Wachstumshormon zur Wocheninjektion |
Brigitte M. Gensthaler |
29.04.2022 07:00 Uhr |
Wachstumsstörungen bei Kindern können viele Gründe haben und müssen daher vom Kinderarzt abgeklärt werden. / Foto: Fotolia/Picture-Factory
Wachstumshormon-Mangel (growth hormone deficiency, GHD) ist eine seltene Erkrankung, die auf einer mangelnden Sekretion von Wachstumshormon (Somatropin) aus der Hypophyse beruht. Nach Angaben von Pfizer ist weltweit eines von 4000 bis 10.000 Kindern betroffen. Ohne Behandlung bleiben die Kinder klein und die Pubertät setzt oft verzögert ein.
Das langwirksame humane Wachstumshormon Somatrogon (Ngenla®, Pfizer Europe) wird eingesetzt bei Jugendlichen und Kindern ab drei Jahren, die an Wachstumsstörungen infolge eines GHD leiden. Das Orphan Drug wird als Lösung mit 24 mg/1,2 ml sowie mit 60 mg/1,2 ml im Fertigpen angeboten. Die empfohlene Dosis beträgt 0,66 mg/kg Körpergewicht und wird einmal wöchentlich subkutan verabreicht, vorzugsweise immer am selben Wochentag. Die exakte Dosis kann mit dem Fertigpen eingestellt werden. Benötigt der Patient mehr als 30 mg, liegt sein Körpergewicht also über 45 kg, müssen zwei Injektionen verabreicht werden. Man spritzt in Bauch, Oberschenkel, Gesäß oder Oberarm und wechselt jedes Mal die Injektionsstelle.
Der Vorteil des neuen Medikaments liegt in der einmal wöchentlichen Gabe, während andere Somatropine täglich gespritzt werden müssen. Bei der Umstellung von diesen Präparaten auf die wöchentliche Applikation kann man am Tag nach der letzten täglichen Injektion mit der Somatrogon-Gabe beginnen.
Wurde eine Dosis vergessen, sollte die Injektion so bald wie möglich innerhalb von drei Tagen nach dem regulären Spritztag verabreicht werden. Liegt der vergessene Spritztermin länger zurück, wird die vergessene Dosis übersprungen und die nächste Injektion am regulären Tag verabreicht. In beiden Fällen setzen die Patienten anschließend ihr gewohntes einmal wöchentliches Dosierschema fort. Man kann den regulären Applikationstag auch ändern, sofern das Intervall zwischen zwei Dosen mindestens drei Tage beträgt.
Die Behandlung wird beendet bei Anzeichen für einen Schluss der Epiphysenfugen. Dies gilt auch, wenn die Patienten ihre Endgröße (nahezu) erreicht haben, wenn also die Wachstumsgeschwindigkeit unter 2 cm/Jahr fällt oder das Knochenalter über 14 Jahre bei Mädchen oder über 16 bei Jungen beträgt.
Somatrogon ist ein rekombinantes humanes Wachstumshormon (GH), das eine Kopie des C-terminalen Peptids (CTP) der Beta-Kette des humanen Choriongonadotropins am N-terminalen Ende und zwei CTP-Kopien am C-terminalen Ende trägt. Die CTP-Anhängsel sowie die Glykosylierung verlängern die Halbwertszeit des Glykoproteins.
Somatrogon bindet an den GH-Rezeptor und initiiert eine Signaltransduktionskaskade, die zu Veränderungen von Wachstum und Stoffwechsel führt. Wie GH aktiviert auch die Bindung von Somatrogon an den Rezeptor den STAT5b-Signalweg und erhöht die Serumkonzentration von Insulin-Growth-Factor-1. IGF-1 steigt dosisabhängig an und trägt so zur klinischen Wirkung bei. In Summe wird das Längenwachstum stimuliert und die Wachstumsgeschwindigkeit der Kinder nimmt zu.
