Pharmazeutische Zeitung online
Colitis ulcerosa

Therapieziele im Wandel

Die Therapie der Colitis ulcerosa ist anspruchsvoll und ehrgeizig. Immunmodulatoren und Biologika versprechen nicht nur Symptomkontrolle, sondern zielen auch auf eine Mukosaheilung ab. Was können konventionelle und innovative Medikamente leisten und welche Therapeutika stehen vor der Zulassung?
Elke Roeb
31.07.2022  08:00 Uhr

In Deutschland leiden mehr als 400.000, vor allem jüngere Menschen an einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED). Prävalenz und Inzidenz nehmen weiter zu. 2021 erfolgte erneut eine systematische Literaturrecherche für die S3-Living Guideline Colitis ulcerosa (CU) der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). Wie es der Name sagt, »lebt« diese Leitlinie und wird laufend fortgeschrieben.

Mittlerweile stellt sich bei der Behandlung der CU nicht nur die Frage, welches Biologikum und welcher JAK-Inhibitor bei einer kompliziert verlaufenden CU eingesetzt werden sollen, sondern auch, wo die Substanzen im Therapiealgorithmus positioniert werden. Alle Therapien zielten bislang darauf ab, die Symptome zu kontrollieren. Neben Aminosalicylaten, Corticosteroiden, Immunmodulatoren und Biologika zählt hierzu auch die chirurgische Resektion. Allerdings sprechen mittlerweile fast alle Patienten auf die neuen therapeutischen Strategien an. Vielfältige innovative Optionen sind in klinischen Studien und teilweise noch in experimentellen Phasen. Darüber hinaus verbessert die Patientenaufklärung die Wirksamkeit einer Colitis-Behandlung.

Jüngste Fortschritte bei der CU-Behandlung haben zu einem Paradigmenwechsel bei den Behandlungszielen geführt: Nicht nur der beschwerdefreie Alltag, sondern auch die mukosale Heilung werden als therapeutisches Ziel erfasst.

Epidemiologie

Die Inzidenz von CED nimmt international zu, insbesondere in Ländern mit historisch niedrigen Raten. In Deutschland liegt sie bei etwa 6/100.000 pro Jahr; 2016 wurden 20.170 CU-Patienten verzeichnet. Diese Zahlen steigen weiter an.

Der Erkrankungsgipfel liegt zwischen 25 und 35 Jahren sowie bei den 70- bis 80-Jährigen. Geschwister von CU-Patienten haben ein circa 15-fach höheres Erkrankungsrisiko als die Normalbevölkerung. Neben der genetischen Prädisposition sind noch nicht genau identifizierte Umweltfaktoren, zum Beispiel Mikrobiom, verbesserte Hygiene, zunehmende Industrialisierung sowie Ernährung pathogenetisch von Bedeutung.

In einer systematischen Analyse des Langzeitoutcomes aus 17 populationsbasierten Kohorten mit mehr als 15.000 CU-Patienten wurde im Zehn-Jahres-Follow-up ein kumulatives Rezidivrisiko von 70 bis 80 Prozent, ein Hospitalisierungsrisiko von 39 bis 66 Prozent und ein Kolektomierisiko von 10 bis 15 Prozent erfasst (Fumery 2018).

Klinische Charakteristika und Diagnostik

Die CU ist eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung mit kontinuierlicher Ausbreitung und oberflächlichen Ulzerationen im Dickdarm. Eine mukosale Barrierestörung mit Aktivierung der lokalen Abwehrreaktion, einer erhöhten T-Zell- und Makrophagen-Aktivität sowie inflammatorischer Zytokinproduktion führt zu den typischen Mukosaschäden mit Erosionen, Ulzerationen und Nekrosen. Blutig-schleimige Durchfälle, eventuell begleitet von Fieber und Anämie, sowie abdominelle Schmerzen vor allem im linken Unterbauch oder Tenesmen (krampfartige Schmerzen vor der Defäkation) bestimmen die klinische Symptomatik. Im fortgeschrittenen Stadium führt die Zerstörung der Dickdarmmukosa zu einem Verlust der Haustrierung (natürliche Ausbuchtungen der Darmwand); die restlichen Schleimhautinseln erscheinen bei der Endoskopie als sogenannte Pseudopolypen.

