Was erwartet uns im Winter? |
Christina Hohmann-Jeddi |
19.10.2020 16:10 Uhr |
Dieser Mund-Nasen-Schutz dient bei einsamen Spaziergängen wohl eher gegen die Kälte. An trubeligen Orten wie Weihnachtsmärkten (wo sie überhaupt stattfinden) wird wohl in diesem Winter Maskenpflicht gelten. / Foto: Adobe Stock/Maridav
Derzeit liegt die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland pro Tag in etwa auf dem Niveau vom Frühjahr. Damals wollte man nach dem Motto »flatten the curve« die Verbreitung des neuen Coronavirus in allen Ländern eindämmen, um Krankenhaus-Kapazitäten zu schonen, erinnerte Professor Dr. Reinhard Busse, Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen, TU Berlin und Kodirektor des European Observatory on Health Systems and Policies, bei einer Online-Veranstaltung des »Science Media Center Germany«. Der Grund war, dass in vielen Ländern sehr hohe Hospitalisierungszahlen beobachtet worden waren. »An der Spitze stand damals Frankreich, wo 70 Prozent der Infizierten stationär behandelt wurden«, sagte Busse. In Spanien lag die Rate bei 50 Prozent, in den Niederlanden bei 40 Prozent. Aufgrund einer etwas anderen Strategie mit stärkerer Betonung des ambulanten Sektors wurden in Deutschland damals etwa 20 Prozent der Corona-Positiven hospitalisiert, von denen wiederum 20 Prozent beatmungspflichtig wurden.
Jetzt, wo die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland wieder auf das Niveau vom Frühjahr angestiegen ist, stelle sich die Frage, ob wir auch mit ähnlichen Hospitalisierungsraten wie vor einem halben Jahr zu rechnen haben, sagte Busse. Derzeit liegt die Inzidenz im bundesweiten Durchschnitt bei 42,9 Infektionen pro 100.000 Einwohner. Das ist im Vergleich mit anderen europäischen Ländern nicht viel. So stieg die Inzidenz zum Beispiel in Belgien seit Anfang September bis Mitte Oktober von 27 auf 340 pro 100.000 Einwohner, in Frankreich von 57 auf 182 pro 100.000, in den Niederlanden von 21 auf 254 pro 100.000 und in Spanien von 109 auf 151 pro 100.000 Einwohner. Betrachte man die Hospitalisierungsrate dieser Länder, zeige sich, dass diese zwischen 3 und 6 Prozent liegt und damit deutlich niedriger als im Frühjahr. In Teilen sei dies durch die veränderte Altersstruktur der Infizierten zu erklären, die inzwischen im Durchschnitt jünger sind, sagte Busse. Aber diese erkläre nicht alles.
Belgien habe vor etwa fünf Wochen ähnliche Werte in Bezug auf Neuinfektionen und Hospitalisierungsrate gehabt wie Deutschland derzeit. »Wenn wir vorhersehen wollen, was auf uns zukommt, dann können wir uns mit Belgien vergleichen.« Dort hat sich die Zahl der stationär behandelten Covid-19-Patienten um den Faktor sechs erhöht und die intensivmedizinischen Fälle um den Faktor fünf. Wenn man die Zahlen von Belgien auf Deutschland übertragen würde, dann müsste man in fünf Wochen mit 16.000 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern rechnen. Das seien aber nur 3 Prozent der insgesamt 500.000 Krankenhausbetten, die es hierzulande gibt. Intensivmedizinisch müssten etwa 2700 Covid-19-Patienten betreut werden. Diese belegten weniger als 10 Prozent der vorhandenen 30.000 Intensivbetten.
»Wir haben eine ganz andere Zahlendynamik«, sagte Busse. Einerseits stiegen die Infektionszahlen dramatischer als im Frühjahr, andererseits sei der Anteil der Patienten, die stationär behandelt und auf Intensivstation beatmet werden müssen, in allen Ländern deutlich kleiner als während der ersten Welle. Unbegrenzt dürfe der Anstieg aber nicht anhalten.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.