Weltweite Verdoppelung der Typ-1-Diabetes-Fälle bis 2040 |
Christina Hohmann-Jeddi |
26.01.2023 15:00 Uhr |
Typ-1-Diabetiker benötigen zwingend Insulin. Das ist in manchen Regionen der Welt schlecht verfügbar. / Foto: Adobe Stock/Goffkein
Bei der Autoimmunerkrankung Typ-1-Diabetes (T1D) zerstört das Immunsystem die β-Zellen des Pankreas, was eine lebenslange Insulintherapie nötig macht. Unbehandelt kann die Erkrankung tödlich enden. Wie hoch die Prävalenz weltweit ist, hat ein Team um Gabriel Gregory vom »Life for a Child Program« im australischen Bundesstaat New South Wales und Kollegen aus Kanada und Luxemburg berechnet. Dafür erstellten die Forschenden ein mathematisches Modell mithilfe von internationalen Daten zur Prävalenz der Erkrankung, zu Mortalität und Lebenserwartung von Patienten. Die Ergebnisse veröffentlichten sie im Oktober 2022 im Fachjournal »The Lancet Diabetes & Endocrinology«.
Der Modellierung nach lebten 2021 etwa 8,4 Millionen Menschen auf der Welt mit Typ-1-Diabetes. Von diesen waren 1,5 Millionen jünger als 20 Jahre, 5,3 Millionen zwischen 20 und 59 Jahre und 1,6 Millionen 60 Jahre und älter. In dem Jahr wurden 500.000 Typ-1-Diabetes-Erkrankungen neu diagnostiziert. Das Durchschnittsalter bei Diagnose war 29 Jahre. Dabei wurde bisher angenommen, dass die Erkrankung im Kindes- und Jugendalter beginnt. »Unsere Ergebnisse zeigen, dass mehr Erwachsene als Kinder diagnostiziert werden, und zwar 316.000 gegenüber 194.000 weltweit«, heißt es in der Publikation.
»Die Studienergebnisse sind auch für Deutschland relevant«, erklärt Professor Dr. Andreas Neu, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), in einer Mitteilung. »Es scheint, dass immer mehr Menschen im Erwachsenenalter diese Diagnose erhalten.« Von den inzwischen mehr als 422.000 Menschen in Deutschland mit T1D ist eine deutliche Mehrheit älter als 20 Jahre. Deutschland gehört zusammen mit den USA, Indien, Brasilien, China, Großbritannien, Russland, Kanada, Saudi-Arabien und Spanien zu den zehn Ländern mit der höchsten T1D-Prävalenz.
Der Studie zufolge wird die Zahl der Patienten mit der Erkrankung von 8,4 Millionen im Jahr 2021 auf 13,5 bis 17,4 Millionen im Jahr 2040 ansteigen. Das entspricht einer Zunahme um 60 bis 107 Prozent. Ein Anstieg sei in allen Ländern zu erwarten, aber am stärksten in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Mögliche Gründe hierfür nennen die Autoren nicht. Neben einer steigenden Inzidenz könnten hier auch eine verbesserte Diagnostik und Aufmerksamkeit oder zunehmende Lebenserwartung von diagnostizierten Patienten eine Rolle spielen.
Auch die Lebenserwartung von Typ-1-Diabetikern berechneten die Forschenden um Gregory für die verschiedenen Länder. Diese unterscheidet sich sehr stark. So leben Betroffene, die im Alter von zehn Jahren eine Diagnose erhalten, je nach Herkunftsland im Mittel noch sieben bis 70 Jahre. Eine noch verbleibende Lebenserwartung von sieben Jahren wurde für Sierra Leone und den Tschad ermittelt; 70 Jahre leben Patienten nach einer Diagnose noch in Australien, Israel oder in Großbritannien. In Deutschland sind es im Durchschnitt 64 Jahre.
Der Analyse zufolge starben im Jahr 2021 etwa 175.000 Menschen an T1D, davon 35.000 infolge einer nicht erkannten und daher unbehandelten Erkrankung. Es bestehe die »Möglichkeit, Millionen Menschenleben in den kommenden Jahrzehnten zu retten« durch eine verbesserte Identifizierung und Versorgung von T1D-Patienten inklusive einem universellen Zugang zu Insulin, schreiben die Forschenden.
Die Ergebnisse der Studie seien ein Warnschuss für alle Länder, mahnt auch DDG-Präsident Neu. »Eine Verdoppelung der weltweiten Erkrankungsfälle stellt weltweit Gesundheitssysteme vor enorme Herausforderungen.«
In Deutschland könnte sich die Versorgung der Typ-1-Diabetiker in Zukunft verschlechtern, so die DDG. Statt gesundheitspolitische Maßnahmen zur Prophylaxe der Erkrankung und Versorgung der Patienten zu ergreifen, sei in der Diabetologie bisher häufig gespart worden.