Wie bei allen CED treten bei rund einem Drittel der Patienten extraintestinale Symptome an den Gelenken, der Haut, den Augen oder der Leber auf, zum Beispiel Arthritis, Erythema nodosum, Iritis, Uveitis oder primär sklerosierende Cholangitis. Zu den klinischen Komplikationen, vor allem bei längerer Krankheitsdauer, gehören Gewichtsverlust, Blutungen und Anämie, das toxische Megakolon (mit Sepsis, Peritonitis und Perforationsgefahr), eine kolorektale Karzinogenese, und eventuell cholangiozelluläre Karzinome. Bei Kindern kommt es zu Wachstumsstörungen.

Die komplette Ileokoloskopie mit Stufenbiopsien aus allen Kolonabschnitten ist die Grundlage der Diagnostik. Hierbei können ischämische mikroskopische Kolitiden, maligne Darmerkrankungen oder Divertikulitiden ausgeschlossen werden. Bei der Erstmanifestation müssen differenzialdiagnostisch infektiöse, parasitäre und andere Darmerkrankungen wie Reizdarmsyndrom, Antibiotika-assoziierte oder medikamentös toxische Kolitis, Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Zöliakie ausgeschlossen werden. Die laborchemische Entzündungskonstellation sowie eine Sonografie des Kolons sind für die Erfassung von Schweregrad und Ausdehnung einer CU von Bedeutung.

Das Ausmaß der entzündlichen Intensität nimmt von distal (vom Rektum) nach proximal ab und kann so durch eine Rektoskopie oder Sigmoidoskopie schnell und sicher erfasst werden. Bei langjähriger Krankheitsaktivität empfiehlt die S3-Leitlinie der DGVS Überwachungskoloskopien zur Erfassung von Dysplasien und Neoplasien. Diese sollten in regelmäßigen Abständen, bei hohem Risiko jährlich erfolgen (www.dgvs.de/wissen/leitlinien/leitlinien-dgvs/colitis-ulcerosa).

Therapiestrategien im Überblick

Die Therapie der CU hängt von Schweregrad und Ausmaß der Entzündung ab. Man unterscheidet zwischen einer Remissionsinduktion und einer Erhaltungstherapie.

Für die Remissionsinduktion werden Mesalazin (5-Aminosalicylsäure, 5-ASA), Corticosteroide, Immunsuppressiva, Biologika, Ozanimod und JAK-Inhibitoren eingesetzt. Je nach Initialtherapie und Ansprechen dienen diese Medikamente – mit Ausnahme der Corticostero­ide – und in schweren Fällen auch  Ciclosporin dem Remissionserhalt (Tabelle 1). Eine suboptimale Behandlung führt in der Regel zu mangelnder Symptomkontrolle und Steroidtherapie. Trotz therapeutischer Fortschritte stehen bislang keine kausalen, sondern ­lediglich symptomatische antientzündliche Therapien zur Verfügung.

Arzneistoff Remissionsinduktion Remissionserhalt
5-ASA + +
Corticosteroide +
Azathioprin + +
Anti-TNF + +
Vedolizumab + +
Ustekinumab + +
Tofacitinib, Filgotinib + +
Ozanimod + +
Tabelle 1: Zugelassene Therapien bei Colitis ulcerosa; gemäß Living Guideline Colitis ulcerosa der DGVS, 2020

Der beobachtete Rückgang der Notfall-Kolektomien kann möglicherweise durch die bessere intensivmedizinische Betreuung beim toxischen Megakolon und die intensivierte Immunsuppression durch anti-TNF-Präparate und Calcineurin-Inhibitoren erklärt werden (Weissbuch DGVS 2020/21). Eine Mukosaheilung verbesserte dabei die Langzeitprognose und korrelierte mit reduzierten Kolektomieraten und steroidfreier Remission (Shah 2016).

