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»Sputnik V«

Was steckt hinter dem russischen Impfstoff?

Es war DIE Meldung am Dienstag: Russland lässt einen Coronavirus-Impfstoff zu, bevor das Testprogramm abgeschlossen wurde. Doch ist er überhaupt zugelassen? Und was genau ist das für ein Impfstoff?
Theo Dingermann
13.08.2020  18:08 Uhr

Wissenschaftler auf der ganzen Welt arbeiten mit bislang unbekannter Geschwindigkeit an einem Impfstoff gegen das SARS-Coronavirus-2. Der »Coronavirus Vaccine Tracker« der »New York Times« listet 175 (+) Impfstoffprojekte auf. Auf der Seite der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind 167 Kandidaten gelistet, von denen sich 29 in einer der drei klinischen Prüfphasen befinden. Sechs dieser Impfstoffkandidaten werden bereits in der Phase III getestet.

  1. Der Impfstoffkandidat der University of Oxford/Astra-Zeneca
  2. Der Impfstoffkandidat der Firma Sinovac
  3. Der Impfstoffkandidat des Wuhan Institute of Biological Products/Sinopharm
  4. Der Impfstoffkandidat des Beijing Institute of Biological Products/Sinopharm
  5. Der Impfstoffkandidat der Firma Moderna/NIAID
  6. Der Impfstoffkandidat des Konsortiums von BioNTech/Fosun Pharma/Pfizer

Drei verschiedene Impfstofftypen sind unter diesen sechs Kandidaten vertreten: Nicht replizierende virale Vektoren (1), inaktiviertes Virus (2, 3, 4) und mRNA (5, 6). Unter diesen taucht ein Kandidat nicht auf, der – bislang wenig beachtet – im Wettlauf um die erste Zulassung gerade anscheinend das Zielband gerissen hat.

»Sputnik V« als erster Coronavirus-Impfstoff registriert

»Sputnik V« heißt die Vakzine, deren Zulassung als weltweit ersten Corona-Impfstoff Russlands Präsident Wladimir Putin am 11. August medienwirksam verkündete. Von einer Zulassung zu sprechen, ist jedoch nicht ganz korrekt, treffender wäre wohl der Begriff Notfallzulassung. Denn der Impfstoff ist zunächst nur registriert und soll weiter getestet werden. Als »Termin der Einführung in den zivilen Verkehr« wird in der Registrierungsbescheinigung des Gesundheitsministeriums der Russischen Föderation der 1. Januar 2021 genannt.

Wie ist die Vakzine aufgebaut? Der russische Impfstoff, der zunächst die Bezeichnung »Gam-COVID-Vac Lyo« erhielt, enthält eine nicht replikationsfähige Adenovirus-Variante, also ein nicht vermehrungsfähiges harmloses Schnupfenvirus. Es handelt sich somit um einen Vektorimpfstoff. Dieser Impfstofftyp basiert auf Viren als Träger (»Vektor«), die die Erbinformation für ein Protein des Zielerregers (hier SARS-CoV-2) in den Körper des Geimpften transportieren, wo sie  abgelesen werden und das Impfantigen gebildet wird. In das Genom dieser Vektorviren hat man die Erbinformation für das Spike-(S-)Protein des neuen Coronavirus eingefügt und sie dann so verändert, dass sie sich nicht mehr vermehren können.

Auch andere Konsortien entwickeln Vektorimpfstoffe auf Basis von menschlichen oder Affen-Adenoviren. Zu den bekanntesten Vertretern gehören der Corona-Impfstoffkandidat Ad26.COV2.S der Firma Johnson & Johnson sowie die Kandidaten Ad5-nCoV von CanSino Biologics und AZD1222 der Kooperation der University of Oxford mit Astra-Zeneca. Mit Letzterem wurde bereits im Juni eine Phase-III-Studie begonnen. 

Entwickelt wurde der russische Impfstoff Gam-COVID-Vac Lyo vom staatlichen Gamaleya-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau. Er besteht aus zwei Komponenten:

  • Zum einen eine rAd26-Komponente, die einen rekombinanten Adenovirus-Vektor auf der Basis des menschlichen Adenovirus Typ 26 enthält, in den das SARS-CoV-2- S-Protein-Gen integriert wurde.
  • Zum anderen eine rAd5-Komponente, die analog einen rekombinanten Adenovirus-Vektor auf der Basis des menschlichen Adenovirus Typ 5 enthält, in den ebenfalls das SARS-CoV-2 S-Protein-Gen integriert wurde.

