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Ulcus cruris

Wenn Wunden nicht heilen wollen

Chronische Geschwüre am Unterschenkel erfordern eine konsequente Therapie. Mit modernen Hilfsmitteln lassen sich die Heilungsbedingungen optimieren.
Nicole Schuster
20.11.2022  08:00 Uhr

Ulcus cruris, das »offene Bein«, ist eine typische Alterserkrankung. Die tiefen und meist schlecht heilenden Wunden stellen eine große Belastung dar und schränken die Lebensqualität ein.

Wunden gelten als chronisch, wenn sie nach acht Wochen nicht abgeheilt sind oder wenn sie ursächlich behandelt werden müssen, beispielsweise Geschwüre beim diabetischen Fußsyndrom (1). Sie können grundsätzlich an jeder Stelle des Körpers entstehen. In Europa manifestieren sich chronische Wunden am häufigsten in Form des Ulcus cruris, des diabetischen Fußulkus (DFU) oder als Dekubitus (2).

Der Begriff Ulcus cruris umfasst Wunden unterschiedlicher Genese im Bereich der Unterschenkel. Zugrunde liegen in der Regel Gefäßerkrankungen wie die chronisch venöse Insuffizienz (CVI) oder die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK). Perfusionsstörungen im Unterschenkel schädigen die Haut und die darunterliegenden Gewebe und beeinträchtigen die Wundheilung (3, 4). In der Folge heilen selbst kleine Verletzungen nicht oder nur schwer ab.

Venöse oder arterielle Durchblutungsstörungen

Bei mehr als zwei Dritteln der Patienten spielt bei der Entstehung oder als Komorbidität die CVI eine Rolle. Dies ist eine Erkrankung der tiefen Beinvenen. Sie entwickelt sich, wenn defekte Venenklappen nicht mehr richtig schließen, sodass sich das venöse Blut in den Unterschenkeln staut. In der Folge werden die Gefäße durchlässiger und Blutzellen und Flüssigkeit können in die benachbarten Gewebe austreten. Mögliche Folgen sind äußerlich sichtbare Besenreißer oder Krampfadern, Ödeme, Hautveränderungen und Ulzerationen, die bevorzugt am Innenknöchel entstehen (4–6).

Venöse und arterielle Gefäßerkrankungen lösen Durchblutungsstörungen im Unterschenkel aus, die Haut und Gewebe schädigen und die Wundheilung beeinträchtigen. / Foto: Adobe Stock/Andriy Medvediuk
Selbst kleine Verletzungen heilen nicht oder nur sehr langsam ab. / Foto: Adobe Stock/kayasit

Etwa 15 Prozent der Beinulzera werden durch arterielle Durchblutungsstörungen im Rahmen einer pAVK verursacht. Die pAVK entsteht, wenn sich Plaques aus Fett- und Eiweißbestandteilen in den Arterien der Extremitäten ablagern (Atherosklerose). Die Gefäße werden eingeengt und lassen weniger Blut hindurchfließen. Die Beschwerden treten zunächst nur bei Belastung auf; wenn die pAVK fortschreitet, auch in Ruhe. Anders als bei venösen Beschwerden schmerzen die Beine oft sogar stärker, wenn sie hoch gelagert werden. Typisch ist eine blasse, kühle und trockene Haut, während die Haut bei einer CVI häufig durch Ödeme glänzt, oft schuppig oder rissig ist und eine bräunlich-rote Hyperpigmentierung aufweisen kann. Ein Ulcus cruris arteriosum als Komplikation der pAVK entwickelt sich überwiegend an den Zehen, dem Vorfuß, dem Außenknöchel oder der Schienbeinkante.

Beim Ulcus cruris mixtum liegt eine Kombination arterieller und venöser Ursachen vor. Die Sonderform Ulcus hypertonicum Martorell ist eine Folge eines chronischen, schlecht eingestellten arteriellen Bluthochdrucks (Kasten).