Aminosalicylate

Aminosalicylate umfassen hauptsächlich traditionelles Sulfasalazin (SASP) und andere 5-ASA-Medikamente. Das Prodrug SASP besteht aus 5-ASA (Mesalazin) und Sulfapyridin und wird seit 80 Jahren zur Behandlung von CED eingesetzt. In der CU-Behandlung ist Sulfapyridin der Träger und 5-ASA der aktive Arzneistoff.

Die Wirkmechanismen umfassen auch Eingriffe in den Arachidonsäure-Stoffwechsel (Hemmung von Prostaglandinen und Leukotrienen), Abfangen von reaktiven Sauerstoffspezies sowie Auswirkungen auf die Funktion von Leukozyten und die Produktion von Zytokinen (Punchard 1992). 5-ASA induziert im Kolon darüber hinaus regulatorische T-Zellen (Treg) über den Arylkohlenwasserstoff-Rezeptorweg, gefolgt von der Aktivierung des Wachstumsfaktors TGF-β (Oh-Oka 2017).

Orale 5-ASA weist ähnliche klinische Remissionsraten bei einmal täglicher Gabe im Vergleich zur konventionellen zwei- bis dreimal täglichen Dosierung auf. Eine Erhaltungstherapie kann das Risiko der kolorektalen Krebserkrankung um etwa 75 Prozent verringern (Eaden 2000). Eine Metaanalyse hat zudem die Wirksamkeit von topischer 5-ASA bei der Rezidivprophylaxe der CU gezeigt (Ford 2012).

Nebenwirkungen umfassen Blähungen, Übelkeit, Bauchschmerzen, Durchfall sowie Kopfschmerzen und sind im Allgemeinen leicht. Im Gegensatz dazu sind die Nebenwirkungen von SASP, zum Beispiel Unfruchtbarkeit, hämolytische Anämie, Photosensibilisierung und Granulozytose, deutlich schwerer.

Corticosteroide

Orale Corticosteroide (OCS) werden seit den 1950er-Jahren zur CED-Behandlung verwendet und können bei einem Schub eine effektive Remission induzieren. Corticoide verbinden sich mit entsprechenden Rezeptoren im Zytoplasma. Die aktivierten CS-Rezeptoren gelangen in den Zellkern und interagieren mit spezifischen proinflammatorischen Transkriptionsfaktoren (wie NF-κB und Aktivator-Protein-1), die wiederum Co-Aktivator-Komplexe rekrutieren, zum Beispiel Histon-Deacetylierungsenzyme, um die Transkription von Entzündungsgenen zu hemmen (Hayashi 2004). Die entzündungshemmende Wirkung von CS kann über verschiedene Membranrezeptoren vermittelt werden (Lichtenstein 2006).

OCS werden bei CU-Patienten eingesetzt, die nicht innerhalb von zwei bis vier Wochen auf Mesalazin angesprochen haben, sowie bei leichter bis mittelschwerer CU mit besonders ausgedehnten Läsionen. Sie haben keine nachgewiesene Wirksamkeit beim Remissionserhalt und sollten dafür nicht verwendet werden.

Systemische OCS führen zu zahlreichen Nebenwirkungen, zum Beispiel opportunistischen Infektionen, Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Glaukom, venöser Thromboembolie und Osteoporose. Steroidabhängigkeit oder -überschuss wurde bei 15 bis 40 Prozent der CED-Patienten festgestellt. Das Verordnungsmanagement muss hier dringend verbessert werden.

