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Bundestagswahl

Wen könnten Apotheker wählen?

Deutschland steht vor einer historischen Bundestagswahl. Aber während das ganze Land über mögliche Koalitionen und den oder die nächste Kanzler/-in spricht, stecken die Apotheken noch im Krisenmodus. Umso wichtiger ist die Frage: Wie geht es in der nächsten Legislaturperiode und nach der Pandemie weiter mit der Apothekenpolitik? Die PZ hat bei den Parteien nachgefragt.
Benjamin Rohrer
Stephanie Schersch
Ev Tebroke
24.09.2021  18:00 Uhr

Rund 60 Millionen Wahlberechtigte sind am 26. September dazu aufgerufen, den 20. Deutschen Bundestag zu wählen. Die diesjährige Wahl ist aus mehreren Gründen eine besondere. Mit der Bewältigung der Coronavirus-Pandemie und dem Klimawandel stehen Herausforderungen von existenzieller Bedeutung an. Hinzu kommt, dass Deutschland am 27. September in neuen politischen Verhältnissen aufwachen wird. Das liegt nicht nur daran, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach 16 Jahren im Amt nicht mehr kandidieren wird. Klar ist auch, dass das seit Jahrzehnten eintrainierte System der beiden »Volksparteien« ausgedient hat. Neben CDU/CSU und SPD haben erstmals auch die Grünen mit großem Selbstbewusstsein eine Kanzlerkandidatin aufgestellt. Und das mit Recht, denn zumindest zeitweise lagen die Grünen in den Umfragen sogar vor Union und SPD.

Und auch deswegen ist diese Wahl besonders: Im Gegensatz zu den früheren Bundestagswahlen ist es wenige Tage vor der Abstimmung noch völlig unklar, wer die stärkste Fraktion im nächsten Bundestag stellt und welche Koalitionen sich ergeben könnten.

Fragen an die Politik

Auch für die Apotheker ist dies eine besondere Bundestagswahl. Durch die Pandemie steht die Gesundheitspolitik wie noch nie zuvor im Fokus. Aus der Krise ergeben sich mehrere politische Fragen. Im Auftrag der Politik wurden die Apotheken zu Vor-Ort-Krisenmanagern – wird die nächste Bundesregierung sie aufgrund dieser starken Leistungen auch in Zukunft mit neuen Aufgaben und Dienstleistungen betrauen?

Gerade wenn man an die kurzfristige Herstellung von Desinfektionsmitteln oder die groß angelegte Maskenverteilung denkt, wird klar, wie wichtig Grundpfeiler wie das Fremd- und Mehrbesitzverbot sind. Denn nur unter dieser Prämisse können heilberufliche Kompetenz, unternehmerische Freiheit und Flexibilität gemeinsam ihre Stärke entfalten. Gibt es nach der Krise und in der nächsten Legislaturperiode tatsächlich noch Parteien, die diese Grundfesten des Arzneimittel-Versorgungssystems infrage stellen?

Natürlich gibt es auch jenseits der Pandemie Herausforderungen, denen sich die Apotheken in den kommenden Jahren stellen müssen. Das E-Rezept wird eingeführt und die Versender werden alle möglichen Strategien ausprobieren, um die Systemumstellung für sich zu nutzen. Stellen sich die Parteien im Umbruch vor die inhabergeführte Vor-Ort-Apotheke und lassen keine Verstöße gegen die freie Apothekenwahl zu? Und wie geht die Politik mit der zunehmend sinkenden Apothekenzahl um? Gibt es Parteien, für die der Versandhandel eine größere Rolle in der Versorgung einnehmen sollte?