Eine weitere chronische Wunde ist das Ulkus bei Diabetes mellitus. Als diabetisches Fußsyndrom werden Veränderungen an den Füßen von Diabetespatienten bezeichnet, die als Spätfolge der Grunderkrankung auftreten. Neben Haut- und Nagelveränderungen treten häufig Deformitäten auf; auch Ulzerationen können entstehen. Diese können bei verzögerter oder ineffektiver Behandlung bis zur Nekrose des gesamten Fußes führen (Gangrän) und im schlimmsten Fall Amputationen erforderlich machen. Ursächlich ist ein schlecht eingestellter Typ-2-Diabetes, der die Gefäße (Makroangiopathie) und die peripheren Nerven (Polyneuropathie) schädigt. Dadurch sind die Patienten anfälliger für hartnäckige Verletzungen, nehmen diese aber schlechter wahr. Das kann zu einem Circulus vitiosus führen, der die Lebensqualität der Betroffenen stark einschränkt (7).

Seltenere Ursachen für Unterschenkelgeschwüre sind Vaskulitiden, entzündliche Hauterkrankungen, Infektionskrankheiten oder Neoplasien (4, 8).

Gestörte Wundheilung

Sowohl bei venös als auch bei arteriell bedingten Gefäßerkrankungen wird die Haut empfindlicher und kann mechanischen Belastungen weniger gut standhalten. Dadurch entstehen leichter Verletzungen, die zu schlecht heilenden oder chronischen Wunden werden können. Die verminderte Versorgung des Gebiets beeinträchtigt nicht nur die Wundheilung, sondern auch die lokale Immunabwehr. Erreger können in die Wunde eindringen und zu einer Infektion führen (9).

Bei chronischen Wunden ist das Gleichgewicht aus anabolen und katabolen Prozessen gestört. Die Wundheilung kann in der Entzündungsphase, manchmal auch in der Granulationsphase, stagnieren. Sie wird dadurch beeinträchtigt, dass die Mitoserate der Fibroblasten reduziert ist (4).

Als Ursachen für Wundheilungsstörungen kommen sowohl lokale als auch systemische Faktoren infrage. Auf lokaler Ebene erschweren neben einer Infektion der Wunde auch Austrocknung oder Unterkühlung, Bewegung im Wundgebiet sowie Schädigung durch Druck die Abheilung. Systemisch spielen ein ernährungsbedingter Eiweiß-, Vitamin- oder Mineralstoffmangel ebenso eine Rolle wie Kachexie oder Adipositas. Im Alter nimmt die Zahl der Mastzellen ab; es bilden sich weniger Kapillaren neu und die Zellproliferation ist schlechter. Auch bei Stoffwechselstörungen wie Diabetes mellitus, Leberfunktionsstörungen oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen funktioniert die Wundheilung nicht mehr so gut. Das gilt auch für Erkrankungen des Herz-Kreislauf- und des hämatologischen Systems.

Das Apothekenteam sollte auch an wundheilungsstörende Medikamente wie nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR), Gerinnungshemmer, Zytostatika, Glucocorticoide und andere Immunsuppressiva denken (10).

Das ABC der Diagnostik

Die Lokalisation, die vom Patienten beschriebenen Symptome und Begleiterscheinungen können schnell den Verdacht auf ein Ulcus cruris aufkommen lassen. Zur Diagnose der chronischen Wunde können Ärzte die sogenannte ABCDE-Regel heranziehen.