CS der zweiten Generation wie Budesonid sind sicherer und besser verträglich. Auch die gezielte Freigabe am Ort der Entzündung reduziert die systemischen Nebenwirkungen. Budesonid hat eine hohe Affinität zu CS-Rezeptoren. Einige Budesonid-Kapseln setzen den Wirkstoff im distalen Ileum und dem Colon ascendens pH-abhängig frei. Dagegen wird das Corticoid aus einer Multi Matrix (MMX) während der gesamten Dickdarmpassage langsam freigesetzt. Die Verträglichkeit von Budesonid-MMX über acht Wochen war ähnlich gut wie bei Placebo, Mesalazin und pH-abhängiger Freisetzung. Die Applikation von 9 mg Budesonid einmal täglich über acht Wochen wird mit einer zweiwöchigen Ausschleichphase beendet (Barrett 2018).

Immunmodulatoren

Immunmodulatoren für die CU umfassen hauptsächlich Thiopurine, Methotrexat (off Label), Calcineurin-Inhibitoren (off Label) und die Janus-Kinase-Inhibitoren.

Während der CU-Pathogenese werden T-Lymphozyten aktiviert, die in die entzündete Darmschleimhaut infiltrieren und eine Vielzahl von Zytokinen produzieren, die die Colitis weiter verschlimmern. Thiopurine (TP) wie Azathioprin (AZA), 6-Mercaptopurin (MP) und 6-Thioguanin (TG) kontrollieren die CU durch Hemmung der T-Zell-Proliferation und -Aktivierung. Inaktive 6-TP-Prodrugs werden in pharmakologisch aktives Desoxy-6-thioguanosinphosphat (Desoxy-6-TGNP) metabolisiert, das die DNA-Synthese stören kann und die Lymphozytenproliferation hemmt. Außerdem bindet 6-TGNP an Rac1, bildet den 6-TGNP-Rac1-Komplex und blockiert in der Folge die Aktivierung von Rac1 in T-Lymphozyten und damit deren Funktion und Überleben (Shin 2016).

AZA hat eine günstige und ähnliche therapeutische Wirkung auf eine Colitis ulcerosa wie auf Morbus Crohn mit reduzierten Hospitalisierungs- und Operationsraten. In einer Metaanalyse verhinderten AZA/6-MP ein Wiederauftreten der CU wirksamer als Placebo (Gisberth 2009). Eine retrospektive Kohortenstudie hat die TP-Langzeitwirksamkeit bei CU-Patienten unter siebenjähriger Erhaltungstherapie gezeigt mit einer Remissionsrate von 43,9 Prozent und einer kolektomiefreien Überlebensrate von 88 Prozent (Yamada 2015).

Thiopurine haben viele Nebenwirkungen, darunter Knochenmarksuppression, Lebertoxizität und Magen-Darm-Probleme. Bis zu 39 Prozent der Patienten beenden deshalb die Therapie. Die meisten Nebenwirkungen treten innerhalb von drei Monaten nach Behandlungsbeginn auf. Die Verordnung bei CU ist deutlich zurückgegangen.

Für Methotrexat (MTX) wurde in einer Cochrane-Analyse keine Remissionsinduktion bei CU nachgewiesen; es war den 5-ASA-Präparaten nicht überlegen (Chande 2014). Außerdem kann MTX Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Peritonealabszesse, Hypoalbuminämie, atypische Pneumonien und schweren Hautausschlag verursachen.

Deutlich wirksamer sind Calcineurin-Inhibitoren. Calcineurin, aktiviert durch Calmodulin, kann die Dephosphorylierung und Aktivierung des nukleären Faktors aktivierter T-Zellen (NFAT) induzieren. Anschließend transloziert aktiviertes NFAT vom Zytoplasma in den Zellkern und reguliert die Gentranskription inflammatorischer Zytokine (TNF-α, Interferon-(IFN-)c, IL-2 und andere). Calcineurin-Inhibitoren wie Ciclosporin A (CsA) und Tacrolimus (TAC) stören diese Signalwege und hemmen so die Entzündungsreaktion. In randomisierten kontrollierten Studien sprachen mehr als 80 Prozent der Patienten mit schwerer akuter steroidrefraktärer CU auf Ciclosporin A an.