Um den Apothekenteams kurz vor der Bundestagswahl eine politische Orientierung zu bieten, hat die PZ-Redaktion genau diese Fragen an die sechs im Bundestag vertretenen Parteien gestellt. Denn: Unabhängig von den Positionierungen bei den großen politischen Aufgaben sollten Apotheker, Pharmazieingenieure, PTA und PKA auch wissen, welche Ziele die einzelnen Parteien in ihrer Berufsdomäne verfolgen. Schließlich hängt das Wohl der Apotheken unmittelbar von politischen Entscheidungen ab: Große Teile des Apothekenhonorars sowie fast alle Coronavirus-Sonderaufgaben der Apotheken wurden direktiv von der Bundesregierung per Verordnung vorgegeben. Bis auf die AfD haben alle Parteien auf unsere Fragen geantwortet.

Wankt das Mehrbesitzverbot?

Schon bei der Expopharm Impuls Mitte September, als sich die Gesundheitsexpertinnen und -experten der Parteien zu ihren apothekenpolitischen Plänen für die nächste Wahlperiode äußerten, gab es einige Überraschungen. Insbesondere bei FDP und Grünen scheint zumindest das Mehrbesitzverbot nicht mehr in Stein gemeißelt zu sein. Der AfD-Abgeordnete Jörg Schneider nahm sogar das Wort »Apothekenketten« in den Mund. Und selbst das Bekenntnis des CDU-Arzneimittelexperten Michael Hennrich zum Mehrbesitzverbot klang halbherzig.

Auch bei unserer aktuellen Abfrage bei den Parteien ergeben sich zu diesem Thema spannende Antworten. Die Liberalen wollen das Mehrbesitzverbot »überprüfen« und die Grünen sprechen davon, mehr »Zweigapotheken« zulassen zu wollen, womit höchstwahrscheinlich Filialapotheken gemeint sind. Für Aufregung dürfte auch die Grünen-Forderung sorgen, dass es in Gesundheitszentren »Abgabetresen« für Arzneimittel geben solle. Wer diese Mini-Abgabestellen betreiben dürfe, gibt die Partei allerdings nicht an. CDU, SPD und Linke wollen in diesem Bereich nichts ändern.

Sehr aufschlussreich sind auch die Antworten der Parteien zum Thema Versandhandel. Für die FDP sind die Apotheken zwar das »Rückgrat« der Versorgung – insbesondere mit Blick auf die inländischen Versender wolle man aber einen »Preiskorridor« für Rx-Boni schaffen. Die Grünen äußern sich recht oberflächlich zu diesem Thema, erkennen den Versandhandel aber als »Bestandteil der Versorgung« an.

Lediglich Die Linke zeigt hier klare Kante: Schon seit Jahren fordert die Partei konstant das Rx-Versandverbot. Sollte sich dies nicht durchsetzenlassen, müssten wenigstens neue Qualitätspflichten (Beratungspflicht, Temperaturkontrollen, Lagerungsvorschriften) eingeführt werden.

PZ: Wie steht Ihre Partei zum Fremd- und Mehrbesitzverbot?

SPD: »Die SPD sieht aktuell keine Notwendigkeit, die in Deutschland gültigen Regeln für den Apothekenmarkt zu verändern. Auch wenn die Apothekenzahl abnimmt, so steigt die Zahl der Filialapotheken kontinuierlich. Zudem haben wir in dieser Legislaturperiode die Apotheken vor Ort umfassend gestärkt. Darauf wollen wir aufbauen und so ein flächendeckendes Netz an inhaberge­führten Vor-Ort-Apotheken erhalten. Wir werden aber die Entwicklung in diesem Bereich sehr aufmerksam verfolgen, damit wir im Bedarfsfall schnell reagieren können.«

CDU/CSU: »Eine qualitativ hochwertige, sichere und wohnortnahe Arzneimittelversorgung erfordert freiberuflich tätige Apothekerinnen und Apotheker in inhabergeführten Apotheken. Deshalb wollen CDU und CSU an der jetzigen Rechtslage festhalten. An dem bestehenden Mehr- und Fremdbesitzverbot planen wir keine Änderungen.«

