Warnzeichen in der Apotheke erkennen |
Christina Hohmann-Jeddi |
27.05.2022 18:00 Uhr |
Zeigt sich ein bekannter Patient verändert, mutlos und depressiv, sollten Apothekenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter versuchen, ein Gespräch zu beginnen und ihn in einem Beratungsraum vorsichtig nach seiner Situation zu befragen. / Foto: ABDA
»Alle 57 Minuten nimmt sich ein Mensch das Leben«, berichtete Professor Dr. Barbara Schneider von der LVR-Klinik in Köln beim pharmazeutischen Fortbildungskongress Pharmacon in Meran. Dabei seien Männer deutlich häufiger betroffen als Frauen; das Risiko steige mit dem Alter bei beiden Geschlechtern an. Schneider räumte in ihrem Vortrag mit einer Reihe von Mythen auf. So sei es falsch, dass Menschen, die über einen Suizid reden, diesen nicht durchführten. Eine Mehrheit der Suizidenten kündige den Suizid zuvor an. Es sei auch nicht zutreffend, dass suizidale Menschen grundsätzlich psychisch krank seien. Allerdings stellten psychische Krankheiten, vor allem Depression, Schizophrenie und Suchterkrankungen, einen entscheidenden Risikofaktor dar.
In vielen Fällen sei es möglich, Menschen mit Suizidabsichten zu retten, sagte Schneider. Da Medikamente bei Suizidplänen häufig eine Rolle spielen, kämen viele Gefährdete in Kontakt mit Apothekerinnen und Apothekern. So könne die Berufsgruppe zur Suizidprävention beitragen, wenn sie die Warnzeichen erkennen und entsprechend reagieren könne, so die Leiterin des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro).
Aufmerksam werden sollten Apothekenmitarbeiter, wenn sich das Verhalten von ihnen bekannten Patienten deutlich verändere und diese sich niedergeschlagen, unerreichbar und hoffnungslos zeigten, so Schneider. Charakteristisch für Suizidalität sei eine zunehmende gedankliche Einengung, das Aufgeben bisheriger Interessen und ein sozialer Rückzug. Weitere Hinweise könnten sein, dass persönliche Dinge geregelt werden, etwa über ein Testament, von einem Abschiedsbrief berichtet wird oder suizidtaugliche Medikamente verlangt werden.
Professor Dr. Barbara Schneider / Foto: PZ/Alois Müller
Bei solchen Warnzeichen sollten Apothekenmitarbeiter nicht wegschauen, sondern die betroffene Person ansprechen, sagte Schneider. »Reden hilft!« Die Annahme, dass dieses Ansprechen erst Suizidalität erzeuge, sei falsch. Vielmehr sollte man behutsam einen Kontakt herstellen, das Gespräch suchen und wenn nötig Hilfe anbieten. Zu der richtigen Ansprache hat die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apotheker zusammen mit dem NaSPro 2020 den Gesprächsleitfaden »Suizidale Menschen in der Apotheke« erstellt. Ein möglicher Einstieg ins Gespräch sei, dass man sich Sorgen um den Patienten mache und nach seinem momentanen Befinden frage. »Sprechen Sie den Lebensüberdruss an«, riet die Psychiaterin. Wichtig sei immer eine nicht wertende Kommunikation und die Akzeptanz der Gefühle und Suizidgedanken des Gegenüber. Banalisieren der Probleme helfe nicht. Oft helfe bereits das Reden und die im Gespräch entgegengebrachte Wertschätzung, dass sich die Situation verbessere.
Stellt sich im Gespräch aber heraus, dass die Person nicht garantieren könne, dass sie am nächsten Tag noch am Leben sei, oder äußere sie, die Suizidgedanken nicht mehr kontrollieren zu können, dann liege eine akute Gefährdung vor. In diesem Fall sollten Mitarbeiter in Apotheken die Person zu einer Einrichtung wie etwa einer Beratungsstelle oder zum behandelnden Arzt begleiten oder den Rettungsdienst verständigen. Nehme der Gefährdete keine Hilfe an, könne gegebenenfalls auch die Polizei verständigt werden.
Dennoch: »Beachten Sie die Grenzen Ihrer Hilfsbemühungen«, betonte Schneider. Nicht jede suizidale Person wolle und könne gerettet werden. Es gelte, die Suizidgedanken des anderen zu respektieren und die Selbstbestimmung des Individuums zu achten – auch das Ergebnis. »Im Vordergrund steht das Angebot und nicht der Zwang zur Hilfe«, betonte Schneider.
Denken Sie darüber nach, sich das Leben zu nehmen? Reden Sie darüber! Hilfe und Beratung bei Suizidalität sind rund um die Uhr kostenfrei bei der Telefonseelsorge unter den Telefonnummern 0800/1110111 und 0800/1110222 oder unter www.telefonseelsorge.de zu erhalten.