Obwohl der Wirkmechanismus von Tacrolimus dem von Ciclosporin A ähnelt, ist die immunsuppressive Wirkung von Tacrolimus deutlich höher (etwa 10- bis 20-mal in vivo). Darüber hinaus ist es gut resorbierbar und bei steroidrefraktärer CU intravenös oder oral verabreicht gleich gut wirksam (Naganuma 2011). Mehrere Studien haben seine Wirksamkeit bei Patienten mit refraktärer CU bestätigt (Ogata 2006, Yamamoto 2008).

Eine systematische Metaanalyse zur Wirksamkeit von Tacrolimus als Rescue-Therapie der aktiven CU zeigte, dass die zweiwöchige klinische Ansprechrate signifikant höher war als unter Placebo (Komaki 2016). Tacrolimus hat eine hohe Nebenwirkungsrate, einschließlich Zittern, Nierenfunktionsstörung, Infektionen, Hitzewallungen, Hyperkaliämie und Kopfschmerzen, die in der klinischen Praxis berücksichtigt werden sollten.

Die Anwendung von Calcineurin-Antagonisten ist bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen nicht zugelassen, also ein Off-Label-Use. Auch Methotrexat hat keine offizielle Zulassung für Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn.

Biologika: TNF-Inhibitoren und Anti-Interleukine

Zu den Biologika gehören hauptsächlich Zytokin- und Integrin-Antagonisten (Tabelle 2, Grafik). Ein Teil der im Folgenden genannten Biologika ist bereits zugelassen für die CED-Therapie. Die inflammatorischen Zytokine TNF-α und IL-12/-23 spielen eine wichtige Rolle in der Pathogenese der CU.

TNF-α ist ein prototypisches Mitglied einer großen Zytokinfamilie, das eine wichtige Rolle bei Entzündung, Apoptose, Proliferation und Mukosa-Invasion spielt. Seine Überexpression kann zu chronischen Entzündungen und Autoimmunerkrankungen führen. Monoklonale TNF-α-Antikörper wie Infliximab (IFX) und Adalimumab hemmen TNF-α-assoziierte Entzündungsreaktionen. Infliximab, zugelassen für die mittelschwere bis schwere CU, die nicht auf konventionelle Therapien anspricht, wird bei Intoleranz, schlechtem Ansprechen auf Immunmodulatoren oder Steroidabhängigkeit eingesetzt. Bei Patienten mit mäßiger bis schwerer CU sanken die Kolektomieraten um 7 Prozent nach 54 Wochen und CU-assoziierte Krankenhauseinweisungen und Operationen gingen zurück (Sandborn 2009).

Die Umstellung vom Originalpräparat eines Biologikums, zum Beispiel Infliximab, auf ein Biosimilar hat vermutlich keine Folgen für die Krankheitsaktivität sowie keine nachteiligen Auswirkungen auf die Talspiegel (Luber 2021).

Bis zu 40 Prozent der Patienten sprechen nicht auf TNF-Inhibitoren an und fast 23 bis 46 Prozent erleben sekundäre Ansprechverluste nach einjähriger Behandlung (Ben Horin 2014). Langfristige Remissionen durch Dosiseskalation, kürzere Intervalle zwischen den Infusionen oder Kombinationstherapien sind möglich. Aufgrund des dosisabhängigen Nutzens der Anti-TNF-Wirkstoffe werden Messungen des Talspiegels im Serum und ein Drug Monitoring befürwortet (Guberna 2021).

