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Adhärenz

Wenn Psychopharmaka dick machen

Bei vielen Patienten, die Psychopharmaka einnehmen, kommt es bereits nach relativ kurzer Behandlungsdauer zu einer unerwünschten Gewichtszunahme. Da darunter häufig die Adhärenz leidet, sind wirksame Interventionen gefragt.
Hannelore Gießen
06.12.2021  12:00 Uhr

Antipsychotika und Antidepressiva weisen ein breites Spektrum an unerwünschten Wirkungen auf, die die Adhärenz der Patienten negativ beeinflussen. »Besonders eine starke Gewichtszunahme belastet die Betroffenen«, sagte Professor Dr. Stefan Leucht von der Technischen Universität München beim digitalen Update Ernährungsmedizin. Das Selbstwertgefühl der Patienten sinke dadurch erheblich, so der Psychiater. Zudem ziehe der Gewichtsanstieg metabolische Folgen nach sich: Die Spiegel von Nüchternglucose und HbA1c steigen, ebenso die des LDL-Cholesterols und der Triglyceride. Adipositas, Typ-2-Diabetes und Hypercholesterolämie treten bei Schizophrenie-Patienten drei- bis fünfmal häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung.

»Die Antipsychotika, die am besten wirken, sind auch die mit den meisten Nebenwirkungen«, beschrieb Leucht das Dilemma. Unter Clozapin, Olanzapin und Zotepin nehme bis zu einem Drittel der Patienten drei Kilogramm und mehr zu. Auch Risperidon, Quetiapin, Sertindol und Paliperidon führen zu einer, wenn auch weniger starken, Gewichtszunahme. Am geringsten auf das Gewicht wirken sich Aripiprazol, Ziprasidon und Lurasidon sowie Amisulprid aus. Auch unter Lithium, Valproinsäure und Carbamazepin sowie den Antidepressiva Mirtazapin, Amitriptylin, Imipramin und Trimipramin nehmen die Patienten zu, wenn auch weit weniger als unter Antipsychotika.

Die komplexen pathophysiologischen Zusammenhänge zwischen erwünschten und unerwünschten Wirkungen von Psychopharmaka sind noch nicht vollständig geklärt. Wesentlichen Anteil an der Gewichtszunahme scheinen hemmende Partialwirkungen am Histaminrezeptor H1 zu haben. So korreliert der Anstieg des Gewichts mit der H1-Rezeptoraffinität des jeweiligen Wirkstoffs. Auch konnten Effekte auf den Noradrenalin-, Serotonin- und Dopaminstoffwechsel gezeigt werden. Die bei den Patienten unterschiedlich ausgeprägten Nebenwirkungen lassen sich unter anderem durch Rezeptor-Polymorphismen erklären. Vor allem bei einer sehr starken Gewichtszunahme ist die Relevanz einer genetischen Disposition wahrscheinlich.

Oft zu hohe Dosierung

Oft liege der unerwünschte Gewichtsanstieg an einer zu hohen Dosis, berichtete Leucht. Auch bei Substanzen, die schon lange im Markt verfügbar seien, sei die Dosis-Wirkungsbeziehung noch unzureichend beschrieben, konstatierte der Psychiater. Leuchts Team hat deshalb in einer 2020 publizierten Metaanalyse die Dosis-Wirkungsbeziehungen von zwanzig Antipsychotika graphisch dargestellt und daraus die ED95 abgeleitet. Darunter versteht man die Einzeldosis, bei der die Substanz bei 95 Prozent der Probanden die gewünschte Wirkung erzielt. Die Metaanalyse zeigte, dass eine höhere Dosis bei Patienten mit akuter Schizophrenie meist nicht besser wirkte als die ED95.

Bestehe ein erhöhtes Risiko für eine Gewichtszunahme, sei die geeignete Auswahl eines Wirkstoffs das A und O, betonte Leucht. Zudem müssten die Patienten mit Blick auf ihre Ernährung und ihren Lebensstil intensiv beraten und unterstützt werden. Eine weitere Option sei die zusätzliche Gabe von Metformin. Der Psychiater plädierte dafür, das Biguanid bei Antipsychotika, die mit einer hohen Gewichtszunahme assoziiert sind, prophylaktisch einzusetzen.

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