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Grippe versus Covid-19

Vorsicht bei Vergleich der Zahl der Todesfälle

Warum sind bei einer neuen Erkrankung mit derzeit 200 Todesfällen in Deutschland einschneidende Schutzmaßnahmen nötig, aber nicht bei schweren Grippewellen, bei denen bis zu 25.000 Menschen sterben? Weil der Vergleich nicht korrekt ist.
Christina Hohmann-Jeddi
26.03.2020  17:36 Uhr

Beim Vergleich der Sterbefälle der echten Influenza und Covid-19 muss man vorsichtig sein. Denn bei den häufig zitierten 25.000 Todesfällen in der schweren Grippesaison 2017/2018 handelt es sich um eine Schätzung der Übersterblichkeit im Zeitraum der Grippewelle, die das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin jährlich vornimmt. Bei den Covid-19-Sterbefällen handelt es sich dagegen nicht um eine Schätzung, sondern um die Summe aller Todesfälle bei Patienten mit laborbestätigter Infektion.

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Archiv. Aktuelle Informationen zum Thema finden Sie auf unseren Themenseiten Grippe und Coronavirus.

Wenn man also die aktuelle Covid-19-Todesfallzahl mit der Anzahl der Grippetoten von 2017/2018 vergleichen möchte, darf für die Grippe auch lediglich die Zahl der Todesfälle bei laborbestätigt Influenza-Infizierten herangezogen werden. Diese lag laut RKI-Saisonbericht bei 1.674 Todesfällen. In der aktuellen Saison 2019/2020 liegt sie den neuesten Zahlen zufolge bei 323; für Covid-19 beträgt sie aktuell 198. Bei Covid-19 steht Deutschland allerdings noch ganz am Anfang einer Epidemie mit exponenziell wachsenden Fallzahlen, entsprechend wird die Zahl der Todesfälle auch noch zunehmen, wie Experten immer wieder betonen. »Wir befinden uns am Anfang einer Epidemie«, sagte RKI-Präsident Professor Dr. Lothar Wieler vergangene Woche in einem Pressebriefing. »Wenn man sich eine Kurve vorstellt, befinden wir uns links unten.«

Für Großbritannien haben Forscher des Imperial College London berechnet, dass wenn keinerlei Schutzmaßnahmen getroffen würden, etwa 500.000 Menschen durch die SARS-CoV-2-Epidemie sterben könnten. Bei bestimmten Schutzmaßnahmen wie Isolierung von Risikopersonen, Quarantäne von Erkrankten und deren Kontaktpersonen ließe sich diese Zahl auf 250.000 Todesfälle senken. Die britische Regierung hat aufgrund dieser Modellierungs-Studie weitreichende Maßnahmen zur sozialen Distanzierung beschlossen. Da Großbritannien mit 66,4 Millionen Einwohnern unter Deutschland liegt, dürften bei uns die Zahl der Infizierten und Todesfälle höher ausfallen. Diese Zahlen lassen die strengen Maßnahmen, die die Bundesregierung veranlasst hat, durchaus angebracht erscheinen.

Im Iran, wo lange keine Schutzmaßnahmen ergriffen wurden, rechnen Forscher laut einem »Spiegel online«-Bericht jetzt mit bis zu 3,5 Millionen Toten. Das Land hat in etwa gleich viele Einwohner wie Deutschland, rund 82 Millionen. Allein die Tatsache, dass in einer westlichen Industrienation, nämlich Italien, derzeit eine Kolonne von Militärlastern benötigt wird, um Särge abzutransportieren, zeigt, dass Covid-19 mit der Grippe nicht zu vergleichen ist. Kolonnen von Lastern zum Abtransport von Särgen waren bislang bei keiner Grippesaison nötig, weder in Italien noch in Deutschland, sieht man von der »Spanischen Grippe« 1918 ab. 

Erst vor Kurzem hatte Wieler erklärt, dass sich Covid-19 deutlich von der Grippe unterscheide. Zum einen übertrage sich die Erkrankung deutlich effizienter als die Grippe, zum anderen seien die Raten an schwer Erkrankten, an beatmungspflichtigen Patienten und die Sterberate höher. Das sei eine ganz andere Dimension. »Wenn es immer noch Menschen gibt, die das nicht glauben wollen, möchte ich sie bitten, die Augen zu öffnen für die Realität«, lautete Wielers Appell.

Während die SARS-CoV-2-Epidemie in Deutschland erst startet, geht die aktuelle Grippewelle allmählich zu Ende. Laut heute erschienenen Wochenbericht der AG Influenza hat die Grippewelle ihren Höhepunkt überschritten. Die Influenza-Aktivität ist in der 12. Kalenderwoche deutlich zurückgegangen.

Die wegen der Covid-19-Pandemie geschlossenen Kitas und Schulen scheinen zu einer deutlichen Reduzierung der Aktivität von akuten Atemwegserkrankungen bei Kindern beizutragen. Nach Schätzung der AG Influenza haben in der Saison 2019/2020 bis jetzt insgesamt rund 4,2 Millionen Personen wegen Influenza eine Haus- oder Kinderarztpraxis aufgesucht. Etwa 177.000 labordiagnostisch bestätigte Influenza-Erkrankungen wurden diese Saison an das RKI übermittelt, 16 Prozent der Patienten wurden hospitalisiert. Hinzu kommt die Dunkelziffer der nicht getesteten Influenza-Infizierten.

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