Gute Effekte zeigen Antikörper gegen die Interleukine IL-12 und IL-23, die bei der Induktion und Aufrechterhaltung der CU eine Rolle spielen. Das proinflammatorische IL-12 besteht aus den p35- und p40-Untereinheiten, IL-23 aus p40 und p19. Ustekinumab, zugelassen bei CU und Morbus Crohn, ist ein vollständig humanisierter monoklonaler IgG1-Antikörper, der an die gemeinsame p40-Untereinheit von IL-12 und -23 bindet und deren Ankopplung an den IL-12-Rezeptor auf der Zellmembranoberfläche von T- und NK-Zellen hemmt. Die entzündungshemmende Wirkung kommt durch eine verminderte Proliferation und Differenzierung von TH1- und TH17-Zellen zustande (Almradi 2017).

Mirikizumab, ein weiterer humanisierter monoklonaler Antikörper, bindet an die p19-Untereinheit von IL-23 und befindet sich in klinischer Prüfung (Tabelle 2). Patienten mit mittelschwerer bis schwerer CU erreichten in der zulassungsrelevanten Phase-III-Studie LUCENT-1 im Vergleich zu Placebo nach zwölf Wochen eine höhere Rate an klinischer Remission (ClinicalTrials.gov NCT03518086). Unter den für die Phase-II-Studien verwendeten Dosen (600 bis 1000 mg alle vier Wochen intravenös) traten keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse auf (Sandborn 2022).

Substanz Zielmolekül, Wirkungsweise Studienphase
Brazikumab (MEDI2070) IL-23 II
Guselkumab IL-23 II/III
Mirikizumab IL-23 (p19) III
Risankizumab IL-23 (p19) III
Tildrakizumab IL-23 aktuell noch keine CU-Studien
Etrolizumab Anti-Integrin,
β7-Untereinheit
III
Carotegrast Methyl (AJM300) Anti-Integrin,
α4-Untereinheit
niedermolekularer Wirkstoff
III
PF-00547659 MAdCAM-1 III
Tabelle 2: Anti-Interleukine und Anti-Integrine in klinischer Prüfung für die Colitis-ulcerosa-Therapie

Der humanisierte monoklonale IgG-Antikörper Risankizumab richtet sich gegen die p19-Untereinheit von IL-23 und ist bereits zugelassen für Patienten mit Plaque-Psoriasis und/oder Psoriasis-Arthritis. Derzeit durchläuft er klinische Phase-II- und Phase-III-Studien mit CU-Patienten (Tabelle 2).

Biologika: Anti-Integrine

Das α4β7-Integrin spielt eine Schlüsselrolle beim Homing von Leukozyten in der Darmmukosa und den verwandten lymphatischen Geweben. Das Homing wird durch die Bindung von α4β7-Integrin an das Mukosa-Adressin-Zelladhäsionsmolekül 1 (MAdCAM-1) vermittelt (Wyant 2016). Die Zahl α4β7-Integrin-positiver Zellen und die MAdCAM-1-Expression sind in der Mukosa von CU-Patienten erhöht. Ihre T-Lymphozyten produzieren mehr inflammatorische Zytokine (IFN-γ, TNF-α und IL-17A) sowie IL-9, das die Reparatur von Epithelzellen hemmt. Die Anti-Integrin-Therapie blockiert die Wirkung von Integrinen auf der Oberfläche von Leukozyten und endothelialen Adhäsionsmolekülen und somit die Interaktion von Leukozyten mit der Darmschleimhaut.

Vedolizumab, ein rekombinanter humaner monoklonaler IgG1-Antikörper, hemmt spezifisch die Bindung von α4β7-Integrin an MAdCAM-1 (Grafik). Seine Wirksamkeit bei der CU wurde in randomisierten kontrollierten Studien gezeigt (Sandborn 2013). Vedolizumab ist infolge der intestinalen Selektivität gut verträglich und sicher im Vergleich zu einer systemischen Immunsuppression. Es blockiert nur die Migration von Lymphozyten im Darmtrakt und nicht die Entzündungsreaktion direkt. In Kombination mit Calcineurin- oder mit TNFα-Inhibitoren wird das Anti-Integrin bei Patienten mit refraktärer CED eingesetzt (Pellet 2019).