Bündnis 90/Die Grünen: »Wir planen keine Veränderungen beim Fremd- und Mehrbesitzverbot im deutschen Apothekenmarkt. Aus unserer Sicht ist es mit Blick auf die Versorgung ländlicher und strukturschwacher Räume drängender, die Möglichkeiten zum Aufbau von Zweigapotheken zu erweitern und die Apothekenbetriebsordnung etwa bei mobilen Angeboten oder der Möglichkeit von Abgabetresen in Gesundheits­zentren zu flexibilisieren.«

FDP: »Wir Freie Demokraten wollen die flächendeckende Versorgung mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln sowie eine qualifizierte Beratung von Patientinnen und Patienten. Hierbei spielen die Vor-Ort-Apotheken eine wichtige Rolle. Die Novelle des Apothekengesetzes aus dem Jahr 2003, wonach es Apotheken gestattet ist, neben der Hauptapotheke bis zu drei Filialapotheken zu betreiben, sollte dahingehend überprüft werden, ob es unter versorgungspolitischen Aspekten sinnvoll sein kann, den Betrieb von mehr als drei Filialapotheken zu ermöglichen.«

Die Linke: »Die Linke sieht darin ein wichtiges Instrument des Verbraucherschutzes sowie zur Verhinderung einer weiteren Monopolisierung und Kommerzialisierung des Apothekenmarktes. Insbesondere der Betrieb von Apotheken durch Nichtfachleute hätte gravierende negative Folgen für die Versorgungsqualität. Unser Ansatz für wohnortnahe Apotheken ist der Ausbau der flächendeckenden ärztlichen Versorgung. Denn: Sind die Ärzte vor Ort, bleiben auch die Apotheken erhalten, und sie könnten stärker in Präventionsaufgaben einbezogen werden.«

Wie geht es beim E-Rezept weiter?

Auch beim Thema E-Rezept fordern die Linken einen Kurswechsel. Eine »überhastete und aktionistische Einführung« mache keinen Sinn und in jedem Fall müsse die freie Apothekenwahl erhalten bleiben. Die Grünen stellen sich hier überraschenderweise hinter eine Forderung der Krankenkassen und schlagen vor, dass die E-Rezept-Übermittlung an Apotheken auch in den Smartphone-Apps der Kassen für die elektronische Patientenakte (ePA) integriert wird.

Eine solche Integration des E-Rezepts in die ePA wäre aus Apothekersicht schwierig. Denn in Hessen haben AOK und DAK in einem E-Rezept-Modellprojekt gezeigt, worum es ihnen auch geht: In diesem Projekt hatten die Kassen die Möglichkeit, die Verordnungen vor ihrer Einlösung in der Apotheke teilweise einzusehen.

Interessant ist, dass die Union beim E-Rezept eine lang erwartete Verordnung ankündigt, mit der das Bundes­gesundheitsministerium (BMG) unter anderem die Rechte und Möglichkeiten von Drittanbieter-Apps regeln könnte. Für die Apotheken wäre eine solche Verordnung von großer Bedeutung, weil darin geklärt werden könnte, wie unkompliziert Versender die E-Rezept-Übermittlung selbst übernehmen dürfen.

PZ: Das E-Rezept kommt. Sollte es bei der E-Rezept-Übermittlung mehr Wettbewerb zwischen den Anbietern von Plattformen und Apps geben?

SPD: »Es ist wichtig, dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen für die Bürger:innen und Leistungserbringer spürbar vorangetrieben wird. Die Pandemie hat gezeigt, dass viele Menschen für digitale Formen offen sind, auch wenn der persönliche Kontakt niemals komplett ersetzt werden kann. EPA, E-Rezept und telemedizinische Leistungen werden unseren Gesundheitssektor voranbringen. Da Gesundheitsdaten aber sehr sensible Daten sind, müssen wir eine Balance finden zwischen notwendiger Regulierung und Innovation.

