Viel Kritik für verpflichtenden Notfallbotendienst |
Melanie Höhn |
01.12.2022 09:00 Uhr |
Das aktuelle Botendienst-Honorar von 2,50 Euro deckt nicht die Unkosten für Kraftstoff, Versicherungen oder Personal, sagte Daniela Händel von der Freien Apothekerschaft bei der Anhörung. / Foto: Imago images / Ralph Peters
Der Gesundheitsausschuss des Bundestage hat sich gestern mit dem Thema Apotheken-Botendienst beschäftigt. Laut Antrag der AfD-Fraktion würden Botendienste den Patientinnen und Patienten einen schnelleren Zugriff auf wichtige Arzneimittel als der Versandhandel bieten. Um diese Versorgungsmöglichkeit zu erhalten, brauche der Botendienst eine wirtschaftliche Basis, die gleichzeitig dazu beitrage, die Präsenzapotheken in der Fläche zu erhalten. Die AfD-Abgeordneten fordern konkret, eine Verordnungsfähigkeit für Notfall-Botendienste in der ambulanten Versorgung zu schaffen und die Anlieferung pauschal zu honorieren. Die Honorierung soll sich je nach Radius um die Apotheke richten.
Für »nicht zielführend« hält ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening eine honorierte ärztliche Verordnung eines Notdienstes. »Wenn ein ärztlich verordneter Botendienst für den Notdienst möglich wäre, würde dies bedeuten, dass Apotheken in einem Notdienst permanent ein Fahrzeug und Personal vorhalten müssen«, sagte sie im Ausschuss. Dies führe jedoch zu einem Kontrahierungszwang: »Ich könnte meine Apotheke nicht verlassen, weil ich Notdienst habe, könnte aber auch den Botendienst nicht ausführen, weil ich kein Personal vorhalten kann«, erklärte sie. »Das wäre eine überbordende Belastung und ich weiß nicht, ob die Gesetzliche Krankenversicherung oder der Gesetzgeber dazu bereit wären, diese Vorhaltekosten zu finanzieren«. Zudem sei die erwartbare Häufigkeit vermutlich so gering, dass grundsätzlich keine Verhältnismäßigkeit bestünde, daher gebe es keinen Bedarf dafür. »Ein erheblicher Anteil der Patienten, die einen Notfallbedarf an Arzneimitteln haben, können durch Apotheken versorgt werden, ohne dass zuvor ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden muss«, hieß es in der Vorab-Stellungnahme der ABDA zu diesem Thema.
Des Weiteren geht laut Overwiening die Idee, die einzelnen Kilometer zur Grundlage zu machen, völlig an der Zielsetzung vorbei, Apotheken stärken zu wollen – es bewirke genau das Gegenteil, so die ABDA-Präsidentin. Zudem betonte sie, dass Patientinnen und Patienten durchweg sehr zufrieden mit dem Botendienst der Apotheken seien und ihn sehr gut angenommen hätten. Die Apotheken würden sehr verantwortungsvoll mit dem Einsatz des Botendienstes umgehen und ihn nicht in einem überschwänglichen Maß und »sehr wohl dosiert« anbieten. Zwar gebe es im ländlichen Bereich eine stärkere Unterfinanzierung als in den städtischen Regionen, aber auch in den Städten sei der Botendienst unterfinanziert. Außerdem machte die ABDA-Präsidentin deutlich, dass die Möglichkeit der Botendienste ein richtiger Schritt sei, eine bis ans Krankenbett gehende Versorgung leisten zu können und so dem Versandhandel »ein gewisses Paroli zu bieten«. Zudem forderte sie eine Botendienst-Vergütung von mindestens 6 Euro: »Damit wären unsere Kosten im Durchschnitt gedeckt, es wäre kein Gewinn«, sagte Overwiening im Ausschuss.