  • Beim »A« für Anamnese geht es um die Symptome des Patienten, die Art und Stärke der Schmerzen, Einschränkungen im Alltag und Begleiterkrankungen. Zudem fragt der Arzt nach dem initialen Erscheinungsbild der Wunde und wie sie sich im Lauf der Zeit verändert hat. Vielleicht gibt es (Handy-)Fotos, die vorgelegt werden können. Auch Fragen nach der Medikation, Allergien, dem Tetanus-Impfschutz und der Versorgungssituation sind relevant (4).
  • Eine bakteriologische Untersuchung der Wunde ist erforderlich, wenn es klinische Hinweise auf eine Infektion oder eine Infektionsgefährdung der Wunde gibt. Besonderes Augenmerk legt der Arzt auf multiresistente Erreger (MRE). Dabei werden nicht nur die Wunde, sondern auch der Verband inspiziert und das Exsudat im Hinblick auf Geruch, Farbe, Menge und Beimengungen bewertet.
  • Das »C« in der ABCDE-Regel steht für die klinische Untersuchung (clinical examination), die bei der Ursachensuche helfen kann. Um den Therapieverlauf kontrollieren zu können, dokumentiert der Arzt den Wundstatus. Zur Wunddokumentation beim Ulcus cruris gibt es Empfehlungen des nationalen Konsensus aus 2017 (11).
  • Weitere Hinweise auf die Ursache des Ulcus cruris bekommt der Arzt, wenn er die Durchblutung (»D«) der Beingefäße untersucht. Die Doppler-Sonografie ist eine Option. Goldstandard ist jedoch die farbkodierte Duplexsonografie, die genaue Aussagen über die Fließverhältnisse in den Gefäßen zulässt. Zur Untersuchung können auch das Tasten von Fußpulsen und die Bestimmung des Knöchel-Arm-Druck-Indexes, bei Diabetikern des Zehen-Arm-Druck-Indexes gehören (4, 12).
  • Das »E« steht für »Extras« und kommt dann ins Spiel, wenn die Wundursache nicht gefunden wird oder sich die Wunde nach sechswöchiger leitliniengerechter Therapie nicht bessert. Spezifische Untersuchungen können Histologie, Angiologie oder Diabetologie einschließen (4, 10).

Der Schweregrad der Ulzeration wird meist nach ihrer Ausdehnung in die Tiefe festgelegt (Tabelle 1).

Schweregrad Tiefe des Ulkus
1 überschreitet die Epidermis und Dermis nicht
2 erreicht die Subkutis
3 erreicht eine Sehne, einen Knochen, ein Ligament (Band) oder ein Gelenk
4 bis zu Sehne, Knochen, Ligament oder Gelenk und zusätzlicher Abszess und/oder Osteomyelitis
5 bis zu Sehne, Knochen, Ligament oder Gelenk und nekrotisches Gewebe/Gangrän in der Wunde
6 bis zu Sehne, Knochen, Ligament oder Gelenk sowie Gangrän der Wunde und des umgebenden Gewebes
Tabelle 1: Schweregradeinteilung von chronischen Ulzera; nach Knighton et al. 1990 (38)

Behandlung erfordert langen Atem

Eine aktuelle AWMF-Behandlungsleitlinie für das Ulcus cruris gibt es nicht. Es ist aber eine Leitlinie zu »Diagnostik und Therapie des Ulcus cruris venosum« angemeldet, die Ende des Jahres fertiggestellt werden soll. Sie soll eine Überarbeitung der bereits langjährig abgelaufenen Leitlinie darstellen.

Wichtig ist, dass Patienten ein Geschwür nicht ignorieren, da das die Therapie nur hinauszögert und erschwert. Auch können Folgeerkrankungen wie ein Erysipel auf dem Boden der chronischen Wunde entstehen. Bei einem Erysipel handelt es sich um eine Infektion der Haut, die sich entlang der Lymphspalten ausbreitet. Dabei dringen Pathogene, meistens β‑hämolysierende Streptokokken der Gruppe A, durch Läsionen in der Hautbarriere in das Gewebe ein. Eintrittspforten können harmlose Bagatellverletzungen oder eben auch chronische Wunden sein (13).

Unabhängig davon, ob die Wunde harmlos erscheint oder nicht, sollte jede schlecht heilende Wunde ernst genommen werden. Neben gefährlichen Infektionen droht unbehandelt oftmals eine Amputation der betroffenen Gliedmaße.

Die Therapie des Ulcus cruris besteht einerseits aus einer konsequenten Behandlung der Grunderkrankung und andererseits einer gewissenhaften Wundbehandlung. Bei pAVK-bedingten Geschwüren sind die wesentlichen kardiovaskulären Risikofaktoren für Atherosklerose zu therapieren. Dazu gehören systemische Erkrankungen wie die arterielle Hypertonie, Hypercholesterolämie oder Diabetes mellitus. Patienten, die sich kaum bewegen, sollten ihren Alltag aktiver gestalten. Eine Gewichtsreduktion ist bei Übergewicht angezeigt, Raucher kann das Apothekenteam zum Nikotinstopp beraten. Als wichtigste nicht medikamentöse Therapie gilt das strukturierte Gehtraining, das auch die Lebensqualität der Patienten verbessert (14).

