Unter Darolutamid länger metastasenfrei |
Brigitte M. Gensthaler |
05.06.2020 08:00 Uhr |
Mehr als 58.000 Männer erkranken pro Jahr neu an Prostatakrebs. Damit ist diese Krebsart eine der häufigsten in Deutschland. / Foto: Your Photo Today/Phanie
Prostatakrebs gehört nach Brust- und vor Dickdarm- und Lungenkrebs zu den häufigsten Tumoren in Deutschland. Jährlich erkranken rund 58.800 Männer neu daran (RKI-Krebsdaten 2016). Etwa 2 bis 8 Prozent der Männer mit Prostatakrebs sind im sogenannten nmCRPC-Stadium, haben also ein nicht metastasiertes, kastrationsresistentes Prostatakarzinom. Das bedeutet, dass der Tumor trotz Absenkung der endogenen Testosteronspiegel auf Kastrationsniveau weiterwächst (erkennbar am erneuten Anstieg des Prostata-spezifischen Antigens, PSA), aber keine Fernmetastasen in der konventionellen Bildgebung nachweisbar sind.
Der Androgenentzug erfolgt meist medikamentös mit GnRH-Agonisten oder -Antagonisten (chemische Kastration) sowie Antiandrogenen (Androgenrezeptor-Inhibitoren, ARI). Darolutamid zählt ebenso wie die zugelassenen Stoffe Enzalutamid und Apalutamid zu den ARI. Primäres Therapieziel ist, das metastasenfreie Überleben zu verlängern, da eine Metastasierung die Prognose und Lebensqualität des Mannes verschlechtert.
Darolutamid hat eine flexible, polar substituierte Pyrazolstruktur und bindet mit hoher Affinität direkt an die Liganden-bindende Domäne des Androgenrezeptors (AR). Damit blockiert es kompetitiv die Androgenbindung, die Translokation des AR in den Zellkern sowie die AR-vermittelte Transkription. Dies wiederum hemmt die Proliferation der Karzinomzellen. Ein Hauptmetabolit, Keto-Darolutamid, zeigte in vitro eine ähnliche Aktivität.
Darolutamid (Nubeqa® 300 mg Filmtabletten, Bayer) ist indiziert für die Behandlung von Männern mit nicht metastasiertem, kastrationsresistenten Prostatakarzinom, die ein hohes Risiko für die Entwicklung von Metastasen haben. Der Patient nimmt zweimal täglich 600 mg Darolutamid (zwei 300-mg-Tabletten) zu einer Mahlzeit ein. Die Tagesgesamtdosis liegt somit bei 1200 mg. Hat er eine Dosis vergessen, sollte er diese vor dem nächsten Einnahmezeitpunkt nachholen, aber nicht zwei Dosen auf einmal einnehmen.
Bei älteren Männern, bei leichter bis mäßiger Nierenfunktionsstörung sowie leichter Leberinsuffizienz muss die Dosis nicht angepasst werden. Sind die Organe höhergradig eingeschränkt, wird mit zweimal täglich 300 mg gestartet. Eine medikamentöse Kastration mit einem Luteinisierenden-Hormon-Releasing-Hormon-Analogon soll bei Patienten, die nicht chirurgisch kastriert sind, fortgeführt werden.
Darolutamid ist ein Substrat von CYP3A4, P-Glycoprotein (P-gp) sowie dem Breast Cancer Resistance Protein (BCRP). Die Anwendung von starken und moderaten CYP3A4- und P-gp-Induktoren (wie Carbamazepin, Phenobarbital, Johanniskraut, Phenytoin und Rifampicin) wird während der Therapie mit Darolutamid nicht empfohlen. Bei Verabreichung von CYP3A4-, P-gp- oder BCRP-Inhibitoren sind aber keine klinisch bedeutsamen Wechselwirkungen zu erwarten. Insgesamt ist Darolutamid in puncto Wechselwirkungspotenzial weitgehend unproblematisch. Dies dürfte für die meist komorbiden Patienten hilfreich sein.
Dass Darolutamid das metastasenfreie Überleben (MFS) verlängern kann, wurde in der randomisierten, doppelblinden Phase-III-Studie ARAMIS mit rund 1500 Männern mit nmCRPC gezeigt. Bei diesen verdoppelte sich der PSA-Wert trotz Androgendeprivationstherapie (ADT) in weniger als zehn Monaten, ohne dass Fernmetastasen nachweisbar waren. Sie bekamen zusätzlich zur ADT randomisiert entweder zweimal täglich 600 mg Darolutamid (n = 955) oder Placebo (n = 554).
Das MFS (primärer Endpunkt) verlängerte sich unter Verum median um 22 Monate (40,4 versus 18,4 Monate). Der Vorteil war in allen Subgruppen nachweisbar. Ebenso wurde die Zeit bis zur Schmerzprogression von 25,4 auf 40,3 Monate verlängert. Beim Gesamtüberleben gab es einen positiven Trend. Die Behandlung mit Darolutamid verlängerte zudem das progressionsfreie Überleben (median 36,8 versus 14,8 Monate) und die Zeit bis zur PSA-Progression (median 33,2 versus 7,3 Monate). Über alle Überlebensparameter hinweg wurde eine konsistente Wirkung beobachtet, heißt es in der Fachinformation.
Häufigste Nebenwirkungen waren Fatigue und Erschöpfung (15,8 Prozent) und veränderte Laborwerte (Neutropenie, erhöhte Bilirubin- und Aspartat-Aminotransferase (AST)-Spiegel). Häufig waren Muskel- und Skelettschmerzen, Ausschlag sowie ischämische Herzkrankheit und Herzinsuffizienz. 4,2 Prozent der mit Verum behandelten Patienten erlitten Knochenbrüche (3,6 Prozent unter Placebo).
Darolutamid ist als Schrittinnovation einzustufen. Es ist keine Sprunginnovation, weil es als Antiandrogen dasselbe pharmakologische Wirkprinzip wie die bekannten Wirkstoffe Enzalutamid und Apalutamid aufweist. Auch ein neues Anwendungsgebiet wird nicht erschlossen. In der ARAMIS-Studie zeigte Darolutamid eine signifikante Verbesserung des Metastasen-freien Überlebens und des Gesamtüberlebens, allerdings nur gegenüber Placebo. Ein direkter Vergleich mit Apalutamid und/oder Enzalutamid wäre wünschenswert.
Darolutamid ist jedoch mehr als ein Analogpräparat. Strukturell unterscheidet es sich von den beiden anderen Arzneistoffen. Die neue Struktur legt eine stärkere Rezeptor-Aktivierung und damit eine bessere Hemmung der Zellproliferation nahe. Präklinische Studien zeigen ferner, dass Darolutamid deutlich schlechter die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann als Apalutamid oder Enzalutamid. Ein Einfluss auf die Durchblutung von Hirnarealen, die für die Kognition wichtig sind, hat sich in der Zulassungsstudie mit Darolutamid nicht gezeigt. Zudem besitzt der Arzneistoff ein vergleichsweise niedriges Wechselwirkungspotenzial und weniger Männer entwickelten eine Hypertonie, weitere Vorteile gegenüber den beiden anderen Arzneistoffen.
Sven Siebenand, Chefredakteur