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Pandemie

Was wissen wir über die Corona-Impfstoffe?

Wie lange hält die Schutzwirkung einer Impfung an? Wie gut wirken die Impfstoffe gegen die Varianten? Und wann ist mit einer sterilen Immunität zu rechnen? Antworten auf diese Fragen gab es im Vortrag von Professor Dr. Theo Dingermann beim Pharmacon@home.
Kerstin A. Gräfe
01.06.2021  12:30 Uhr

Derzeit sind in Deutschland vier Covid-19-Impfstoffe verfügbar, startete Dingermann, Senior Editor der Pharmazeutischen Zeitung und Chefredakteur der wissenschaftlichen Zeitung »Die Pharmazie«. Zum einen die beiden mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer (Comirnaty®) und Moderna sowie die beiden Vektorvakzinen von Janssen (Johnson & Johnson) und Astra-Zeneca (Vaxzevria®).

Zudem stünden weitere in den Startlöchern wie der chinesische Impfstoff CoronaVac der Firma Sinovac, der inaktivierte SARS-CoV-2-Viren als Antigene nutzt, sowie der russische Vektorimpfstoff Sputnik V. »Das ist ein sehr interessanter Impfstoff«, sagte der Referent. Darüber hinaus seien auch die ersten proteinbasierten Impfstoffe, allen voran der Impfstoff NVX-CoV2373 von Novavax, in Phasen der klinischen Prüfung. Alle drei sowie der mRNA-Impfstoff CVnCoV von Curevac befinden sich bereits im Rolling-Review-Verfahren der Europäischen Arzneimittelagentur.

Dingermann ging auf »die Problematik der Vektorimpfstoffe« ein. Es sei gut belegt, dass durch eine bereits bestehende Immunität gegen das Vektorvirus eine erneute Immunisierung in Teilen neutralisiert werden kann. »Wenn man eine Prime-Impfung mit einem Vektorimpfstoff gibt, wird natürlich nicht nur eine Immunantwort gegen das S-Protein von SARS-CoV-2 induziert«, erklärte der pharmazeutische Biologe.

Vielmehr werden darüber hinaus auch Antikörper und T-Zellen gegen die Proteine produziert, die das Vektorgenom kodiert. Das berge die Gefahr, dass es bei einer Booster-Impfung zu einem vorzeitigen Abbau des Impfstoffs oder zu überschießenden Immunreaktionen dagegen kommen kann. »Für dieses Problem gibt es aber Lösungen«, betonte Dingermann. So habe zum Beispiel Janssen das Ein-Dosis-Schema gewählt und umgehe damit dieses Problem. Gleiches könne man auch mit einem Vektorwechsel erreichen; diese Strategie verfolge man bei dem Sputnik-V-Impfstoff, bei dem sich der Vektor bei Erst- und Zweitimpfung unterscheiden.

Neu sei in diesem Zusammenhang die heterologe Prime-Boost-Impfung mit verschiedenen Impfstoffen. Bei dieser Strategie starte man mit einem adenoviralen Impfstoff wie Vaxzevria und boostere dann mit einem mRNA-Impfstoff wie Comirnaty oder Moderna. »Erste klinische Studien weisen darauf hin, dass dieser Ansatz effizienter als eine zweimalige Impfung mit einem mRNA-Impfstoff ist«, informierte Dingermann.

Plädoyer für die STIKO

Es war dem Referenten ein Anliegen, in diesem Zusammenhang auf potenzielle Missverständnisse hinsichtlich Zulassung und Empfehlung hinzuweisen. So gebe es zwei verantwortliche Gremien, zum einen das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) beziehungsweise die Europäische Arzneimittelagentur EMA und zum anderen die Ständige Impfkommission (STIKO). Während sich PEI und EMA hauptsächlich der Frage widmen, ob der Impfstoff wirksam und sicher sei, mache die STIKO eine ganz andere Betrachtung. Sie stelle nämlich unter anderem die Frage, wie diese Impfstoffe am sinnvollsten eingesetzt werden können.

Auch hier seien Schlüsselkriterien wie Wirksamkeit und Sicherheit ausschlaggebend, aber zusätzlich auch die Schwere der Erkrankung im Allgemeinen und bei bestimmten Altersgruppen sowie zu erwartende epidemiologische und gesundheitsökonomische Aspekte. »Ich bin froh, dass wir dieses Gremium haben und plädiere dafür, die STIKO-Empfehlungen ernst zu nehmen«, konstatierte Dingermann.

Wie stabil ist die Immunantwort?

Dies sei eine sehr wichtige Frage, da von ihr unter anderem auch der Zeitpunkt der Auffrischimpfung abhänge. Dingermann stellte eine aktuelle Studie im Fachmagazin »Nature« vor, die die Abnahme der Schutzwirkung eines Impfstoffs in einem bestimmten Zeitraum, in diesem Fall innerhalb von 250 Tagen, untersucht hatte (DOI: 10.1038/s41591-021-01377-8).

Demnach würde voraussichtlich ein Impfstoff mit einer anfänglichen Wirksamkeit von 95 Prozent nach 250 Tagen eine Wirksamkeit von 77 Prozent aufweisen. Eine Vakzine mit einer anfänglichen Wirksamkeit von 70 Prozent würde hingegen voraussichtlich nach 250 Tagen eine Wirksamkeit von 35 Prozent haben. »Bei Impfstoffen mit geringer anfänglicher Wirksamkeit muss früher eine Auffrischimpfung erfolgen«, resümierte Dingermann.

Varianten nicht unterschätzen

Ebenfalls eine wichtige Frage sei, wie wirksam die Impfstoffe gegen die Varianten sind. Die drei wichtigsten besorgniserregenden Coronavirus-Varianten seien derzeit die »britische«, »südafrikanische« und »indische« Variante. Hier habe sich übrigens aktuell eine Änderung in der Nomenklatur ergeben. Zukünftig würden die Varianten nicht mehr gemäß der Herkunftsorte benannt, sondern erhielten griechische Buchstaben. »Die Gefahr, die von den Varianten ausgeht, darf nicht unterschätzt werden«, sagte Dingermann. Fakt sei, dass einige Varianten in der Lage sind, Antikörpern besser auszuweichen (Escape-Varianten).

»Dennoch wird ein bestimmter Teil des Immunsystems immer noch in der Lage sein, auch diese Virusvarianten abzufangen«, betonte Dingermann. Insofern sei die Grundimmunisierung extrem wichtig. Zwar könne bei einer Virusvariante eine neue Infektion in Gang kommen, bevor die B-Zellreserven die Produktion von Antikörpern hochfahren. Aber selbst wenn das Virus einen Vorsprung habe und die Infektionspathologie initiieren könne, sollte die (Rest)-B-Zellantwort die Immunabwehr immer noch entscheidend kontrollieren und Schutz vor schweren Verläufen bieten können.

Abschließend ging Dingermann auf die Herdenimmunität ein: »Wir hoffen alle darauf.« Die Erkrankung beziehungsweise die Impfung rufen eine systemische Immunantwort hervor. Diese könne nach bisherigen Daten Covid-19-Erkrankungen effektiv verhindern, dennoch bleibe ein Risiko für eine Infektion bestehen. Dies liege größtenteils daran, dass zwar eine stabile IgG-Antwort erzielt werden kann, hingegen aber die IgA-Spiegel mit der Zeit abfallen. IgA-Antikörper befinden sich auf den Schleimhäuten und können an der Eintrittspforte das Virus abfangen. Neue nasale und orale Ansätze zielten daher auf eine sterile Immunität ab, indem sie dem Virus quasi die Tür vor der Nase zumachen.

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