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Corona-Impfstoffe

Warum keine Notfallzulassung in der EU?

Viele EU-Bürger fragen sich, warum in Großbritannien, Kanada und seit gestern auch in den USA schon mit dem Biontech/Pfizer-Impfstoff BNT162b2 geimpft werden kann, in der EU aber noch nicht. Dafür gibt es gute Gründe – vor allem die Sicherheit.
PZ
dpa
15.12.2020  10:42 Uhr

Der Unmut über das vermeintlich unnötig lange Zulassungsverfahren in Europa ist groß. »Es kann nicht sein, dass ein in Deutschland entwickelter Impfstoff erst im Januar zugelassen und verimpft werden kann«, sagte zum Beispiel die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP im Bundestag, Christine Aschenberg-Dugnus. Am Dienstag forderte die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) eine Notfallzulassung. »Ich frage mich, ob wir wirklich bis zum 29. Dezember brauchen, um in Europa eine Zulassung des Impfstoffs zu erreichen. Europa sollte auch versuchen, schon vorher eine Notfallzulassung zu schaffen«, sagte DKG-Präsident Dr. Gerald Gaß dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. »Dann könnten wir noch vor Weihnachten mit mobilen Teams in die Pflegeheime gehen und die Bewohner dort impfen.«

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sich jedoch wiederholt gegen eine Notfallzulassung für Deutschland ausgesprochen. Man habe sich von Anfang an für eine ordentliche Zulassung auf europäischer Ebene entschieden, bekräftigte der CDU-Politiker am Montagabend im »heute journal« im ZDF. »Das ist wichtig fürs Vertrauen aus meiner Sicht«, sagte Spahn. Er wundere sich über manche auch sehr nationale Töne dieser Tage – man habe sich ja bewusst für einen gemeinsamen europäischen Weg entschieden. »Aber ja, sie (die Impfung) sollte zügig kommen.«

SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass auch hierzulande eine Notzulassung rechtlich möglich sei. Das ist unstrittig. Sie sei aber »nicht vorbereitet worden, weil man mit der Verzögerung der Zulassung auf europäischer Ebene einfach nicht rechnen konnte«. Für eine Notzulassung in Deutschland sei es nun zu spät, fügte Lauterbach hinzu. Diese würde jetzt länger dauern, als das Ende der Zulassung auf EU-Ebene abzuwarten.

Drei Gründe, warum die EU-Zulassung besser ist

Der Arzt und Europapolitiker Dr. Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der christdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, sprach sich am Montag gegen eine Notfallzulassung aus und für den gemeinsamen Zulassungsweg über die EMA, denn es gehe um Sicherheit und Vertrauen. »Bis vor wenigen Tagen war die wichtigste Frage, die mir gestellt wurde: ›Wie kann ein Impfstoff sicher sein, der in so einem Turboverfahren zugelassen wird?‹, und leider ist die Anzahl der Impfskeptiker und militanten Impfgegner in den letzten Monaten nicht kleiner geworden. Deswegen bin auch ich dafür, den Impfstoff so schnell wie möglich zuzulassen, aber gegen unanständigen Druck auf die Europäische Zulassungsbehörde EMA«, so Liese.

Ebenso wie Spahn betonte er, dass schnellere Zulassungen in anderen Ländern nicht dazu führten, »dass wir auch nur eine Impfstoffdose weniger bekommen«. Der für Deutschland vorgesehene Impfstoff sei zum Teil schon produziert und eingelagert. »Die schnelle Zulassung in den USA und Großbritannien ist politisch gewollt und hat nichts mit der Qualität der jeweiligen Behörde zu tun«, so der CDU-Europaabgeordnete. Liese nannte drei Gründe, warum die EU-Zulassung sogar besser sei. 