Etrolizumab greift selektiv an der β7-Untereinheit sowohl bei α4β7- als auch αEβ7-Integrinen an. Darmselektivität und der duale Wirkmechanismus machen es zu einer potenziellen Alternative für die CED-Behandlung (Tabelle 2). Das Medikament hat bei CU-Patienten in einigen Studien gegenüber Placebo allerdings keine deutlichen Vorteile gezeigt.

Carotegrast Methyl (AJM300) ist ein oral applizierbarer niedermolekularer Inhibitor, der spezifisch auf die α4-Untereinheit von α4β7 und α4β1 abzielt (Tabelle 2) (Yoshimura 2015). Es wird sich zeigen, ob dieser Applikationsweg dem intravenös oder subkutan applizierten Vedolizumab ebenbürtig ist. Auch PF-00547659, ein vollständig humanisierter monoklonaler Antikörper gegen MAdCAM-1, hat sich als gut verträglich und wirksam in der Remissionsinduktion erwiesen (Vermeire 2017).

Nach der aktuellen S3-Leitlinie der DGVS sollten Patienten mit primärem Versagen unter TNF-Antikörpern entweder Vedolizumab, Tofacitinib, Ustekinumab oder Calcineurin-Inhibitoren erhalten. Patienten mit mittelschwerer CU und sekundärem Versagen unter TNF-Antikörpern sollten mit alternativen TNF-Antikörpern, Vedolizumab, Tofacitinib, Ustekinumab oder Calcineurin-Inhibitoren behandelt werden.

Biologika haben große Vorteile wie Darmselektivität, hohe Effizienz und geringe Toxizität, sind aber sehr teuer. Aufgrund fehlender primärer Wirkung und sekundärem Wirkungsverlust gibt es daher weitere Ansätze.

Niedermolekulare Wirkstoffe: JAK-Inhibitoren

Kleine Moleküle haben vor allem wegen der bequemen peroralen Verabreichung großes Interesse auf sich gezogen.

Als neuartige Therapeutika können Januskinase-(JAK-)Inhibitoren mehrere Signalwege blockieren. Die Kinasen der JAK-Familie JAK1, JAK2, JAK3 und Tyrosinkinase 2 (TYK2) zielen auf eine Vielzahl von Signalwegen ab (Grafik). JAK1 und -2 sowie TYK2 sind weit verbreitet und auf vielen Zellen exprimiert, die Expression von JAK3 ist hingegen auf hämatopoetische Zellen beschränkt.

Tofacitinib hemmt alle JAK-Subtypen, bevorzugt JAK1 und -3, und ist zur Behandlung von mittelschwerer bis schwerer CU zugelassen (Tran 2019). Kürzlich veröffentlichte Real-World-Daten zeigen einen schnelleren Wirkeintritt auch bei akuter schwerer oder refraktärer CU gegenüber Anti-TNF-Wirkstoffen (Chaparro 2021). Die Langzeitsicherheit von Tofacitinib bleibt unklar; die Hauptnebenwirkungen umfassen Herpes-zoster-Infektionen und Thrombosen. Eine Herpes-zoster-Impfung ist daher vor Therapiebeginn sinnvoll.

Filgotinib, ein oraler selektiver JAK1-Hemmer, ist zugelassen bei rheumatoider Arthritis und CU (Tabelle 3). Er induzierte und hielt in der Selection-Studie eine signifikante endoskopische Remission bei moderater bis schwerer CU bis Woche 58 (Feagn Lancet 2021).