Wenn keine Kontraindikationen vorliegen, kann der Arzt Thrombozytenfunktionshemmer verordnen. ASS (100 mg pro Tag) und Clopidogrel (75 mg pro Tag) reduzieren das kardiovaskuläre Risiko bei Patienten mit symptomatischer pAVK. Wenn die Durchblutung in den Extremitäten im fortgeschrittenen Stadium nicht mehr ausreicht, kann in bestimmten Fällen die intravenöse Gabe von Prostanoiden wie dem Prostacyclin-Analogon Iloprost versucht werden.

Kompressionsstrümpfe können die Durchblutung verschlechtern. Sie sind bei arteriellen Durchblutungsstörungen meistens, aber nicht immer kontraindiziert. Bei Patienten mit Ulcus cruris mixtum kann die Kompressionstherapie durchaus sinnvoll sein. Ausschlaggebend ist der Knöchel-Arm-Druck-Index (Ankle Brachial Pressure Index, ABPI). Liegt er über 0,5, kann eine leichte Kompression erwogen werden. Eine weitere Option sind chirurgische Maßnahmen (9, 10).

Bei der CVI gilt die Kompression als Basistherapie und auch beim Ulcus cruris venosum tut Bewegung gut. Das Apothekenteam kann zu einem venengesunden Lebensstil animieren und beraten. Wenn konservative Methoden nicht ausreichen, sind chirurgische Maßnahmen oder minimal invasive Verfahren wie die Sklerosierungstherapie angezeigt (10, 15).

Fünf Bausteine der Wundbehandlung

Die zweite Säule der Ulcus-cruris-Therapie ist die Wundversorgung und -behandlung. Sie setzt sich je nach Form und Schwere der chronischen Wunde aus verschiedenen Elementen zusammen.

Die konservative Wundbehandlung kann nach dem M.O.I.S.T-Konzept erfolgen, das die Wund-D.A.CH., die Dachorganisation aller deutschsprachigen Vereine und Gruppen, die im Bereich des Wundmanagements tätig sind, 2017 vorgestellt hat. Das strukturierte Vorgehen besteht aus fünf Elementen:

  • Moisture Balance (Exsudatmanagement),
  • Oxygen Balance (Sauerstoffbalance),
  • Infection Control (Infektionskontrolle),
  • Support (den Heilungsprozess unterstützende Maßnahmen) und
  • Tissue Management (Gewebemanagement) (1).

Das Exsudatmanagement beruht auf der Erkenntnis, dass das richtige Feuchtigkeitsgleichgewicht wichtig ist, damit eine Wunde abheilen kann. Sowohl trockene als auch übermäßig feuchte Geschwüre heilen schlechter. Trockene Wunden lassen sich mit einem Hydrogel anfeuchten. Die überwiegende Anzahl der chronischen Wunden »nässt« jedoch, was zu einer Mazeration des Gewebes führen kann. In diesem Fall sind Wundauflagen angezeigt, die das austretende Wundexsudat auffangen können. Das Apothekenteam kann Auflagen mit Alginaten oder Hydrofasern empfehlen; auch Schaumverbände oder Superabsorber sind geeignet (Tabelle 2) (16, 17).

Bezeichnung Beschreibung Indikationen und Kontraindikationen Hinweise
Hydrokolloid-Verbände organische Gelbildner wie Carboxymethylcellulose (CMC), Pektin, Gelatine, die nach außen mit einem dünnen Polyurethanfilm abschließen, daher semiokklusiv

Bei Kontakt mit Wundexsudat verflüssigt sich die Hydrokolloidmasse. Es bildet sich ein visköses, gelbliches bis bräunliches Gel.
entsprechend ihres Exsudat-Aufnahmevermögens für leicht bis mäßig stark sezernierende Wunden, können auch fibrinöse Beläge aufweichen und ablösen

nicht geeignet für klinisch infizierte Wunden, ischämische Ulzera, Wunden mit freiliegenden Sehnen, Knochen oder Knorpelgewebe, Verbrennungen 3. und 4. Grades
nicht zurechtschneiden, da die Dichtigkeit verloren geht

