Wenn Arzneimittel das Herz angreifen |
Wie kann das Hertz vor Arzneimittelnebenwirkungen geschützt werden? Dies ist eine Frage unter anderem in der Kardioonkologie. / Foto: Adobe Stock/vladim_ka
Als kardiotoxisch werden Arzneistoffe, andere Substanzen oder auch Strahlen bezeichnet, die das Herz auf unterschiedliche Weise vorübergehend oder dauerhaft attackieren und in seiner Funktion beeinträchtigen. Meist bringen Kardiotoxine entweder den Herzrhythmus durch eine veränderte Reizleitung aus dem Takt oder sie greifen die Herzmuskelzellen an. Auch gefäßverengende und entzündliche Prozesse können zu einer verminderten Pumpfunktion des Herzmuskels und schließlich einer Herzinsuffizienz führen.
Eine rasch nach einer systemischen Arzneimittelgabe auftretende kardiale Komplikation zeigt sich oft an einem gestörten Herzrhythmus. Arrhythmien umfassen ein breites Spektrum: von einer zu langsamen Frequenz über einen zu schnellen Herzschlag bis zu einer Verlängerung der QTc-Zeit, einer Messgröße bei der Auswertung des Elektrokardiogramms (EKG).
Die QT-Zeit beschreibt die Erregungsdauer der Herzkammer, von der Q-Zacke bis zur T-Welle im EKG, und entspricht damit nahezu der Systole. / Foto: Adobe Stock/lukpedclub
Als QT-Intervall wird die Zeit zwischen der Q-Zacke und dem Ende der T-Welle definiert. Sie entspricht annähernd der mechanischen Systole, der Kontraktionsphase des Herzens, die zusammen mit der anschließenden Diastole, der Erschlaffungsphase, eine mechanische Herzaktion bildet. Die mechanische Herzaktion folgt einem elektrisch gesteuerten Rhythmus aus Depolarisation und Repolarisation.
Mit der Repolarisation endet die Erregungsphase des Leitungssystems und das Membranpotenzial kehrt durch Öffnen von Kaliumkanälen wieder in den Ausgangszustand zurück. Läuft dieser Prozess verzögert ab, können Nachbarzellen erregt werden und ein viel zu schneller Rhythmus kann eine potenziell lebensbedrohliche Störung auslösen. Da diese Tachykardie von den Herzkammern ausgeht, wird sie als ventrikulär bezeichnet.
In den meisten Fällen endet die Attacke nach wenigen Sekunden spontan. Es kann jedoch in seltenen Fällen zu »Torsades de pointes« kommen, die in ein Kammerflimmern übergehen können, das zum plötzlichen Herztod führen kann.
Als Normalwert gilt ein QT-Intervall unterhalb von 440 Millisekunden (ms). Dieser Wert bezieht sich auf eine standardisierte QTc-Zeit, die dem Intervall bei einer Herzfrequenz von 60 Schlägen pro Minute entspricht. Da das durchschnittliche QTc-Intervall von Frauen und Männern leicht differiert, wurden spezielle Grenzwerte festgelegt: 460 ms (Frauen) und 450 ms (Männer).
Überschreitet das QTc-Intervall dauerhaft diese Grenzwerte, liegt ein sogenanntes Long-QT-Syndrom (LQTS) vor. Zwar gibt es eine primäre angeborene Form des LQTS, doch wesentlich häufiger sind erworbene sekundäre Formen, meist ausgelöst durch Medikamente (1, 2).
Ein verkürztes QT-Intervall, ein Short-QT-Intervall, ist eine seltene Erkrankung, die genetisch determiniert ist und nicht durch Arzneimittel ausgelöst wird.
Zahlreiche Arzneistoffe können Arrhythmien induzieren. Für die Patienten ist diese Nebenwirkung oft sehr beunruhigend und belastend. / Foto: Adobe Stock/Viacheslav Lakobchuk
Eine Vielzahl von Arzneistoffen kann zu einer Veränderung der QTc-Zeit im EKG führen. Vor allem Antiarrhythmika der Klassen Ia (Chinidin, Ajmalin), Ic (Flecainid, Propafenon) und III (Amiodaron, Dronedaron) sowie der nicht selektive Betarezeptorenblocker Sotalol können die Repolarisation hemmen und ein LQTS auslösen.
