Vorhofflimmern kommt selten allein |
Daniela Hüttemann |
17.06.2021 11:00 Uhr |
Patienten mit Vorhofflimmern haben häufig eine komplexe Medikation – hier lohnt sich fast immer ein genauer pharmazeutischer Blick. / Foto: Getty Images/HATICE GOCMEN
Vorhofflimmern bleibt oft unerkannt oder wird von den Betroffenen unterschätzt – dabei ist es ein wichtiger Risikofaktor für Schlaganfälle, Herzinsuffizienz und insgesamt eine erhöhte Morbidität und Mortalität. Schätzungsweise 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung sind von dieser häufigsten Form der Herz-Rhythmus-Störung (Arrhythmie) betroffen. Etwa ein Drittel merkt jedoch nichts davon. Andere leiden unter Herzstolpern (Palpitationen), Herzrasen, Schwindel, Ohnmachtsanfällen oder einem ungleichmäßigem oder zu schnellen Puls.
»Meistens haben Patienten mit Vorhofflimmern auch noch andere behandlungsbedürftige Erkrankungen«, erklärte Stefan Göbel, Apotheker aus Heringen an der Werra, bei einer Online-Fortbildung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG). Dazu zählen neben der Herzinsuffizienz auch Hypertonie, koronare Herzerkrankung (KHK) und Diabetes. »Das eine bedingt zum Teil das andere, und wir sehen häufig komplexe Medikationen«, so Göbel, der Inhaber der Brücken-Apotheke ist und einen Lehrauftrag für Klinische Pharmazie an der Universität Jena hat. »Die Patienten bekommen schnell mehr als zehn Medikamente, da wird es pharmazeutisch anspruchsvoll.«
Nicht vergessen dürfe man zudem, was der Patient in der Drogerie gekauft oder der Enkel mitgebracht habe. Kurz: Zunächst einmal sollte eine umfängliche Aufstellung der Medikation und Nahrungsergänzung erfolgen. »Sie werden vermutlich eine ganze Reihe arzneimittelbezogener Probleme finden, die sich nicht alle lösen lassen«, so Göbel. Es gelte, sich auf die wichtigsten Aspekte zu konzentrieren und manchmal auch Kompromisse einzugehen – natürlich immer in Abstimmung mit Arzt und Patienten. »Das ist eine anspruchsvolle Arbeit, die nur interdisziplinär gelingen kann«, betonte der Apotheker.
Wo also anfangen? Gerade bei Vorhofflimmern lohne sich ein Blick auf die QT-Zeit am Herzen. Das ist die Erregungsdauer der Herzkammer, von der Q-Zacke bis zur T-Welle im EKG. Zahlreiche Medikamente können diesen Zeitraum, der normalerweise 350 bis 440 Millisekunden dauert, verlängern. Werte der frequenzabhängig normierten QT-Zeit (QTc-Zeit) von über 500 Millisekunden sind ein deutlicher Risikofaktor für Torsade de pointes-Tachykardien, die wiederum zu Kammerflimmern und plötzlichem Herztod führen können.
Die QT-Zeit beschreibt die Erregungsdauer der Herzkammer, von der Q-Zacke bis zur T-Welle im EKG. / Foto: Adobe Stock/lukpedclub
Ein QT-Zeit-verlängerndes Medikament ist dabei häufig noch kein Problem, Kombinationen sollten dagegen hinterfragt werden. Als weitere Quelle zur Beurteilung von QT-Zeit-bezogenen Interaktionen neben dem Wechselwirkungscheck der Apotheken-Software verwies Göbel auf die Website www.crediblemeds.org. Sie sei kostenlos, werde ständig wissenschaftlich evaluiert und biete gute Informationen für eine erste Risikoeinschätzung.
Zudem sind nicht medikamentöse Risikofaktoren für eine QT-Zeit-Verlängerung zu berücksichtigen, allen voran das weibliche Geschlecht, das Alter, eine Nierensuffizienz, eine Schilddrüsenunterfunktion, eine Herzinsuffizienz, das Long-QT-Syndrom als Grunderkrankung sowie Hypokaliämie und Hypomagnesiämie (cave bei Diuretika und PPI). »Eine QT-Zeit-Verlängerung ist zum Teil auch dosisabhängig, sodass hier eine Dosisanpassung angezeigt sein kann«, so Göbel. Zudem seien Interaktionen über das CYP-System zu berücksichtigen.
Zu den kardialen Ursachen gehören Herzinsuffizienz, Herzklappen-Erkrankungen, Herzfehler, Kardiomyopathien und auch das sogenannte Sportlerherz bei Ausdauersportlern. Zu den extrakardialen Ursachen zählen hoher Alkoholkonsum, Hyperthyreose, Bluthochdruck, ein Schlafapnoe-Syndrom, genetische Faktoren, Operationen, Stromunfälle und auch bestimmte Medikamente, darunter Beta-Sympathomimetika, Theophyllin, Thiazid-Diuretika, Nitrate, Clopidogrel, Sildenafil, Sumatriptan, Clozapin und Fluoxetin sowie die Antiarrhythmika selbst.