Kleber nicht immer deklariert. Polyacrylatkleber können lokale Reaktionen auslösen

Gebildetes Gel ist durch das Verbandmaterial hindurch als Blase sichtbar. Erreicht diese Wundgröße, muss der Verband gewechselt werden. Bei mäßig sezernierenden Wunden spätestens nach sieben Tagen wechseln
Aktivkohle-Verbände Fasergewirk der Kompresse wurde verkohlt und mit einer Schicht elementaren Silbers versehen. Wirkt geruchbindend und bakterizid stark sezernierende, infizierte, infektionsgefährdete und Geruch entwickelnde Wunden Kompresse in die Wunde einlegen und mit weiteren Kompressen fixieren. Bei zu geringer Exsudation den Verband zusätzlich anfeuchten

Verbandwechsel nach einem bis drei Tagen
silberhaltige Wundauflagen Silber wirkt antiseptisch gegen Pilze, grampositive und gramnegative Aerobier und Anaerobier.

Silber ist auf unterschiedliche Trägermaterialen aufgebracht, zum Beispiel Alginate, Aktivkohle, Hydrokolloide oder Polyethylengewebe.
infizierte oder infektionsgefährdete Wunden strenge Indikationsstellung wegen des hohen Preises
Kollagene schwammartige Wundauflagen mit hoher Saugkapazität für Exsudat und Zelltrümmer, wirken blutstillend chronische Wunden in der Granulationsphase mit Gewebedefekten, frei von nekrotischem Gewebe und ohne Infektionszeichen. Zur Blutstillung

nicht für infizierte Wunden, unwirksam bei noch vorhandenem nekrotischen Gewebe
Wundauflage mit steriler Schere auf die Wundgröße zuschneiden oder gefaltet in tiefe Defekte einlegen. Bei nur geringer oder fehlender Exsudation die Kompresse mit steriler Ringerlösung anfeuchten

Kollagenprodukte lösen sich auf oder wandeln sich in Gel um. Verbleiben bis zur vollständigen Resorption in der Wunde
Hyaluronsäure-Derivate Hyaluronsäure wirkt hydratisierend. Fördert Angiogenese, Migration von Epithelzellen und Proliferation von Fibroblasten bei stagnierenden chronischen Wunden kostenintensiv
Tabelle 2: Übersicht moderne (interaktive) Wundauflagen (10)

Damit die Wunde gut heilen kann, benötigt sie eine ausreichende Sauerstoffzufuhr. Chronische Wunden, die auf eine mangelnde Durchblutung zurückgehen, sind meist sauerstoffarm. Wenn Maßnahmen wie Revaskularisation und Kompressionstherapie nicht ausreichend wirken, kann topisch applizierbares Hämoglobin helfen (4, 18). Hämoglobin-Spray wird beim Verbandwechsel, mindestens jedoch alle drei Tage, auf die Wunde aufgesprüht. Das hoch aufgereinigte Hämoglobin bindet Sauerstoff aus der Umgebung und diffundiert durch das Wundexsudat zum Wundgrund (19, 20).

Die Infektionskontrolle ist besonders wichtig, da bei etwa drei Vierteln aller chronischer Wunden Biofilme nachweisbar sind, die die Heilung verzögern. Biofilme bestehen aus einer Ansammlung von zusammenhängenden Bakterien, die sich in einer schützenden Matrix aus Proteinen, DNA und Polysacchariden befinden. Diese Matrix wird auch als extrazelluläre polymere Substanz (EPS) bezeichnet. Antimikrobielle Mittel müssen in die EPS eindringen, um die Bakterien zu erreichen. Zusätzlich ist eine regelmäßige Wundreinigung erforderlich. Topische Antibiotika sollten nicht angewendet werden, wie im aktuellen Positionspapier zum Thema »Antimicrobials and Nonhealing Wounds« der Europäischen Wundmanagement Assoziation (EWMA) noch einmal bekräftigt wurde.