Eine sehr umfangreiche, ständig aktualisierte Sammlung an Arzneistoffen, die einen Einfluss auf die QTc-Zeit haben, findet sich unter www.CredibleMeds.org, einer Datenbank, die Arzneistoffe nach ihrem Risiko klassifiziert, ein LQTS zu induzieren.
Bei der Abgabe eines Arzneimittels zeigt die Interaktionsdatenbank der Apotheke sehr häufig eine mögliche Verlängerung der QTc-Zeit an. Diese unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) kann in sehr seltenen Fällen zu einer potenziell tödlichen Torsade-de-pointes-Arrhythmie führen. So steht das Apothekenteam immer wieder vor der Frage, in welchen Situationen der behandelnde Arzt kontaktiert werden sollte.
Zu Komplikationen kommt es meist nur, wenn neben einem QTc-Zeit-verlängernden Medikament noch zusätzliche Risikofaktoren vorliegen, die in der Apotheke aber oft nur teilweise bekannt sind:
Ob ein genetisch prädisponierendes LQTS vorliegt, das möglicherweise erst durch QTc-Zeit-verlängernde oder den CYP-Metabolismus hemmende Medikamente klinisch relevant wird, ist meist nicht bekannt. »Deshalb müssten wir theoretisch immer anrufen, wenn die Datenbank auf eine mögliche QTc-Zeit-Verlängerung hinweist«, erklärt Stefan Göbel, niedergelassener Apotheker in Heringen, auf Nachfrage der PZ.
»Im Apothekenalltag gehen wir pragmatisch vor und kontaktieren unsere Ärzte nur dann, wenn laut Datenbank mehr als zwei QTc-Zeit-verlängernde Medikamente verordnet sind oder wenn ein neues QTc-Zeit-verlängerndes Medikament zur bisherigen Medikation, vielleicht auch noch durch eine andere Arztpraxis hinzukommt, und laut Auskunft des Patienten kein neues EKG gemacht wurde. Kardiologen und Psychiater kontaktieren wir im Allgemeinen nicht, da dort QTc-Zeit-verlängernde Medikamente häufig vorkommen und deshalb im Blick sind.«
Der Apothekenleiter hofft, dass der direkte Austausch zwischen Arztpraxis und Apotheke durch die Digitalisierung schneller und unkomplizierter wird. »Momentan händigen unsere Ärzte ihren Patienten, bei denen ein erhöhtes LQTS-Risiko vorliegt, ein blaues Rezept aus, das wir in unsere Datenbank einpflegen. Das bringt mehr Klarheit und stärkt auch die Wahrnehmung unserer Kompetenz. Für die Zukunft erwarte ich mir von der elektronischen Patientenakte noch deutlich mehr Arzneimittelsicherheit.«
Arzneimittel können nicht nur den Elektrolyteinstrom in Ionenkanäle der Herzmuskelzellen und damit den Herzrhythmus beeinflussen, sondern auch das Blut zäher fließen lassen oder Entzündungsprozesse am Gefäßendothel anstoßen und so dem Herz-Kreislauf-System zusetzen. Auch häufig verwendete Schmerzmittel können diese unerwünschten Wirkungen auslösen (5).
Nicht steroidale antiinflammatorische Medikamente (Non-steroidal anti-inflammatory drugs, NSAID) hemmen meist unspezifisch sowohl das Enzym Cyclooxygenase-1 (COX-1) als auch dessen Isoform COX-2. Mit der Entwicklung von COX-2-Inhibitoren hatte man zwar einen gezielteren Eingriff in die Entzündungskaskade erreicht, doch deren unerwünschte kardiovaskuläre Effekte fielen schon bald nach ihrer Einführung auf und führten zu mehreren Marktrücknahmen.