CDU/CSU: »Das elektronische Rezept wird zunächst ausschließlich mit der Gematik-Lösung genutzt werden können. Eine Rechtsverordnung zum Digitale-Versorgung-und-Patientendatenschutzgesetz (DVPMG) wird zeitnah folgen.«

Bündnis 90/Die Grünen: »Unsere Fraktion hat das Makelverbot im Gesetzgebungsprozess befürwortet. Wichtiger ist uns aber folgender Punkt: Aktuell ist das E-Rezept lediglich die Digitalisierung des bislang analogen Transportweges. Notwendig ist, dass ein tatsächlicher Versorgungsnutzen, etwa für das Medikationsmanagement und die Arzneimitteltherapiesicherheit, entsteht. Dieses Ziel hat die Koalition aus Union und SPD leider verpasst. Hierzu wäre die Integration in die Patientenakte sinnvoll.«

FDP: »Digitale Rezepte sind nur ein erster Schritt für den dringend erforderlichen Digitalisierungsprozess im Gesundheitswesen. Deutschland muss hier seinen Rückstand gegenüber anderen Ländern zügig aufholen. Wir Freie Demokraten setzen uns deshalb für ein neues E-Health-Gesetz ein. Die Digitalisierung kann sowohl der Forschung als auch der Wissensgenerierung dienen. Hier müssen bessere Rahmenbedingungen geschaffen und schnellere Zulassungen ermöglicht werden. Bislang hat die Bundesregierung die Möglichkeiten der Digitalisierung im Gesundheitswesen verschlafen: eine stärkere Vernetzung, strukturiertere Versorgung, neue Kommunikations- und Interaktionsformen zwischen Patienten, Ärzten und Krankenhäusern. Es ist deutlich mehr Tatkraft der Regierung nötig, um dem Patienten eine zeitgemäße Behandlung zu ermöglichen.«

Die Linke: »Das E-Rezept kann die Versorgung verbessern, aber auch verschlechtern (Datendiebstahl etc.). Wesentlich bleibt für Die Linke, die krisenfeste Arzneimittelversorgung (Internetprobleme etc.). Vor diesem Hintergrund lehnen wir die überhastete und aktionistische Einführung des E-Rezepts nach dem neuen Konzept ab. Verschreibungen ohne Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sind nicht sicher genug. Das Makeln von Rezepten muss zuverlässig unterbunden bzw. mit hohen Strafen belegt werden. Die freie Apothekenwahl muss auch mit dem E-Rezept gewährleistet bleiben.«

Mehr Dienstleistungen, mehr Personal?

Einig waren sich die Parteien schon beim Expopharm-Impuls-Interview darüber, dass die Apothekenteams ihre Kompetenzen durch pharmazeutische Dienstleistungen noch intensiver in die Versorgung einbringen sollen. Die aktuelle Abfrage zeigt, wie unterschiedlich die Parteien den Dienstleistungsausbau in den Apotheken gestalten wollen. Die FDP denkt beispielsweise darüber nach, Cannabis zu Genusszwecken kontrolliert über Apotheken abgeben zu lassen. Den Linken schwebt ein »digitales Medikationsmanagement« vor; die Grünen wollen »bestimmte Impfungen« in Apotheken zulassen und die SPD bezieht sich sogar konkret auf FSME-Immunisierungen.

Klar ist aber auch, dass jegliche Leistungserweiterungen nur möglich sind, wenn die Apotheken personell gut aufgestellt sind. Und hier droht dem Apothekenmarkt ein großes Problem. Weil es immer mehr Jungapprobierte in ­Industrie und Kliniken zieht, gleichzeitig aber der Personalbedarf in den Apotheken steigt und das Durchschnittsalter der Inhaber recht hoch ist, drohen den Offizinen heftige Personalengpässe.

