Warum keine Notfallzulassung in der EU? |
Die Zulassungsbehörden stehen derzeit bei der Prüfung der Zulassungsanträge für Covid-19-Impfstoffe unter großem politischen und wirtschaftlichen Druck. / Foto: Getty Images/Sasirin Pamai/EyeEm
Der Unmut über das vermeintlich unnötig lange Zulassungsverfahren in Europa ist groß. »Es kann nicht sein, dass ein in Deutschland entwickelter Impfstoff erst im Januar zugelassen und verimpft werden kann«, sagte zum Beispiel die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP im Bundestag, Christine Aschenberg-Dugnus. Am Dienstag forderte die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) eine Notfallzulassung. »Ich frage mich, ob wir wirklich bis zum 29. Dezember brauchen, um in Europa eine Zulassung des Impfstoffs zu erreichen. Europa sollte auch versuchen, schon vorher eine Notfallzulassung zu schaffen«, sagte DKG-Präsident Dr. Gerald Gaß dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. »Dann könnten wir noch vor Weihnachten mit mobilen Teams in die Pflegeheime gehen und die Bewohner dort impfen.«
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sich jedoch wiederholt gegen eine Notfallzulassung für Deutschland ausgesprochen. Man habe sich von Anfang an für eine ordentliche Zulassung auf europäischer Ebene entschieden, bekräftigte der CDU-Politiker am Montagabend im »heute journal« im ZDF. »Das ist wichtig fürs Vertrauen aus meiner Sicht«, sagte Spahn. Er wundere sich über manche auch sehr nationale Töne dieser Tage – man habe sich ja bewusst für einen gemeinsamen europäischen Weg entschieden. »Aber ja, sie (die Impfung) sollte zügig kommen.«
SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass auch hierzulande eine Notzulassung rechtlich möglich sei. Das ist unstrittig. Sie sei aber »nicht vorbereitet worden, weil man mit der Verzögerung der Zulassung auf europäischer Ebene einfach nicht rechnen konnte«. Für eine Notzulassung in Deutschland sei es nun zu spät, fügte Lauterbach hinzu. Diese würde jetzt länger dauern, als das Ende der Zulassung auf EU-Ebene abzuwarten.
Der Arzt und Europapolitiker Dr. Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der christdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, sprach sich am Montag gegen eine Notfallzulassung aus und für den gemeinsamen Zulassungsweg über die EMA, denn es gehe um Sicherheit und Vertrauen. »Bis vor wenigen Tagen war die wichtigste Frage, die mir gestellt wurde: ›Wie kann ein Impfstoff sicher sein, der in so einem Turboverfahren zugelassen wird?‹, und leider ist die Anzahl der Impfskeptiker und militanten Impfgegner in den letzten Monaten nicht kleiner geworden. Deswegen bin auch ich dafür, den Impfstoff so schnell wie möglich zuzulassen, aber gegen unanständigen Druck auf die Europäische Zulassungsbehörde EMA«, so Liese.
Ebenso wie Spahn betonte er, dass schnellere Zulassungen in anderen Ländern nicht dazu führten, »dass wir auch nur eine Impfstoffdose weniger bekommen«. Der für Deutschland vorgesehene Impfstoff sei zum Teil schon produziert und eingelagert. »Die schnelle Zulassung in den USA und Großbritannien ist politisch gewollt und hat nichts mit der Qualität der jeweiligen Behörde zu tun«, so der CDU-Europaabgeordnete. Liese nannte drei Gründe, warum die EU-Zulassung sogar besser sei.
Liese betonte zudem, dass die Zulassungsverfahren für die Corona-Impfstoffe schneller vorangetrieben würden als andere Zulassungen je zuvor. »Ich glaube, dass das angesichts der Gefahren durch das Coronavirus notwendig ist. Ich glaube aber auch, dass es gerechtfertigt ist, sich zwei oder drei Wochen länger Zeit zu lassen, um ein höheres Maß an Sicherheit zu bekommen.«
Dabei erhöht nicht nur die Europäische Arzneimittelagentur in Zusammenarbeit mit den nationalen Zulassungsbehörden ihr Tempo. Letztlich entscheidet die Europäische Kommission über die EU-Zulassung. Normalerweise hat sie ab Expertenurteil der EMA dafür 67 Tage Zeit. »Die Kommission hat mir versichert, dass dies in diesem Falle in wenigen Stunden passieren wird«, berichtet Liese.
Trotzdem werde es dauern, bis alle Impfwilligen an die Reihe kämen. Denn bislang stünden der gesamten EU kurzfristig wohl nur 50 Millionen Impfdosen des Biontech/Pfizer-Impfstoffs zur Verfügung stehen. »Wer also glaubt, man könne einen wesentlichen Einfluss auf die Zahl der Erkrankten und Toten im Januar und Februar nehmen, irrt sich gewaltig«, so der EU-Abgeordnete.
Bundesgesundheitsminister Spahn rechnet dagegen nach Angaben mit 12 bis 13 Millionen Impfdosen von Biontech für Deutschland im ersten Quartal. Er geht davon aus, dass bis Ende Sommer 2021 rund 60 Prozent der Bürger in Deutschland gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft sein könnten. Das könnte für eine Herdenimmunität reichen.