Welche Wechselwirkungen gibt es mit Paxlovid? |
Daniela Hüttemann |
31.01.2022 18:00 Uhr |
Das in Paxlovid enthaltene Ritonavir hemmt unter anderem CYP3A4, was die Wirkung des Protease-Hemmers Nirmatrelvir verbessern soll. Zahlreiche andere Arzneistoffe werden jedoch über dieses Enzym verstoffwechselt, dementsprechend groß ist das Interaktionspotenzial. / Foto: Getty Images/Hiroshi Watanabe
Ritonavir ist ein Substrat, ein Hemmer und ein Induktor von vielen verschiedenen Cytochrom-P450-Enzymen. Da es unter anderem die Funktion von CYP3A4 und p-Glykoprotein hemmt, wird es als Booster zusammen mit Wirkstoffen eingesetzt, die sonst über dieses Enzym zu schnell abgebaut werden. Im Fall von Paxlovid ermöglicht Ritonavir die perorale Anwendung von Nirmatrelvir mit ausreichend hohen Wirkspiegeln dieses 3CL-Protease-Hemmers (auch SARS-CoV-2-like Protease, Nsp5-Protease oder Mpro genannt). Das Covid-19-Präparat wird zweimal täglich über fünf Tage mit jeweils 300 mg Nirmatrelvir (zwei Tabletten) plus 100 mg Ritonavir (eine Tablette) eingenommen.
»Die Liste potenzieller Interaktionen ist laut europäischer Fachinformation sehr umfassend und mit ausführlichen Kommentaren versehen; die EMA hat hier einen konservativen Ansatz gewählt und zunächst alle potenziellen Interaktionen von Ritonavir aus der Therapie der chronischen HIV-Infektion übernommen«, erläutert am heutigen Montag die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) auf ihrer Website.
Um die Beratung zu Paxlovid zu erleichtern, hat die AMK in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie des Universitätsklinikums Heidelberg das Interaktionspotenzial bewertet und in einer übersichtlichen Grafik zusammengefasst, die hier in hoher Auflösung zum Download bereit steht.
Vorgehensweise bei ungünstigen Arzneistoff-Kombinationen mit Paxlovid. / Foto: Abteilung für Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie des Universitätsklinikums Heidelberg
»Da Patienten ihre Paxlovid-Therapie in häuslicher Quarantäne/Isolation erhalten werden, ist es schwierig, ein Monitoring durchzuführen«, gibt die AMK zu bedenken. Daher spricht sich die Kommission gegen Kombinationen aus, die mit einem intensivierten Monitoring gegebenenfalls handhabbar gewesen wären. »Die aufgeführten Empfehlungen sind konservativ gewählt und haben in der Mehrzahl der Fälle dazu geführt, die weitgehend wechselwirkungsfreie Alternative Molnupiravir (Lagevrio®) vorzuschlagen und dies selbst in Situationen, für die im Einzelfall eine pharmakokinetisch fundierte Vorgehensweise gefunden werden könnte, die den Einsatz von Paxlovid ermöglichen würde.«
Demnach sind bei vielen potenziellen Interaktionen im Zusammenhang mit Paxlovid keine besonderen Maßnahmen notwendig, etwa bei gleichzeitiger Anwendung mit den sehr häufig eingesetzten Arzneistoffen Allopurinol, Amlodipin, Bisoprolol, Candesartan, Ibuprofen, Levothyroxin, Metamizol, Metformin, Metoprolol, Pantoprazol, Ramipril, Sumatriptan, Tilidin/Naloxon und Torasemid.
Bei einigen Kombinationspartnern sollte die Tagesdosis der Dauermedikation während der fünf Behandlungstage mit Paxlovid halbiert werden. Das gilt für Alfentanil, Alprazolam, Amitriptylin, Methylprednisolon, Nifedipin und Trazodon.
Während der Paxlovid-Behandlung pausiert werden sollte die Einnahme von Amiodaron, Avanafil, Cabergolin, Felodipin und Vardenafil. Falls ein Patient bereits eine HIV-Therapie mit Ritonavir oder Cobicistat erhält, soll er zur Behandlung von Covid-19 nur die Nirmatrelvir-Tabletten von Paxlovid einnehmen und die Ritonavir-Tabletten weglassen.
Bei vielen anderen Arzneistoffen sollte zur Sicherheit statt Paxlovid das andere verfügbare orale Covid-19-Medikament, Molnupiravir (Lagevrio® von MSD), verordnet werden. Das gilt unter anderem für Patienten unter Therapie mit bestimmten Statinen (Atorvastatin, Lovastatin, Rosuvastatin, Simvastatin), den Blutverdünnern Apixaban, Dabigatran, Rivaroxaban und Phenprocoumon, den Gichtmitteln Colchicin und Fexofenadin, dem Antibiotikum Erythromycin, dem Asthma- und COPD-Mittel Salmeterol, Johanniskraut sowie vielen Psychopharmaka, Immunsuppressiva und Kinasehemmern.
»Im Zweifel sind die Fact Sheets zu Paxlovid und die Fachinformationen der einzelnen Interaktionspartner zu Rate zu ziehen«, heißt es im Disclaimer der Grafik. Weitere Informationen bietet auch ein webbasierter Interaktionscheck von Pfizer.
Zudem hat die AMK eine Gegenüberstellung wichtiger pharmakologisch-therapeutischer Kriterien für die Anwendung von Lagevrio und Paxlovid aktualisiert. Für beide Medikamente gibt es einen eigenen strukturierten Beratungs- und Dokumentationsleitfaden in Form einer Checkliste.
Auch britische Experten hatten kürzlich im Rahmen einer »Correspondence« im Fachmagazin »The Lancet« vor dem Interaktionspotenzial von Ritonavir gewarnt. Das Autorenteam um den auf HIV spezialisierten Mediziner Joseph Heskin vom Chelsea and Westminster Hospital NHS Foundation Trust, London, schreibt:
»Wir empfehlen allen verschreibenden Ärzten, sich mit potenziellen Wechselwirkungen vertraut zu machen, indem sie spezielle Nachschlagewerke wie den Antiretroviral Drug Interaction Checker der Universität Liverpool und die bestehenden antiretroviralen Behandlungsrichtlinien nutzen und sich eng mit Kollegen abzustimmen, die Erfahrung mit der Behandlung von HIV-Infektionen haben, um das Potenzial für klinisch bedeutsame iatrogene unerwünschte oder lebensbedrohliche Ereignisse zu verringern.«
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.