Die erste Impfkomponente dient als sogenannter »Primer«, der eine erste Immunantwort auslöst, wohingegen die zweite Impfkomponente als »Booster« eingesetzt wird, der die Immunantwort noch verstärken soll.

Registriert ist der Impfstoff laut Registrierungsbescheinigung als diese klassische Prime-Boost-Immunisierung. Dabei wird am Tag 1 mit der ersten Komponente geimpft und am Tag 21 mit der zweiten Komponente. Die Besonderheit dieses Regimes besteht darin, dass durch eine Kombination unterschiedlicher Immunogene eine additive oder synergistische Wirkung auf das Immunsystem erzielt werden kann. Eine Prime-Boost-Strategie kann beim Einsatz von bestimmten Impfstoffen, darunter auch viralen Vektoren, sogar erforderlich sein, da bereits nach der erstmaligen Anwendung das Immunsystem massiv auf das Trägervirus reagiert und bei einer zweiten Applikation des gleichen Impfantigens die Immunantwort auf den Vektor ebenfalls geboostert wird. Diese könnte dann die Immunantwort gegen das SARS-CoV-2-Protein quasi überdecken.

Die Entwickler des Sputnik-Impfstoffs hätten sehr bewusst auf eine zweistufige Impfung mit zwei unterschiedlichen viralen Vektoren gesetzt, berichtete der stellvertretende Direktor des Zentrums für wissenschaftliche Arbeit des Gamaleya-Zentrums, Denis Logunov, bereits Ende Juli in einem Interview gegenüber dem Internetportal »Meduza«. Der Grund hierfür seien Erfahrungen mit Vektorimpfstoffen gegen das MERS-Coronavirus und das Ebolavirus, die gezeigt hätten, dass eine einmalige Impfung in manchen Bevölkerungsgruppen für einen Immunschutz nicht ausreiche.

Der Wirksamkeitsnachweis fehlt

Was ist zur Sicherheit und Wirksamkeit des russischen Impfstoffs bereits bekannt? In der Clinical Trials Datenbank beim NIH sind zwei klinische Studien registriert, die unter den Kürzeln NCT04436471 und NCT04437875 zu finden sind. Jeweils 38 Probanden waren in die Studien eingeschlossen.

Daten zu diesen Studien findet man nicht. Das gilt auch für Daten einer Phase-III-Studie, die es vermutlich gar nicht geben kann, da eine solche Studie bisher noch nicht initiiert wurde. Eine Phase-III-Studie soll anscheinend parallel zu den ersten Anwendungen des Impfstoffs durchgeführt werden. In diese Studie sollen 2000 Freiwillige eingeschlossen werden. Der Wirksamkeitsnachweis fehlt bislang, was aus verschiedenen Richtungen zu Kritik am Vorgehen Russlands führte

Auch das in Deutschland für Zulassungen von Impfstoffen zuständige Paul-Ehrlich-Institut in Langen bemängelt in einer aktuellen Stellungnahme die fehlenden Daten: »Aus Sicht des Paul-Ehrlich-Instituts ist es auch in der aktuellen Pandemiesituation zwingend erforderlich, dass alle Prüfungen und Bewertungen mit der gleichen Sorgfalt erfolgen, wie bei anderen Impfstoffen. Zugelassen werden sollte ein Impfstoffprodukt nur dann, wenn der gezeigte Nutzen mögliche Risiken deutlich überwiegt.« Das ist bei Sputnik V noch nicht der Fall.

Zwar gilt das Wirkprinzip als relativ sicher und plausibel, aber zugelassene Vektorimpfstoffe gibt es bisher noch wenige. Gegen Ebola sind es inzwischen zwei: Im April erhielt ein von Janssen entwickeltes Impfregime, bestehend aus den zwei Einzeldosen Zabdeno® (Ad26) und Mvabea® (MVA), die EU-Zulassung, seit Ende 2019 ist Ervebo® von MSD zugelassen. Letztere basiert auf dem Vesikulären Stomatitis-Virus (VSV), in dem das Glykoprotein G von VSV gegen das Ebola-Glykoprotein ausgetauscht wurde.

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