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Weitere Covid-19-Booster?

Viel hilft nicht zwingend viel

Ob und wann eine vierte Impfung zum Schutz vor schweren Covid-19-Verläufen nötig ist, ist noch unklar. Denn zu häufiges Impfen mit dem gleichen Antigen kann die Immunantwort auch reduzieren, zeigen Erfahrungen mit Grippeimpfstoffen. Hier lohnt ein genaues Hinsehen.
Theo Dingermann
10.05.2022  14:30 Uhr

Viele der aktuellen Fragen zum Aufbau eines möglichst optimalen Immunschutzes vor schweren Covid-19-Verläufen sind seit Jahrzehnten Forschungs- und Diskussionsthemen in der Grippeimpfstoffliteratur. Sich an dieses Erfahrungswissen zu erinnern, fordern Dr. Mark G. Thompson vom Influenza Division der Centers for Disease Control and Prevention in Atlanta, USA, und Professor, Dr. Benjamin J. Cowling vom WHO Collaborating Centre for Infectious Disease Epidemiology and Control an der University of Hong Kong, China, in einem aktuellen Kommentar, der in »The Lancet: Respiratory Medicine« erschien.

Ein Blick in diesen Erfahrungsschatz lohnt deshalb, weil es für Influenzaimpfungen erforderlich ist, in ungewöhnlich kurzen Abständen den Immunschutz zu erneuern, um der hohen genomischen Variabilität der Influenzaviren zu begegnen. Jedes Jahr wird zur Impfung mit saisonalen Grippeimpfstoffen aufgerufen. Ob dies auch bei Coronaimpfungen erforderlich sein könnte, wird derzeit kontrovers diskutiert.

Dass zum Schutz vor schweren Covid-19-Verläufen auch zusätzliche Impfstoffdosen notwendig sein werden, ist unbestritten. Unklar ist, wie häufig und mit welchem Impfstofftyp welchen Bevölkerungsgruppen eine Auffrischimpfung empfohlen werden sollte. Relevante Empfehlungen sind nicht leicht auszusprechen.

Daten zu Grippeimpfstoffen deuten darauf hin, dass wiederholte Impfungen keineswegs zwingend positive Effekte entfalten. Man weiß, dass ein zu häufiges Impfen auch eine abgeschwächte Immunantwort, sogar eine Abnahme der Wirksamkeit des Impfstoffs und eine möglicherweise verkürzte Schutzdauer zur Folge haben kann. Die zugrunde liegenden Mechanismen dieser anscheinend paradoxen Effekte sind nicht voll verstanden, aber zwei Theorien werden in der Influenzaliteratur ausführlich diskutiert.

Hypothese der Antigendistanz

Die Hypothese der Antigendistanz (ADH) besagt, dass eine jährliche Influenzaimpfung dann einen suboptimalen Impfschutz induziert, wenn sich die Impfantigene des aktuellen und des Vorjahresimpfstoffs kaum unterscheiden, aber nicht gut zu den zirkulierenden Viren passen. Auf Basis dieser Hypothese erscheint es nicht ratsam, sich zu häufig, beispielsweise vier- oder gar fünfmal mit dem gleichen Coronaimpfstoff impfen zu lassen. Sinnvoller erscheint es, auf die Einführung modifizierter Impfstoffe zu warten, um nicht in die Falle einer Antikörperreaktion auf eine prägende Infektion nach der Theorie der »antigenen Erbsünde« zu laufen. An adaptierten Impfstoffen wird gearbeitet, sie sollen bis Herbst zur Verfügung stehen

Als »antigene Erbsünde« (Englisch: Original Antigenic Sin) ist das Phänomen bekannt, dass bei Individuen, die einmal mit einer Virusvariante infiziert wurden, eine starke Tendenz des Immunsystems besteht, bei einem Kontakt mit einer zweiten Variante dieses Virus dennoch Antikörper nur gegen Epitope der ersten Variante zu bilden. Analog gilt dies auch für Impfungen.

Die zweite Theorie, die auch als Infektionsblockierungs-Hypothese bezeichnet wird, postuliert, dass durch den Impfschutz immunogene Infektionen mit dem Erreger und dadurch ein Priming oder ein Boostern der Immunantwort verhindert werden.

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