen zu teilen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.