Die COX-2-Hemmer sind zwar besser magenverträglich als nicht steroidale Antiphlogistika, aber sie fördern die Thrombozytenaggregation und Gefäßentzündungen. / Foto: Stock Adobe/Tatiana Shepeleva
Wie die als Coxibe bezeichneten Substanzen Herz und Gefäße attackieren, ist plausibel. Durch die selektive Blockade der COX-2 steht der COX-1 mehr Arachidonsäure zur Verfügung, sodass daraus mehr Prostaglandine gebildet werden, unter anderem Thromboxan A2, das eine Aggregation der Thrombozyten und eine Konstriktion der Gefäße begünstigt.
In geringerem Maß trifft dies auch auf die anderen NSAID zu, deren wichtigster Vertreter im OTC-Bereich Ibuprofen ist. Die Fachinformation von Ibuprofen-haltigen Arzneimitteln verweist auf das geringfügig erhöhte Risiko von arteriellen thrombotischen Ereignissen wie Herzinfarkt und Schlaganfall bei einer Tagesdosis über 2400 mg (6).
Das in einer Dosierung bis 75 mg apothekenpflichtige Diclofenac ist kontraindiziert bei Patienten mit Herzinsuffizienz (New York Heart Association, NYHA, Stadien II bis IV), ischämischer Herzerkrankung, peripherer Arterienerkrankung oder zerebrovaskulärer Erkrankung. Patienten mit Herzinsuffizienz oder einer ischämischen Erkrankung des kardiovaskulären Systems sollten ein NSAID deshalb nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung und in möglichst niedriger Dosierung erhalten. Dies zu vermitteln, erfordert im Apothekenalltag oft einiges an Fingerspitzengefühl.
»Wird ein NSAID gewünscht, frage ich immer nach, ob Herz und Blutdruck in Ordnung sind. Wenn das nicht sicher ist, empfehle ich meist Paracetamol. In jedem Fall rate ich dem Patienten, das Medikament nur kurzfristig und niedrig dosiert einzunehmen und möglichst bald den Arzt zu kontaktieren«, beschreibt Göbel das Procedere in seiner Apotheke. »Ich mache gute Erfahrungen damit, den Kunden oder Patienten ein mögliches Risiko genau zu erläutern. Die Entscheidung müssen sie letztendlich selbst treffen. Wenn sich die Menschen ernst genommen fühlen, entwickeln sie auch Vertrauen zu uns.«
Einzelne Fälle von Myokarditis (Herzmuskelentzündung) oder Perikarditis (Herzbeutelentzündung), vor allem nach einer Impfung mit mRNA-Vakzinen, wurden in den vergangenen Monaten aus mehreren Ländern berichtet. Nach den bislang vorliegenden Daten sind offenbar vor allem junge Männer zwischen 16 und 30 Jahren nach Gabe der zweiten Dosis betroffen, typischerweise innerhalb von 14 Tagen. Darüber informierten die Herstellerfirmen Biontech und Moderna in einem gemeinsamen Rote-Hand-Brief am 19. Juli 2021.
Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz der Europäischen Arzneimittelagentur (Pharmacovigilance Risk Assessment Committee, PRAC) hat deshalb beschlossen, Myokarditis und Perikarditis in die Fach- und Gebrauchsinformationen beider mRNA-Impfstoffe aufzunehmen. Der PRAC kam zu dem Schluss, dass zwischen Impfungen mit Covid-19-mRNA-Impfstoffen und Myokarditis oder Perikarditis mindestens ein möglicher kausaler Zusammenhang bestehen könnte. Der Nutzen der Impfung überwiege auch weiterhin die Risiken, heißt es im Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) vom 15. Juli 2021.
Das PEI appelliert an Ärzte und medizinisches Fachpersonal, auf die Zeichen und Symptome von Myokarditis und Perikarditis zu achten und geimpfte Personen darauf hinzuweisen, bei Brustschmerzen, Kurzatmigkeit oder Palpitationen sofort medizinische Beratung und Hilfe einzuholen.
Die Melderate an unerwünschten Arzneimittelwirkungen betrug für alle Covid-19-Impfstoffe zusammen laut PEI-Bericht 1,4 pro 1000 Impfdosen, für Meldungen über schwerwiegende Reaktionen 0,1 pro 1000 Impfdosen gesamt.
