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Parkinson und Alzheimer

Umweltschadstoffe unter Beobachtung

Die Prävalenz neurodegenerativer Erkrankungen wie Parkinson steigt mehr als allein durch den demografischen Wandel zu erwarten wäre. Das teilt aktuell die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) mit. Welchen Anteil tragen Umweltschadstoffe dazu bei?
PZ
24.05.2023  17:00 Uhr

»Der demografische Wandel führt in der Gesellschaft zwangsläufig zu einer Zunahme altersassoziierter Erkrankungen, unter anderem der Alzheimer- und Parkinson-Erkrankung«, heißt es in einer Mitteilung der DGN. Doch nehme die Prävalenz insbesondere bei Parkinson überproportional zu – also deutlich mehr, als allein durch die Überalterung der Gesellschaft erklärt werden könne.

Eine mögliche Ursache für die Entstehung der chronisch neurodegenerativen Erkrankungen seien Genmutationen, allerdings sei die Mehrzahl der Fälle nicht auf die Genetik zurückzuführen. Auch lebensstilbedingte Faktoren spielten nachweislich eine Rolle, informiert die Fachgesellschaft mit Verweis auf einen Bericht der »Lancet Commission« aus dem Jahr 2020 (DOI: 10.1016/S0140-6736(20)30367-6) weiter. Die Vermeidung beziehungsweise Korrektur entsprechender Risikofaktoren könne demnach etwa 40 Prozent aller Demenzerkrankungen verhindern. Zu diesen Faktoren zählten mitunter Depressionen, Bluthochdruck, Rauchen, Übergewicht, körperliche Inaktivität, Diabetes mellitus, der Mangel an sozialen Kontakten sowie (wiederholte) Schädel-Hirn-Traumen, exzessiver Alkoholkonsum und Luftverschmutzung.

Dass Partikelschadstoffe aus der Luft und Umwelttoxine sich akut auf das Nervensystem auswirkten, zeige sich bei Vergiftungen. Doch stelle sich die Frage, ob Umwelttoxine auch mit neurodegenerativen Alterserkrankungen zusammenhängen. »Verdächtige« Substanzen gebe es viele: Neben Feinstaub gehörten dazu Pflanzenschutzmittel/Pestizide, Lösemittel wie Toluol, Mineralöle, chemische Weichmacher, Bisphenol A (BPA), Mikroplastik und Nanopartikel, aber auch neurotoxische Metalle wie Blei, Quecksilber, Cadmium oder Mangan.

Toxische Effekte durch TCE?

Laut DGE wird seit längerer Zeit die mögliche Rolle des industriellen Lösungsmittels Trichlorethylen (TCE) bei der Entstehung von Morbus Parkinson diskutiert. Erst kürzlich wurde im Fachjournal »Jama Neurology« eine Studie (DOI: 10.1001/jamaneurol.2023.1168) publiziert, »die den Verdacht auf toxische Effekte von TCE deutlich erhärtet und Grundlage künftiger Evidenz sein kann«, wie die Fachgesellschaft berichtet.

Die US-amerikanische bevölkerungsbasierte Kohortenstudie untersuchte das Parkinson-Risiko bei 172.128 Marineangehörigen, die zwischen 1975 und 1985 für mindestens drei Monate in Camp Lejeune, North Carolina, stationiert waren. Dort sei es in dieser Zeit zu einer Verunreinigung des Trinkwassers mit verschiedenen volatilen organischen Lösungsmitteln gekommen. Die TCE-Werte hätten dabei das bis zur 70-Fache der zulässigen Menge überstiegen. Die heutigen Veteranen seien bei ihrer Ankunft im Camp ungefähr 20 Jahre alt gewesen und hätten durchschnittlich zwei Jahre dort gelebt.

Diese Kohorte wurde mit einer zweiten verglichen, der 168.361 Personen angehörten, die in Camp Pendleton, Kalifornien, stationiert und keiner Trinkwasserkontamination ausgesetzt waren. Die Nachuntersuchungen stammen aus den Jahren 1997 bis 2021.  Insgesamt hatten 430 Veteranen eine Parkinson-Erkrankung entwickelt, 279 aus Camp Lejeune (Prävalenz 0,33 Prozent) und 151 aus Camp Pendleton (Prävalenz 0,21 Prozent). In multivariablen Rechenmodellen war das Parkinson-Risiko für Veteranen aus Camp Lejeune um 70 Prozent höher (Odds-Ratio: 1,70).

»Die Auswirkung von Umwelttoxinen wie TCE auf das Parkinson-Risiko zu erforschen, ist ausgesprochen wichtig«, kommentiert die stellvertretende DGN-Präsidentin, Professor Dr. Daniela Berg. »Noch lässt sich eine Kausalkette zwischen Exposition und einer späteren Parkinson-Erkrankung nicht nachweisen. An dieser Fragestellung und der Quantifizierung des Risikos arbeiten derzeit mehrere internationale Forschergruppen.«

Viele Indizien

Dennoch sieht die Expertin laut DGE auch jenseits dieses Studienergebnisses viele Indizien für einen Zusammenhang zwischen Umweltgiften und dem Anstieg neurodegenerativer Erkrankungen. So sei etwa die altersstandardisierte Punktprävalenz von Parkinson in den Ländern Nordafrikas und des Mittleren Ostens in den letzten 30 Jahren um mehr als 15 Prozent gestiegen. »Hier spielen natürlich auch Lebensstilfaktoren eine Rolle, wie Ernährung – einerseits Mangelernährung, andererseits Übernahme von Ernährungsgewohnheiten der Industrienationen mit hochprozessierten, zuckerreichen Fastfood-Nahrungsmitteln –, weniger Bewegung und Exposition gegenüber Schadstoffen aus zunehmender Industrialisierung. Auch ist bekannt ist, dass die EU seit den 1980er-Jahren ihren giftigen Müll in viele dieser Länder exportiert, wo Menschen, zum Teil sogar Kinder, ihn auf den Halden ungeschützt sortieren.«

Ein gesunder Lebensstil und eine gesunde Umwelt hingen immer eng miteinander zusammen, betont DGN-Generalsekretär, Professor Dr. Peter Berlit. »Ein erster wichtiger Schritt muss nun sein, Substanzen, die neurodegenerative Prozesse auslösen, zu identifizieren, ihr Risiko zu beziffern und diese dann konsequent zu vermeiden.«

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