  1. Biontech habe ihm gegenüber versichert,  dass die Art und Weise der Daten, die das Unternehmen der EMA vorlegen musste, umfassender sei. Wörtlich habe ihm Sean Marrett, Chief Business und Commercial Officer von Biontech gesagt: »Die Daten sind feinkörniger und sie werden tiefer analysiert«. Daher habe Biontech den Antrag bei der EMA später gestellt als bei der britischen Zulassungsbehörde MRHA. Es geht einem »Tagesschau«-Bericht zufolge vor allem um mehr Studienergebnisse zu unerwünschten Ereignissen. »Durch die frühe Zulassung in den USA und in Großbritannien besteht natürlich die Gefahr, dass Nebenwirkungen auftreten, die man bei sorgfältiger Prüfung vielleicht doch entdeckt hätte«, sagte Liese der »Tagesschau«. Es gebe ja bereits erste Einschränkungen in Großbritannien, beispielsweise für Menschen mit Allergien .
  2. Die europäische Zulassung sehe eine Haftung der Unternehmen vor. Das sei bei einer Notfallzulassung nicht der Fall. »Obwohl ich großes Vertrauen in Biontech habe, ist es doch menschlich, dass man noch genauer hinschaut, wenn man selber haftet und nicht der Staat«, kommentierte Liese.
  3. Auch wenn die Arbeit der britischen Behörde eine hohe Qualität habe, so hätten diese auch die der schwedischen, französischen, niederländischen und deutschen Zulassungsbehörden. »Wenn diese gemeinsam auf die Daten schauen, finden sie möglicherweise Hinweise, die eine Behörde alleine nicht findet«, so Liese. Er erinnerte an die H1N1-Grippepandemie der Jahre 2009/2010 (die sogenannte Schweinegrippe), als vor allem in Schweden seltene Nebenwirkungen auftraten (Narkolepsie unter Kindern und Jugendlichen), die genauer analysiert werden konnten. »Ich finde es gut, dass Schweden mit auf die Daten schaut, damit wir gemeinsam aus den Fehlern der letzten Jahre lernen können.« Von deutscher Seite aus arbeitet das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) der EMA zu. Dieser Austausch zwischen den Behörden koste mehr Zeit, als wenn zentral entschieden würde, erklärte Liese gegenüber der »Tagesschau«.

Liese betonte zudem, dass die Zulassungsverfahren für die Corona-Impfstoffe schneller vorangetrieben würden als andere Zulassungen je zuvor. »Ich glaube, dass das angesichts der Gefahren durch das Coronavirus notwendig ist. Ich glaube aber auch, dass es gerechtfertigt ist, sich zwei oder drei Wochen länger Zeit zu lassen, um ein höheres Maß an Sicherheit zu bekommen.«

EU-Kommission will innerhalb weniger Stunden entscheiden

Dabei erhöht nicht nur die Europäische Arzneimittelagentur in Zusammenarbeit mit den nationalen Zulassungsbehörden ihr Tempo. Letztlich entscheidet die Europäische Kommission über die EU-Zulassung. Normalerweise hat sie ab Expertenurteil der EMA dafür 67 Tage Zeit. »Die Kommission hat mir versichert, dass dies in diesem Falle in wenigen Stunden passieren wird«, berichtet Liese.

Trotzdem werde es dauern, bis alle Impfwilligen an die Reihe kämen. Denn bislang stünden der gesamten EU kurzfristig wohl nur 50 Millionen Impfdosen des Biontech/Pfizer-Impfstoffs zur Verfügung stehen. »Wer also glaubt, man könne einen wesentlichen Einfluss auf die Zahl der Erkrankten und Toten im Januar und Februar nehmen, irrt sich gewaltig«, so der EU-Abgeordnete.

Bundesgesundheitsminister Spahn rechnet dagegen nach Angaben mit 12 bis 13 Millionen Impfdosen von Biontech für Deutschland im ersten Quartal. Er geht davon aus, dass bis Ende Sommer 2021 rund 60 Prozent der Bürger in Deutschland gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft sein könnten. Das könnte für eine Herdenimmunität reichen.

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