Quellen:
Die weitaus größte Gruppe mit einer ausgeprägten Kardiotoxizität sind die in der Tumortherapie eingesetzten Substanzen. Die Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit onkologischen Erkrankungen haben sich in den vergangenen Jahren wesentlich erweitert. So ermöglichen neu eingeführte zielgerichtete Substanzen spezifischere Therapieansätze. Oft wird ihr Einsatz jedoch durch UAW wie eine Kardiotoxizität begrenzt.
Wie häufig und wie stark die Medikamente tatsächlich kardiotoxisch wirken, ist schwierig zu quantifizieren, da viele Patienten vor der Tumortherapie bereits Risikofaktoren für eine Koronare Herzkrankheit (KHK) aufweisen. Dazu zählen zum Beispiel Diabetes mellitus, Adipositas, Hypertonie und Lipidstoffwechselstörungen.
Einen detaillierten Überblick über die Kardiotoxizität einer Krebstherapie gibt ein Positionspapier der European Society of Cardiology (ESC) aus dem Jahr 2016, das im Wesentlichen auf die folgenden Substanzklassen verweist (7, 8, 9).
Die Anthrazykline Doxorubicin, Daunorubicin, Idarubicin, Epirubicin und das Anthrachinon Mitoxantron sind Klassiker in der Behandlung von Krebserkrankungen. Seit Langem ist bekannt, dass sie auch das Herz angreifen können. Schon während der Infusion kann das Herz aus dem Takt geraten. Eine verminderte Pumpfunktion der linken Herzkammer kann noch Jahrzehnte nach Therapieende auftreten, ebenso wie Thromboembolien oder ein Myokardinfarkt.
Gefürchtet sind diese Spätfolgen besonders nach einer Anthrazyklin-Behandlung in der Kindheit. Bis zu 30 Jahre später entwickeln laut einer 2014 publizierten Studie 8,3 Prozent der nun längst Erwachsenen eine Kardiomyopathie. Selbst kleine Schäden der Herzmuskelzellen können diese zu einem verstärkten Wachstum anregen, das zu irreversibel vergrößerten Herzkammern und -vorhöfen führen kann (10, 11).
Zytostatika können die Herzfunktion nachhaltig angreifen. Gefürchtet sind Spätfolgen nach einer Anthrazyklin-Behandlung in der Kindheit und Jugend. / Foto: Adobe Stock/Antonio Hugo
Eine Zytostatika-assoziierte Kardiomyopathie sei eine Ausschlussdiagnose, erklärt Privatdozent Dr. Clemens Gießen-Jung vom Klinikum Großhadern der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität gegenüber der PZ. »Wenn die Pumpfunktion des Herzens gestört ist, jedoch eine Ischämie durch eine Koronarangiografie ausgeschlossen wurde und die Anamnese des Patienten auf eine Tumortherapie hinweist, ist dies ein starkes Indiz für einen kardiotoxischen Schaden durch die frühere Krebstherapie.« In der Transitionsmedizin, dem Übergang von der Kinderheilkunde in die Erwachsenenmedizin, werde es zunehmend wichtiger, nicht nur ein mögliches Rezidiv eines Tumors im Blick zu behalten, sondern auch die Spätfolgen einer Chemo- und/oder Radiotherapie, führt der Onkologe aus. »Während einer laufenden Behandlung sind regelmäßige kardiologische Kontrollen heute Standard, um auch asymptomatische Patienten frühzeitig entdecken zu können.«
Auch Daten aus der Zwillingsforschung belegen eine Kardiotoxizität einer früheren antineoplastischen Behandlung. Langzeitüberlebende einer Krebserkrankung in der Kindheit haben ein sechsfach höheres Risiko, ein Herzversagen zu erleiden als ihre nicht erkrankten Geschwister. Die kardiologische Nachsorge der Kinder und Jugendlichen sollte zwölf Monate nach Therapieende beginnen und lebenslang mindestens alle fünf Jahre erfolgen, heißt es in einem Konsensuspapier mehrerer Fachgesellschaften aus dem Jahr 2020 (12).
Das Risiko einer Kardiomyopathie hänge vor allem von der verabreichten Gesamtdosis der Anthrazykline ab, erläutert Gießen-Jung. Oberhalb einer definierten Schwellendosis sei mit einem sehr hohen Risiko eines irreversiblen Verlusts an Kardiomyozyten zu rechnen.