Als zweites großes Thema bei Patienten mit Vorhofflimmern nannte der Apotheker die Thromboembolie-Prophylaxe. »Aus Angst vor Blutungen nehmen viele Menschen Gerinnungshemmer nicht gern ein – hier können wir mit ein oder zwei Sätzen viel für die Adhärenz tun, zum Beispiel, dass dieses Medikament den Patienten vor einem Schlaganfall schützt«, so Göbel. »Patienten sollten immer wissen, warum sie ein bestimmtes Medikament einnehmen.«
Apothekerinnen und Apotheker sollten vor allem auch ein Auge auf potenzielle Interaktionen haben, die das Blutungsrisiko erhöhen können. Werden Vitamin-K-Antagonisten gegeben, werde bei Vorhofflimmern ein INR-Wert von 2,0 bis 3,0 angestrebt (bei künstlicher Herzklappe zum Teil höher). Göbel nannte das Fallbeispiel eines normalerweise gut eingestellten Patienten, dessen INR-Wert innerhalb weniger Tage in die Höhe schoss. Herr S. hatte sich über ein kaputtes Messgerät in der Apotheke beschwert. Tatsächlich hatte jedoch die Verordnung von Cotrimoxazol die Dauermedikation aus Tamsulosin, Nebivolol, Phenprocoumon und Pravastatin plus Bedarfsmedikation Cinnarizin, Dimenhydrinat, Prednisolon, Ibuprofen, Paracetamol und Metamizol durcheinandergebracht. Cotrimoxazol hemmt CYP2C9, über das Phenprocoumon verstoffwechselt wird.
Im Gegensatz zu den Vitamin-K-Antagonisten lässt sich die Dosierung direkter oraler Antikoagulanzien (DOAK) nicht über den INR steuern. Sie müssen an die Nierenfunktion angepasst werden. Verstoffwechselt werden sie vor allem über CYP3A4, und sie sind Substrate von P-Glykoprotein, sodass hier auf entsprechende Interaktionen geachtet werden sollte.
»Wenn Patienten unter Gerinnungshemmern ein zusätzliches Medikament einnehmen, das Wechselwirkungen damit auslösen kann, sollten Sie immer die Kennzeichen für Blutungen im Körper nennen«, riet Göbel, »damit die Patienten darauf achten können und gegebenenfalls frühzeitig einen Arzt aufsuchen.« Dazu gehören rötlich verfärbter Urin, schwarz verfärbter Stuhl, dunkles Erbrechen, plötzliche starke Kopfschmerzen, plötzlich auftretende Blutergüsse, Gelenkschwellungen und starkes Nasenbluten.
Neben der Blutgerinnungshemmung spielt bei der Therapie von Vorhofflimmern die Frequenz- und Rhythmuskontrolle eine wichtige Rolle. Zur Frequenzkontrolle kommen Betablocker, Digoxin und Diltiazem/Verapamil allein oder als Zweifach-Kombination zum Einsatz. Apotheker wissen, dass Herzglykoside eine geringe therapeutische Breite haben. »Die Patienten sollten daher die Anzeichen für eine Intoxikation kennen«, so Göbel. Dazu zählen Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, Schwindel und als eindeutigstes Anzeichen eine Verschiebung beim Farbensehen hin zu gelb.
Bei der Medikationsanalyse sollten Apotheker neben Wechselwirkungen auch darauf achten, dass die Dosis der Herzglykoside an die Nierenfunktion angepasst wurde. Vorsicht sei auch bei Elektrolytstörungen geboten.
Als Ultima ratio in der medikamentösen Rhythmuskontrolle gilt Amiodaron – »eine pharmazeutische Wundertüte« nannte Göbel die Substanz. »Die orale Bioverfügbarkeit schwankt zwischen 30 und 80 Prozent, die Halbwertszeit zwischen 20 und 100 Tagen. Durch die Einlagerung ins Fettgewebe kann Amiodaron nach Absetzen noch mehrere Wochen eine Restaktivität zeigen«, warnte der Referent. Der Arzneistoff verlängert zudem deutlich die QT-Zeit und zeigt häufig CYP3A4-Wechselwirkungen.
Eine der letzten medikamentösen Therapiemöglichkeiten bei Vorhofflimmern ist Amiodaron – »eine pharmazeutische Wundertüte«. / Foto: Getty Images/wildpixel
Als Nebenwirkungen entwickeln 2 bis 7 Prozent aller Patienten eine ausgeprägte Lungentoxizität. Häufig sind auch Störungen der Schilddrüse und Einlagerungen in der Hornhaut. Zudem kann Amiodaron zu Hautveränderungen führen und die Sonnenempfindlichkeit erhöhen. »Auf diese Nebenwirkungen sollten wir im Beratungsgespräch immer hinweisen«, so der Apotheker. »Nicht alle unerwünschten Wirkungen werden wir verhindern können, aber fähige Apothekerinnen und Apotheker können das Risiko hierfür deutlich reduzieren«, resümierte Göbel.