Zeitlich begrenzt können Antiseptika, beispielsweise mit Polihexanid oder Octenidin, eingesetzt werden. Antimikrobiell wirkende Auflagen enthalten oft Silberionen, die verschiedene Proteine der Keime in Komplexen binden und dadurch zu deren Zelltod (Bakterizidie) führen oder ihre Vermehrung (Bakteriostase) hemmen (8). Die entsprechenden Reaktionen können nur in wässrigem Milieu erfolgen. Trockene Silberverbände sind daher für trockene Wunden nicht geeignet. Je nach Exsudationsmenge kann die silberhaltige Wundauflage mit einer geeigneten Lösung angefeuchtet werden.

Zu beachten ist ferner, dass sich die Wunde durch das freigesetzte Silber gräulich verfärben kann. Die Verfärbung »wächst« zwar wieder raus, erschwert aber die Beurteilung der Wunde (10).

Bei Honig auf die Qualität achten

Alternativen zu silberhaltigen Produkten sind Auflagen mit dem antiseptisch wirkenden PHMB (Polihexamethylenbiguanid = Polihexanid), bakterienbindende hydrophobe Faserverbände sowie Produkte mit medizinischem Honig (21).

Hydrophobe Faserprodukte sollen nach Angaben des Herstellers mit ihrer stark hydrophoben Oberfläche die ebenfalls hydrophoben pathogenen Bakterien und Pilze irreversibel binden. Mit jedem Verbandwechsel sollen die Erreger entfernt und somit die Keimbelastung stetig reduziert werden (22).

Eine weitere Option kann antibakteriell wirksamer medizinischer Honig sein. Gemäß einem Cochrane-Review aus 2014 lässt sich bislang aber nicht sagen, ob das Auftragen von Honig bei Beingeschwüren besser oder schlechter als andere Behandlungen ist. Die bestehende Evidenz sei von meist niedriger oder sehr niedriger Qualität (23). Bei der Anwendung können Unverträglichkeiten und Schmerzen ein Problem sein. Je nach Qualität und Herkunft des Honigs sind auch Pestizid-Rückstände oder andere Verunreinigungen zu beachten (24).

Spezialprodukte für die Wunde

Um den Wundheilungsprozess zu unterstützen, kommen die sogenannten Support-Maßnahmen zum Einsatz. Als Wundstarter oder aktive Wundversorgungsprodukte vermarkten einige Hersteller eine Gruppe sehr unterschiedlicher Produkte, die über verschiedene Mechanismen die Wundheilung verbessern sollen. So soll Kollagen als Strukturprotein Zellen in den Wundbereich locken, das Zellwachstum induzieren und den Aufbau neuer Proteine unterstützen (zum Beispiel in Promogran) (25).

Das Polysaccharid Chitosan­FH02® ist bei chronischen Wunden indiziert und bildet nach Antrocknen einen dünnen, elastischen, transparenten Film, der bei der Wundreinigung entfernt werden kann oder solange verbleibt, bis er bei der natürlichen Hauterneuerung abgestoßen wird (Beispiel: QiQu medical Spray).

Das Ziel anderer Produkte ist es, den pH-Wert in der Wunde zu senken. Im sauren Milieu nehmen das Bakterienwachstum und die proteolytische Aktivität der im Übermaß vorhandenen, heilungsverzögernd wirkenden Matrix-Metallo-Proteasen (MMP) ab (zum Beispiel Cadesorb). Die Komponente NOSF (Nano-Oligo-Saccarid-Faktor) bildet, in eine Matrix eingebettet, mit dem Wundsekret einen Gelfilm, der das Wundmilieu verbessert. NOSF neutralisiert auch MMP (zum Beispiel UrgoStart) (26–28).

Die Wirkung dieser wundheilungsfördernden Produkte ist oft nicht ausreichend belegt. Sie sind zudem teuer und kommen meist nur zum Einsatz bei Verläufen, die trotz adäquater Therapie der Ursachen refraktär sind (10).

Wundreinigung: unangenehm, aber wichtig

Weitere Standardmaßnahmen beim Ulcus cruris sind Débridement und/oder Wundspülung, die mit dem Begriff »tissue management« zusammengefasst werden. Dabei werden Bestandteile wie abgestorbenes Gewebe, Krusten oder Fremdkörper aus der Wunde entfernt. Zum Débridement stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung.