Auch dazu hat die PZ-Redaktion bei den Parteien nachgefragt – und auch hier ergeben sich spannende Antworten. Die Liberalen setzen auf mehr Hilfe durch PTA und PKA und fordern eine Abschaffung der Schulgelder in den Aus­bildungsberufen. Kleine Anmerkung: Eigentlich hatte die Große Koalition dies bereits in ihrem letzten Koalitionsvertrag versprochen, dann aber nicht umgesetzt. Die Grünen wiederum wünschen sich »familienfreundlichere Arbeitsbedingungen« und eine Weiterentwicklung des Pharmaziestudiums, damit Kompetenzen besser eingebracht werden können – wie das genau geschehen soll, kommunizieren sie allerdings nicht. Die SPD sieht hier auch die Standesvertretung in der Pflicht, die für ihr eigenes Berufsbild werben müsse.

PZ: Wie steht Ihre Partei zu pharmazeutischen Dienstleistungen? In welchen Bereichen würden Sie Apotheken mehr Kompetenzen übertragen?

SPD: »Die Apotheker:innen sind keine reinen Verkäufer, sondern Angehörige eines Heilberufes. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken haben wir diese Expertise der Apotheker:innen in den Vordergrund gerückt und wollen die Beratungskompetenz stärker nutzen. Auch die Grippeimpfung in Apotheken war der SPD ein wichtiges Anliegen. Zudem sind Impfungen mit regionalem Schwerpunkt, zum Beispiel FSME, vorstellbar. Darüber hinaus ist vor allem im Bereich der Polymedikation noch viel zu tun. Hier setzen wir auf die Beratungskompetenz der Apotheker.«

CDU/CSU: »Mit dem zum 1. März 2020 in Kraft getretenen Masernschutzgesetz wurde in § 132j SGB V (Sozialgesetzbuch) geregelt, dass Apothekerinnen und Apotheker in öffentlichen Apotheken im Rahmen von Modellvorhaben gesetzlich krankenversicherte Menschen gegen Influenza (Grippe) impfen dürfen. CDU und CSU wollen die hierzu angelaufenen Modellprojekte auswerten und dann – gemeinsam mit den Apothekerinnen und Apothekern – entscheiden, ob und wenn ja in welchem Rahmen und für welche Impfungen das Impfen in Apotheken weiter ermöglicht werden soll.«

Bündnis 90/Die Grünen: »Die Bedeutung von Apotheker:innen etwa für das Medikationsmanagement und die pharmazeutische Beratung der Patient:innen wird zunehmen. Hier muss es zu Kompetenzausweitungen kommen. Auch bei bestimmten Impfungen können Apotheker:innen mehr Kompetenzen übernehmen. Dies setzt voraus, dass auch die Ausbildung der Pharmazeut:innen weiterentwickelt wird.«

FDP: »Die Vergütung im Bereich der Arzneimitteltherapieberatung war uns schon immer besonders wichtig, um eine Polypharmazie, gerade bei älteren Patienten, zu vermeiden. Denkbar wäre auch eine freiwillige Einbindung der Apotheken bei der kontrollierten Abgabe von Cannabis. Nur so kann die Qualität kontrolliert und die Weitergabe von verunreinigten Substanzen verhindert werden.«

Die Linke: »Die Förderung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) ist eine zentrale Aufgabe von Apotheker:innen und zugleich ein Ziel linker Arzneimittelpolitik. Aufsuchende pharmazeutische Betreuung von multimorbiden Patient:innen und Älteren sowie ein digitales Medikationsmanagement können zu den ersten neuen Aufgaben gehören. Angesichts zahlreicher Probleme in der Adhärenzförderung, der Multimedikation, der Heimversorgung priorisieren wir die Impfung als Kompetenzerweiterung nicht, befürworten sie jedoch grundsätzlich bei entsprechender Schulung.«

Mit FDP und Grünen könnte sich einiges ändern

Welche Schlussfolgerungen können die Apothekenteams aus diesen Aussagen der Parteien ziehen? Klar ist, dass sich alle im Grundsatz zur Apotheke vor Ort als erste und wichtigste Instanz in der Arzneimittelversorgung bekennen. In keinem Statement wurde ein kompletter Umbruch im Apothekenwesen gefordert. Wichtige Grundregeln wie die freie Apothekenwahl oder das Fremdbesitzverbot sind parteiübergreifend anerkannt. Alle befragten Parteien geben an, den Apotheken neue Kompetenzen und Dienstleistungen übertragen zu wollen.