Fortschritte bei der Therapie brachte ein pharmazeutisch-technologischer Kniff: Durch »Verpacken« des Anthrazyklins in Liposomen und/oder eine Bindung an Polyethylenglykol (PEG) kann die Wirksamkeit verbessert werden. Liposomale Varianten würden in erster Linie bei entsprechender Risikokonstellation hinsichtlich der Grund- und/oder Begleiterkrankungen eingesetzt, berichtet der Onkologe.
Wie genau Anthrazykline dem Herzen schaden, ist noch nicht bis ins Detail verstanden. Vermutlich entstehen bei den durch Anthrazykline induzierten DNA-Strangbrüchen reaktive Sauerstoffspezies (ROS), die die Biosynthese der Kardiomyozyten behindern und eine Apoptose auslösen. Zudem hemmen Anthrazykline das Enzym Topoisomerase-2, das bei der DNA-Synthese für die korrekte Form der DNA sorgt (13). Die untergehenden Herzmuskelzellen lösen einen Stress- und Alarmzustand aus, der ein pathologisches Wachstum des Gewebes in Gang setzt und sich schließlich in einer Kardiomyopathie niederschlägt.
Ein Klassiker der Zytostatikatherapie ist Cyclophosphamid, das vor allem in höherer Dosierung eine akute Kardiomyopathie hervorrufen kann. Schäden können sich in Entzündungen des Myokards sowie Perikards zeigen, die vermutlich auf eine beeinträchtigte Funktion der Kapillaren des Endothels zurückzuführen sind.
Platinderivate wie Carboplatin und Cisplatin wirken prokoagulatorisch und können das Gefäßendothel angreifen. Beide Effekte begünstigen das Entstehen von Thrombosen und Thromboembolien. Nach einer platinhaltigen Chemotherapie ist das Risiko, innerhalb von 20 Jahren eine KHK zu entwickeln, deutlich erhöht.
Eine kardiale Toxizität durch Docetaxel oder Paclitaxel zeigt sich vor allem in subakut oder akut auftretenden Arrhythmien. Taxane rufen allein keine Herzinsuffizienz hervor, in Kombination mit Anthrazyklinen verstärken sie jedoch deren Toxizität. Der Grund liegt in einer pharmakokinetischen Interaktion: Taxane hemmen die Elimination der Anthrazykline, die so im Körper akkumulieren.
Unter dem Antimetaboliten 5-FU (5-Fluorouracil) manifestieren sich kardiale Symptome meist in den ersten Stunden nach Therapiebeginn, am häufigsten als reversible Angina-pectoris-Beschwerden, meist bedingt durch einen Vasospasmus. Auch Arrhythmien können auftreten. Das oral verfügbare Prodrug Capecitabin zeigt ähnliche kardiale Nebenwirkungen wie die Infusionstherapie mit 5-FU.
Erst ein besseres Verständnis der molekularen Mechanismen, die maligne Zellen von gesunden unterscheiden, hat die Entwicklung zielgerichteter Arzneistoffe ermöglicht. Dies hat dazu beigetragen, die Toxizität der Krebsbehandlung zu vermindern. Doch trotz aller Bemühungen, den molekularen Ansatz spezifisch auf die Tumorzellen zu richten, zeigten sich unerwartet toxische Effekte, auch am kardiovaskulären System.
Regelmäßige Kontrollen der Herzfunktion, hier im Ultraschall, sind bei einer Tumortherapie angebracht. / Foto: Adobe Stock/auremar
Eines der ersten zielgerichteten Therapeutika war Trastuzumab. Der monoklonale Antikörper inhibiert ebenso wie seine Weiterentwicklung Pertuzumab das Oberflächenantigen HER2, das bei manchen Formen des Mammakarzinoms auf der Zelloberfläche vermehrt exprimiert wird. Der HER2-Rezeptor gehört zur Familie der epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptoren (EGFR). Allerdings zeigt gerade die sehr wirksame Kombination mit Anthrazyklinen eine hohe Rate an kardialen Komplikationen wie Linksherz- und Herzinsuffizienz. Im Gegensatz zu Anthrazyklin-bedingten Kardiomyopathien sind die kardialen Schäden durch Trastuzumab jedoch reversibel.