Beim biologischen Wunddébridement kommen steril gezüchtete Therapielarven zum Einsatz (Interview). Sie sind zugelassen zum »Debridement belegter chronischer oder schwer heilender Wunden, wenn eine instrumental-chirurgische Behandlung nicht erwünscht ist« (29). Nach einem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses von 2014 ist ein Zusatznutzen nicht belegt (30–32).

Für die Wundspülung eignen sich Ringer- und NaCl-Lösung (0,9-prozentig). Diese sind nicht konserviert und müssen nach Anbruch der Flasche unmittelbar verbraucht werden (10). Es sind auch konservierte Wundspüllösungen verfügbar, die Octenidin, PHMB oder NaOCl/HCl enthalten. Diese können im Gegensatz zu Antiseptika unbegrenzt verwendet werden. Teilweise ist ein antimikrobieller Nutzen vorhanden, der durch langes Einweichen (zum Beispiel mit getränkten Kompressen) erreicht werden kann. Wichtig ist es, die Herstellerangaben zur Verwendung zu beachten. Eine Kombination von verschiedenen Wirkstoffen sollte vermieden werden (zum Beispiel Silber und Polihexanid). Apotheker, die sich näher für die Wundbehandlung interessieren, können an Wundseminaren der Initiative Chronische Wunden (ICW) teilnehmen (www.icwunden.de).

Manche Patienten benötigen zusätzlich zur lokalen Wundbehandlung systemische Medikamente, zum Beispiel Antibiotika bei einer schweren bakteriellen Infektion Bei starken Schmerzen kann der Arzt Analgetika verschreiben. Das geeignete Mittel hängt von der Art der Schmerzen ab. Bei den häufig unterdiagnostizierten neuropathischen Schmerzen sind beispielsweise Pregabalin oder Gabapentin Mittel der Wahl (33, 34).

Wenn Geschwüre trotz optimaler Therapie nicht abheilen, kann eine chirurgische Sanierung erforderlich sein.

Ermutigung aus der Apotheke

Die Ulcus-cruris-Therapie ist ein langer Weg. Es ist sicherlich für viele Patienten hilfreich, wenn das Apothekenteam Kraft zuspricht und immer wieder daran erinnert, die Behandlung der Grunderkrankungen und Risikofaktoren ernst zu nehmen. Das gilt auch für die oft ungeliebte Kompressionstherapie. Auch nach Abheilen eines venös bedingten Geschwürs ist sie nicht zu vernachlässigen.

Um die Adhärenz zu verbessern, kann das Apothekenteam Tipps zum Umgang mit den Strümpfen geben. Beim Anziehen ist es ratsam, den Kompressionsstrumpf zunächst bis zur Spitze in den Händen zu raffen und dann über die gestreckte Fußspitze zu ziehen und am Bein langsam hochzustreifen. An- und Ausziehhilfen aus der Produktgruppe 02 des Hilfsmittelverzeichnisses wie Gleitsocken oder Metallvorrichtungen zum Vordehnen der Strümpfe können die Prozedur erleichtern. Gummihandschuhe mit Noppenstruktur erleichtern es, die Strümpfe zu greifen, und schonen das Gestrick.

Günstig für das Abheilen von Wunden ist es, wenn Patienten auf eine ausgewogene Ernährung mit ausreichend Eiweiß achten und den Umgang mit Stress verbessern. Nicht zu vernachlässigen ist Bewegung. In einer systematischen Übersichtsarbeit und Metaanalyse aus 2018 wurde untersucht, ob ein Trainingsprogramm ergänzend zur Kompression mit einer verbesserten Heilung von Ulcus cruris venosum im Vergleich zur alleinigen Kompression verbunden ist. Die Autoren schlussfolgerten, dass tägliches Fersenheben plus körperliche Aktivität (zum Beispiel mindestens dreimal pro Woche gehen) eine wirksame Ergänzung zur Kompression darstelle (35).

Ist das Beingeschwür endlich abgeheilt, stehen die Patienten vor der nächsten Herausforderung. Diese besteht darin, ein lebenslang mögliches Wiederauftreten des »offenen Beins« zu verhindern. Dabei helfen eine gute Hautpflege sowie Fuß- und Beinbekleidung, die weder scheuert noch reibt oder drückt.

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