Was die zukünftige Ausgestaltung des Apothekensystems betrifft, gibt es allerdings doch Unterschiede, die für die Apotheken von Bedeutung sind. Insbesondere bei Koalitionen, an denen sich Grüne und/oder die FDP beteiligen, könnte es zu Umstellungen kommen. Beide Parteien stellen das Mehrbesitzverbot infrage.

Im Wettbewerb mit dem Versandhandel sprechen alle Parteien den Apotheken die wichtigere Rolle zu. Bis auf Die Linke, die weiterhin das Rx-Versandverbot einfordert, erkennen aber alle Parteien den Versandhandel als Versorgungsbestandteil an. Sehr interessant ist auch, wie unterschiedlich die politischen Kräfte die (pharmazeutischen) Dienstleistungen konkretisieren würden: Von der Cannabis-Abgabe über FSME-Impfungen und digitale Medikationsanalysen sind viele spannende Ideen dabei.

Auffällig ist, wie unkonkret die Parteien teilweise auf die Frage antworteten, wie viel Wettbewerb künftig bei der E-Rezept-Übermittlung erlaubt sein soll. Wird sich hier noch eine politische Baustelle für die Apotheken auftun?

PZ: Welche Rolle sollte der Versandhandel aus Ihrer Sicht in der flächendeckenden Versorgung übernehmen?

SPD: »Für die SPD ist der Rx-Versandhandel dennoch eine sinnvolle Ergänzung, um die Versorgung von Patient:innen mit speziellen Bedarfen sicherzustellen. Da wir mit dem VOASG die Gleichpreisigkeit von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln festgeschrieben haben, gibt es wieder gleiche Wettbewerbsbedingungen. Zudem haben wir den lokalen Botendienst dauerhaft gestärkt und honorieren die Beratungsleistungen der Apotheken extra.«

CDU/CSU: »Mit dem ›Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken‹ haben CDU und CSU in dieser Wahlperiode die Grundlagen für einen fairen Wettbewerb gelegt. Für Versicherte in der Gesetzlichen Krankenkasse gelten zukünftig gleiche Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Auch die Rabatte von Versandapotheken auf rezeptpflichtige Arzneimittel an gesetzlich Versicherte fallen weg. Für zukunftsweisend im Wettbewerb halten wir auch die Möglichkeit, bei Botendiensten von verschreibungspflichtigen Arznei­mitteln an Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung einen zusätzlichen Betrag je Lieferort und Tag zu erheben.«

Bündnis 90/Die Grünen: »Der Versandhandel ist seit nahezu 20 Jahren Bestandteil der Versorgung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Deutschland. Für den Wettbewerb zwischen stationären Apotheken und dem Versandhandel fordern wir gleiche Bedingungen.«

FDP: »Die inhabergeführte Apotheke ist das Rückgrat der Versorgung und dabei soll es auch in Zukunft bleiben. Um das möglich zu machen, brauchen wir faire Wettbewerbsbedingungen für die Apotheken. Ein pauschales Versandhandelsverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel lehnen wir ab, denn alle Patientinnen und Patienten sollten eine Wahlfreiheit haben. Außerdem muss die freie Apothekenwahl jederzeit gewährleistet sein. Wir fordern faire Rahmenbedingungen zwischen inländischen Apotheken sowie in- und ausländischen Versandapotheken. Es sollte ein geringer Preiskorridor für mögliche Boni geschaffen werden, den alle Apotheken anbieten können. Das muss auch für deutsche Versandapotheken gelten, die bisher gegenüber ausländischen diskriminiert werden.«