Daniela Hänel von der Freien Apothekerschaft lehnte den AfD-Antrag ebenfalls ab: »Ein per Gesetz festgelegter, ärztlich zu verordnender Botendienst führt dazu, dass immer ein Bote in der Apotheke vorgehalten werden muss. Das ist in der aktuellen Zeit mit der Honorierung und dem pharmazeutischen Fachkräftemangel nicht umsetzbar«. Es dürfe keine verpflichtende Vorhaltung eines Boten gefordert werden, da sich die individuellen, örtlichen und strukturellen Gegebenheiten der Vor-Ort-Apotheken stark voneinander unterschieden. Zudem kritisierte sie, dass das aktuelle Botendienst-Honorar von 2,50 Euro nicht die Unkosten wie Kraftstoff, Versicherungen oder Personal deckte. Außerdem monierte die Apothekerin, dass der Botendienst nicht für apothekenpflichtige Arzneimittel wie etwa Schmerz- und Fiebersäfte für Kinder, Wundpflege, Trinknahrung oder pharmazeutische Dienstleistungen bei onkologischen Patienten abgerechnet werden könne. Hier bestehe Handlungsbedarf: »Wenn eine alleinerziehende Mutter mit einem fiebernden Kind zu Hause ist, ist sie nicht in der Lage, dieses Medikament abzuholen.«
Michael Bäumler-Sundmacher vom GKV-Spitzenverband erläuterte das Problem, das der GKV-SV mit dem jetzigen Botendienst hat: »Es liegt im Ermessen der Apotheke, wann ein Botendienst eingesetzt wird. Aber wir hätten gern einen objektiven Maßstab und dann kann es guten Gewissens zulasten der Solidargemeinschaft erbracht werden«, sagte er in der Anhörung. Dies müsse »nicht unbedingt die ärztliche Verordnung sein, es gibt auch andere Kriterien wie etwa ein Schwerbehindertenausweis mit Nachweis einer Gehbehinderung«. Generell müsse es objektivierbar sein, wann ein Botendienst erbracht wird.
Bäumler-Sundmacher betonte, dass die Notfallversorgung als Gesamtpaket gedacht werden müsse und man nicht einzelne Stücke herausgreifen dürfe. Zudem erklärte er, dass es nicht die Botendienste sein werden, die die wirtschaftlich nicht gut dastehenden Apotheken retten können. Der GKV-SV verfolge einen anderen Ansatz, nämlich die Möglichkeit, neue Versorgungsformen schaffen zu können. Hierbei erwähnte er Abgabeautomaten in kleinen Orten, mobile Apotheken an bestimmten Tagen und Orten oder Telepharmazie. »Der Kreativität, wie die Arzneimittelversorgung in Zukunft aussehen kann, sind allen Türen und Tore geöffnet«, erwiderte Overwiening. Jedoch würden beispielsweise Abgabeautomaten bestehenden Apotheken Konkurrenz machen. Es müsse eher den bestehenden Apotheken geholfen werden.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) nahm den Antrag zum Anlass, ein ärztliches Dispensierrecht zu fordern: »Ein auf die Notfallversorgung und die Abgabemöglichkeit von akut benötigten Arzneimitteln wie etwa Schmerzmittel beschränktes Dispensierrecht für Ärzte würde ein wichtiges Instrument zur Verbesserung der Patientenversorgung darstellen. Der Patient könnte sofort das benötigte Arzneimittel erhalten und müsste nicht erst eine gegebenenfalls weit entfernte oder schwer erreichbare Notdienstapotheke aufsuchen oder mit dieser wegen einer Belieferung Kontakt aufnehmen und diese dann abwarten«, hieß es in einer Vorab-Stellungnahme. Dem Gedanken der besseren und schnelleren Versorgung der Patienten mit den erforderlichen Medikamenten habe der Gesetzgeber bereits mit der bis Anfang April 2023 befristeten Abgabemöglichkeit von Paxlovid an Covid-19-Patienten mit hohem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf Rechnung getragen. Die ABDA lehnte diesen Vorschlag ab, denn dafür gebe es keinen Bedarf: »Wie viele Medikamente will ein Arzt denn vorhalten? Was ist mit der Lagerung von Kühlartikeln? Woher bezieht er es?«, so Overwiening in der Anhörung.
Nikolaus Schmitt vom Barmer-Institut für Gesundheitsforschung erklärte in der Anhörung noch einmal, warum die Kasse das während der Coronavirus-Pandemie eingeführte Botendienst-Honorar grundsätzlich hinterfragt. Laut Analyse wurden die Ziele der neuen Vergütung – die Kontaktvermeidung und die bessere Versorgung vulnerabler Gruppen – verfehlt. Die PZ hatte darüber berichtet. Laut Schmitt wurde nur jedes 11. Medikament an Versicherte zwischen 80 und 90 Jahren ausgeliefert – über 90 Prozent der Medikamente würden noch immer abgeholt. Unklar sei jedoch, ob vom Versicherten selbst oder anderen Personen wie Familie oder Verwandte. Außerdem kam die Studie zu dem Schluss, dass Botendienste in ländlichen Regionen nicht mehr eingesetzt werden als in den Städten. Schmitt ging jedoch nicht auf die inhaltlichen Fehler der Analyse ein, über die die PZ bereits berichtete.
Neben dem Botendienst wurde auch das Thema Null-Retaxationen in der Anhörung angesprochen. Gabriele Regina Overwiening bezeichnete diese als »ganz großes Wagnis« und eine Bedrohung für Apotheken, da sie zu Insolvenzen führen können.