Der Pathomechanismus der kardialen Nebenwirkungen ist plausibel. Die Signalwege von EGF wie auch des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF) unterstützen normalerweise die Reparatur von durch oxidativen Stress geschädigten Kardiomyozyten.
Die neueren EGFR-Inhibitoren wie Erlotinib, Gefitinib und Lapatinib sowie die VEGFR-Inhibitoren Bevacizumab und Ramucirumab lassen dosisabhängig bei bis zu 80 Prozent der Patienten den Blutdruck steigen. Nach dem Absetzen der Therapie ist dieser Effekt auf die Gefäße jedoch reversibel. Bei Patienten, die ein hohes Ausgangsrisiko für kardiovaskuläre Nebenwirkungen haben, empfiehlt die European Society of Cardiology erste Kontrolluntersuchungen bereits zwei bis vier Wochen nach dem Therapiestart mit VEGFR-Inhibitoren (14).
Viele Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) weisen durch eine unspezifische Bindung an andere Kinasen mehrfache Off-Target-Effekte auf. Einige der so blockierten Signalwege, zum Beispiel die der Tyrosinkinasen RAF1 und KIT, sind in gesunden Herzmuskelzellen an Reparaturmechanismen beteiligt (15).
Die beim Multiplen Myelom eingesetzten Proteasom-Inhibitoren Bortezomib und Carfilzomib können eine Herzinsuffizienz begünstigen. Schon in den Toxizitätsstudien war eine fast komplette Hemmung der Proteasomaktivität in Kardiomyozyten aufgefallen.
Der RAS/RAF/MEK/ERK-Signalweg, der am Wachstum einer Zelle wesentlich beteiligt ist, steht schon seit Jahren im Fokus der Arzneimittelforschung. Ein Eingriff in diese Kaskade hat eine spezifische Therapie beim malignen Melanom und beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom erst ermöglicht. Dazu zählen Inhibitoren der B-RAF-Kinase wie Dabrafenib und Vemurafenib sowie der MAP-Kinasen MEK 1 und MEK 2 wie Binimetinib. Auch bei diesen Substanzen traten unter anderem Kardiomyopathien auf, vor allem bei einer kombinierten Anwendung. Da diese Arzneistoffe noch nicht sehr lange am Markt sind, kann das Risiko erst unzureichend quantifiziert werden (16).
Die relativ neue Gruppe der Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI) wie Ipilimumab oder Nivolumab ist häufig mit autoimmun vermittelten Nebenwirkungen assoziiert. Limitierend für eine weiterführende Therapie kann eine durch ICI induzierte Myokarditis sein, die bis zu 5 Prozent der Patienten entwickeln (17).
Foto: ABDA
Orale Onkologika können wie ihr parenteral angewandtes Pendant auf unterschiedliche Art und Weise das Herz-Kreislauf-System schädigen. Vielfältige Arrhythmien, zum Beispiel supraventrikuläre Tachykardien, Bradykardien oder QTc-Zeit-Verlängerungen, sind möglich. Auch ein erhöhtes Risiko für thromboembolische Erkrankungen und für eine Beeinträchtigung des Herzmuskels konnte gezeigt werden.
Die Verlagerung der Therapie in den ambulanten Sektor bringt auch mehr Verantwortung für die Apotheker und erfordert eine erhöhte Aufmerksamkeit, um die Patienten gut im Auge zu behalten. Mitunter berichten Patienten, die ein oral verfügbares Medikament wie Capecitabin erhalten, in der Apotheke früher über Beschwerden als in der Klinik, wo der nächste Untersuchungstermin vielleicht erst in einigen Wochen ansteht. Dann muss der Patient schnell an den behandelnden Onkologen oder die Klinik verwiesen werden, damit die Therapie angepasst oder auch abgebrochen werden kann.
Wahrscheinlich ist die Schädigung am Herzen nach Abschluss der Therapie bei vielen Patienten zumindest teilweise reversibel. Aktuell gibt es nur wenige Möglichkeiten, den Patienten schon vor oder während der Therapie zu schützen. Zugelassen zur Kardioprotektion ist der Chelatbildner Dexrazoxan, der freies und Anthrazyklin-gebundenes Eisen bindet.