Die Linke: »Die Linke lehnt als einzige Partei die Legalisierung des Rx-Versandhandels seit seinem Bestehen ab, weil Versorgungssicherheit und -qualität beschädigt und die wohnortnahe Versorgung und Beratung ausgehöhlt werden. Zudem dürfen ausländische Apotheken nach wie vor bei Privatrezepten Rabatte anbieten, die Präsenzapotheken verboten sind. Solange politische Mehrheiten für ein Versandhandelsverbot mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln fehlen, müssen zumindest die Qualitätsvorgaben ausgestaltet werden: Beratungspflicht, Temperaturkontrollen, Lagerungsvorschriften etc.«

Wichtige Entscheidungen stehen an

Klar ist, dass neben diesen rein apothekenpolitischen Fragen diverse größere (gesundheits)politische Herausforderungen auf den Apothekenmarkt warten. Der nächste Bundestag muss beispielsweise sehr schnell entscheiden, wie es mit den während der Coronavirus-Pandemie eingeführten Sonderregelungen weitergeht. Die epidemische Lage nationaler Tragweite gilt bis Ende November und viele Sonderregeln sind unmittelbar damit verbunden.

Des Weiteren setzt sich die Standesvertretung schon länger dafür ein, dass die pandemiebedingte Lockerung der Rabattverträge auch nach der Krise erhalten bleibt. Bislang gilt diese Regelung nur bis März 2022, wenn die Politik sie vorher nicht verstetigt.

Eine viel größere Entscheidung müssen die nächsten Regierungsfraktionen mit Blick auf die Gesundheitsausgaben treffen. Die während der Krise ausgegebenen Milliarden könnten Spargesetze nach sich ziehen – werden auch die Apotheken hiervon betroffen sein? Klar ist, dass die pandemiebedingten Sondervergütungen (zum Beispiel für Zertifikate, Tests und Impfstoffverteilung), die die Verluste der Apotheken während der Lockdowns zuletzt finanziell ausgeglichen haben, mittel- bis langfristig wegfallen oder zumindest abnehmen werden.

Auch deswegen dürfte in der kommenden Legislaturperiode erneut die Vergütungsfrage gestellt werden, schließlich wurde das Fixhonorar zuletzt 2016 um 25 Cent erhöht. Das Apothekenhonorar könnte sogar ziemlich schnell im kommenden Jahr wieder eine Rolle spielen, wenn es um die pharmazeutischen Dienstleistungen geht. Denn nach den gescheiterten Verhandlungen mit den Krankenkassen stellt sich die Frage, ob die Dienstleistungen den Politikern als Wiedervorlage zurückgespielt werden. Klar ist aber: Laut Gesetz stehen den Apotheken ab 2022 pro Jahr 150 Millionen Euro mehr für entsprechende Dienstleistungen zur Verfügung.

PZ: Der Apothekenmarkt steht vor einem Nachwuchs- und Personalproblem. Was muss die Politik tun, damit sich das Problem nicht verschärft?

SPD: »Apotheker:innen und PTAs sind gefragt. Die ­Arbeitsmarktchancen sind in beiden Berufen ausgezeichnet. Die Zahl der berufstätigen Apotheker:innen ist zwar gestiegen, aber auch der Bedarf in Krankenhäusern, Wissenschaft, Industrie und Verwaltung ist ungebremst. Deshalb ist es wichtig, dass die Apothekerschaft selbst für ihr Berufsbild wirbt, wie sie es mit dem Karriereportal macht. Bei der Berufswahl spielen vor allem Faktoren eine Rolle, die auch aus anderen Berufsfeldern bekannt sind, z. B. das Stadt-Land-Gefälle, Work-Life-Balance, der Trend zur Teilzeitarbeit sowie die sinkende Bereitschaft zur Selbstständigkeit. Angesichts dieser Entwicklung sollten wir auch über eine Erhöhung der Zahl der Studienplätze nachdenken.«