Wirksamkeit und Sicherheit des neuen Wirkstoffs (0,66 mg/kg KG/Woche) wurden in einer offenen randomisierten Phase-III-Nichtunterlegenheits-Studie über zwölf Monate an 224 präpubertären Kindern mit GDH mit der Gabe von 0,034 mg/kg/Tag Somatropin (Genotropin®) verglichen. Gemessen an der jährlichen Wachstumsrate nach zwölf Monaten war der Neuling Somatropin nicht unterlegen (10,1 cm versus 9,78 cm). In einer offenen Verlängerungsstudie erhielten 91 Patienten mindestens zwei Jahre lang Somatrogon; auch hier nahm das Wachstum zu.
In einer weiteren offenen randomisierten Phase-III-Studie mit 87 Kindern (C0311002) wurde die Behandlungslast unter der täglichen Genotropin-Injektion und der wöchentlichen Somatrogon-Injektion verglichen. Die wöchentlichen Injektionen reduzierten die Behandlungslast für die Kinder signifikant und verbesserten auch die Belastung der Betreuungsperson. Die Bereitschaft zur Therapietreue stieg.
Die häufigsten Nebenwirkungen waren Reaktionen an der Injektionsstelle (circa 25 Prozent), Kopfschmerzen und Fieber (jeweils rund 10 Prozent). In den meisten Fällen waren lokale Reaktionen vorübergehend und mild. Sie traten vor allem in den ersten sechs Monaten auf. Das Arzneimittel enthält Metacresol, das zu schmerzhaften Injektionen führen kann. Weitere Nebenwirkungen gelten als Klasseneffekte von Somatropin, zum Beispiel gutartige, bösartige und unspezifische Neubildungen, Diabetes mellitus Typ 2, Erkrankungen des Nervensystems, Myalgie, Gynäkomastie, Ausschlag, Urtikaria und Pruritus, Ödeme oder Pankreatitis.
Somatrogon darf nicht bei Anzeichen für eine Tumoraktivität angewendet werden. Vor Therapiebeginn müssen intrakranielle Tumoren inaktiv und eine Antitumorbehandlung abgeschlossen sein. Patienten mit akuten kritischen Erkrankungen, die an Komplikationen nach operativen Eingriffen am offenen Herzen oder im Abdominalbereich, unfallbedingtem Polytrauma, akuter respiratorischer Insuffizienz oder ähnlichen Erkrankungen leiden, dürfen kein Somatrogon bekommen.
Eine gleichzeitige Behandlung mit Glucocorticoiden kann die wachstumsfördernde Wirkung von Somatrogon hemmen. Daher muss eine Glucocorticoid-Substitution bei Patienten mit einem Mangel an adrenocorticotropem Hormon sorgfältig angepasst werden. Wachstumshormone verringern die Umwandlung von Cortison in Cortisol und können einen bislang unbekannten zentralen Hypoadrenalismus aufdecken oder eine niedrig dosierte Glucocorticoid-Substitution unwirksam machen.
Wechselwirkungen gibt es auch bei Insulin und Antidiabetika. Bei Patienten mit Diabetes mellitus muss nach Therapiebeginn mit Somatrogon unter Umständen die Dosis des Insulins und/oder anderer Antidiabetika angepasst werden. Patientinnen unter oraler Estrogentherapie brauchen eventuell eine höhere Dosis Somatrogon, um das Behandlungsziel zu erreichen.
Somatrogon ist eine klassische Schrittinnovation und sinnvolle Weiterentwicklung der bestehenden Therapie bei Wachstumshormonmangel. Wie Somatropin enthält auch das Molekül von Somatrogon ein rekombinant hergestelltes humanes Wachstumshormon. Dieses ist aber mit drei Kopien des C-terminalen Peptids des humanen Choriongonadotropin fusioniert. Die Anhängsel verlängern die Halbwertszeit deutlich, was eine wöchentliche Gabe ermöglicht. Das dürfte die Lebensqualität der betroffenen Kinder und ihren Familien verbessern, wenn sie auf tägliche Injektionen verzichten können, ohne Einbußen in der Wirksamkeit zu haben. Nicht Unterlegenheit gegenüber täglichem Somatotropin ist in einer Studie nachgewiesen. Auch einen positiven Effekt auf die Adhärenz könnte Somatrogon haben.
Sven Siebenand, Chefredakteur