Die Studienlage zur präventiven Gabe von ACE-Hemmern und Betablockern ist noch dünn. Jedoch zeichnet sich die Tendenz ab, dass diese Arzneimittel die kardiovaskulären Nebenwirkungen mindern können.
Herzschutz von der Diagnose an: Dieses Ziel verfolgt die Kardio-Onkologie. / Foto: Adobe Stock/H_Ko
Als neuer kardioprotektiver Ansatz werden aufgrund ihres antioxidativen Potenzials Statine diskutiert. Eine kürzlich im Journal of the American Heart Association veröffentlichte retrospektive sogenannte Matched-Pair-Studie zeigte neue Daten. Eine Gruppe von Patientinnen, die mit Anthrazyklinen oder Trastuzumab und zusätzlich Statinen behandelt worden war, wurde mit Frauen ähnlichen Alters und Begleiterkrankungen verglichen, die die gleiche zytostatische Therapie erhalten hatten, jedoch keine Statine. Das Ergebnis: Die erste Gruppe hatte signifikant seltener eine Herzinsuffizienz entwickelt als die Patientinnen ohne Statine. Um die Aussagekraft dieses Therapiekonzepts zu erhöhen, müssen die Ergebnisse in prospektiven, randomisierten Interventionsstudien jedoch bestätigt werden (18, 19).
In den letzten Jahren hat sich ein neuer interdisziplinärer Zweig der Kardiologie entwickelt, die Kardio-Onkologie. Ihr Ziel ist es, Patienten vor, während und nach einer Krebsdiagnose und potenziell kardiotoxischen Therapie zu begleiten, aber auch die Pathomechanismen von Kardiotoxizität besser zu verstehen (20).
»Herzerkrankungen und Krebs haben nicht nur einige gemeinsame Risikofaktoren, sondern auch genetische und molekulare Wurzeln«, erklärt Professor Dr. Kristina Lorenz vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Würzburg im Gespräch mit der PZ. Die Ärztin forscht in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz (DHZI) seit Jahren auf diesem Gebiet. Gemeinsame Signalwege könnten sogar potenzielle Targets für neue Arzneimittel eröffnen, erläutert die Wissenschaftlerin (21, 22). »Wir streben an, schon früher in die Signalkaskade der extrazellulär regulierten Kinasen, beispielsweise den RAS/RAF/MEK-Pfad, einzugreifen und Substanzen mit einem nebenwirkungsärmeren Profil zu entwickeln, als es die jetzt verfügbaren RAF- oder MEK-Inhibitoren aufweisen«.
Zurzeit würden auch die Toxizitätsprüfungen durch internationale Arzneimittelzulassungsbehörden, Akademia und Arzneimittelentwickler im Rahmen von CiPA (Comprehensive in-vitro Proarrhythmia Assay) überarbeitet, berichtet Lorenz. Eine Wirkung auf den wichtigsten Ionenkanal, der zu einer verlängerten QTc-Zeit führt, zu überprüfen, ist Standard. Eine toxikologische Prüfung soll in Zukunft jedoch auch den Einfluss auf andere myokardiale Ionenkanäle und die Kontraktionsfähigkeit der Herzmuskelzellen bestimmen, um das kardiotoxische Potenzial einer Substanz früh zu entlarven (23, 24).
Hannelore Gießen studierte Pharmazie an der Universität Karlsruhe. Nach mehrjähriger Tätigkeit in öffentlichen Apotheken und einer journalistischen Ausbildung ist sie seit 1990 freiberuflich als Fachjournalistin tätig und bearbeitet medizinische, pharmazeutische und biotechnologische Themen für Fachzeitschriften. Gießen hat sich zur Apothekerin für Allgemeinpharmazie weitergebildet und 2013 den Studiengang Consumer Health Care an der Charité Universitätsmedizin Berlin absolviert. In ihrer Masterarbeit befasste sie sich mit ethischen Aspekten der Bewertung und Kommunikation von Arzneimittelrisiken.