CDU/CSU: »Das Aufgabenfeld zukünftiger Apothekerinnen und Apotheker wird von Vielfältigkeit bestimmt sein, da sie zusätzliche Dienstleistungen anbieten dürfen. Sie führen beispielsweise Arzneimittelanalysen durch, machen Nacht-, Not- und Botendienste. Alle Aspekte werden in der Vergütung dargestellt. Für CDU und CSU sind die Apotheken vor Ort eine wichtige Anlaufstelle in unserem Land. Eine flächendeckende Versorgung mit Apotheken ist unabdingbar. Wir wollen sicherstellen, dass Apotheken auch außerhalb der Ballungsräume existieren können.«

Bündnis 90/Die Grünen: »Wie bei anderen Gesundheitsberufen sind auch bei den Apotheker:innen attraktive Arbeitsbedingungen notwendig, um einen Nachwuchsmangel zu vermeiden. Das beinhaltet auch familienfreundliche Arbeitsbedingungen etwa durch die Möglichkeit zur Anstellung sowie eine Weiterentwicklung der Ausbildung und des Aufgabenfeldes durch neue Kompetenzen.«

FDP: »Wir Freie Demokraten setzen uns dafür ein, dass auch weiterhin die Freien Berufe im Gesundheitswesen gestärkt werden. Niedergelassene Apothekerinnen und Apotheker müssen in medizinischen Fragen autonom und frei von Weisungen Dritter entscheiden können. Denn die Therapiefreiheit der Behandlung ohne Budgetierungszwang kommt den Patientinnen und Patienten zugute. Um dem Fachkräftemangel ein Stück weit im Gesundheitswesen und insbesondere bei den Heilmittelerbringern zu begegnen, sollten Auszubildende bundesweit von der Zahlung von Schulgeldern befreit sein.«

Die Linke: »Apotheker:innen werden im Vergleich mit anderen Akademiker:innen im Gesundheitsbereich laut Tarifvertrag in der öffentlichen Apotheke unterdurchschnittlich bezahlt. Wir unterstützen hier die Bemühungen der Gewerkschaft, den Beruf durch höhere Abschlüsse attraktiver zu machen. Wir hoffen, dass die pharmazeutischen Dienstleistungen auch mit einem Gewinn für die eigenverantwortliche und fachlich anspruchsvolle Arbeit in der Offizinapotheke einhergehen. Wir fordern die beiden Vertragspartner Apothekerverband und GKV auf, die Versorgungsqualität wirklich voranzubringen.«

Wer wird Gesundheitsminister/-in?

Schließlich stellt sich kurz vor dem Ende einer Legislaturperiode immer die Personalfrage. Natürlich wollen die Apotheker wissen, wer künftig an der Spitze des BMG stehen könnte. Aufgrund der völlig offenen Ausgangslage kann man auf diese Frage derzeit bestenfalls mit Mutmaßungen antworten.

Jens Spahn (CDU) ist nach wie vor interessiert an einem Aufstieg und wird sicherlich erneut versuchen, höhere Ämter zu besetzen. Sollten FDP oder Grüne als Juniorpartner an einer Koalition beteiligt werden, wäre es durchaus denkbar, dass auch sie sich künftig um Gesundheit kümmern. Schon in der letzten schwarz-gelben Regierung hatte die Union den Liberalen das BMG überlassen.

Sollte es eine Kombination aus drei Parteien geben, ist die Wahrscheinlichkeit nicht klein, dass der BMG-Posten mit einer gesundheitspolitisch unerfahrenen Person besetzt wird. Denn: Je mehr Parteien involviert sind, desto mehr Spitzenpolitiker müssen mit Regierungsposten bedient werden.

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