Substanz Zielmolekül, Wirkungsweise Studienphase
Tofacitinib JAK1 bis 3 EMA, FDA
Filgotinib JAK1 EMA
Upadacitinib (ABT-494) JAK1 III (positives CHMP-Votum liegt vor)
Baricitinib JAK1/2 noch keine CU-Studien
Decernotinib JAK3 noch keine CU-Studien
Deucravacitinib (BMS-986165) TYK2-Hemmer II
Peficitinib (JNJ-5478153225) Pan-JAK-Hemmer (JAK1, -2 und -3) II
Izencitinib (TD-1473) nicht-selektiver Inhibitor von JAK1, -2 und -3 sowie TYK2 im Gastrointestinaltrakt II/III
S1P-Rezeptor-Modulatoren
Ozanimod (RPC1063) S1PR-1 und -5 EMA
Etrasimod (APD334) S1PR-1, -4 und -5 II
Tabelle 3: Nicht oder kürzlich zugelassene JAK-Inhibitoren sowie S1P-Rezeptor-Modulatoren für Patienten mit Colitis ulcerosa

Upadacitinib, ein weiterer selektiver JAK1-Hemmer, ist unter anderem zugelassen für Patienten mit rheumatoider Arthritis oder atopischer Dermatitis und für CED-Patienten im Zulassungsverfahren (Tabelle 3). Er zeigte in Studien zahlreiche Nebenwirkungen wie Lungenembolie, tiefe Venenthrombose und erhöhte Serumlipidspiegel.

Deucravacitinib ist ein hochselektiver TYK2-Hemmer mit geringer oder fehlender Aktivität gegenüber JAK3. Er kann die Spiegel von IL-12 und IL-23 signifikant senken, was möglicherweise hilfreich für die CED-Behandlung ist (de Vries 2021). Die klinischen Studien für die CU-Behandlung sind noch nicht abgeschlossen. Auch für Peficitinib, einen Pan-JAK-Inhibitor, der in Japan zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis zugelassen wurde, fehlen noch ausreichende Erfahrungen in der CU-Behandlung (Tabelle 3).

Das Nebenwirkungsspektrum der JAK-Inhibitoren ähnelt in Bezug auf Infektionsrisiko, Thrombosen und Malignomentwicklung dem der etablierten Biologika. In einem Rote-Hand-Brief wurde auf ein erhöhtes Risiko für Lungenembolien und kardiovaskuläre Ereignisse unter einer Dosis von zweimal 10 mg Tofacitinib hingewiesen. Daher ist Vorsicht geboten bei Patienten mit venösen thromboembolischen Ereignissen in der Vorgeschichte. Bei allen JAK-Inhibitoren kann es zum Anstieg von Leberwerten und Kreatinin kommen. Hinweise auf echte Nierenfunktionsminderungen sind selten.

Niedermolekulare Wirkstoffe: S1PR-Modulatoren und -Agonisten

Sphingosin-1-Phosphat (S1P), ein Lipidmediator aus der Membranhülle, wird intrazellulär produziert und in extrazelluläre Regionen verlagert, wo es eine regulatorische Rolle im Immunsystem durch die Aktivierung spezifischer Rezeptoren spielt.

Ozanimod (RPC1063) ist seit 2020 zur Behandlung der Multiplen Sklerose und seit Dezember 2021 von der EMA für die Colitis ulcerosa zugelassen (Tabelle 3). Der orale selektive S1PR-Modulator wirkt auf S1PR-1 und -5. Die Lymphozyten verlieren dadurch ihre Fähigkeit, die Lymphknoten zu verlassen und in entzündliches Gewebe einzuwandern. In der kürzlich publizierten multizentrischen True-North-Studie mit insgesamt 1012 CU-Patienten war Ozanimod bei Remissionsinduktion und -erhalt äußerst erfolgreich (Sandborn Feagan 2021). Zu den Nebenwirkungen gehören neben den zu erwartenden Infektionen auch Krebserkrankungen, Makulaödem und ein Anstieg der Leberwerte. Die FDA untersagt den Einsatz bei kardialen Vorerkrankungen.

Etrasimod, ein oraler S1PR-Rezeptormodulator, der selektiv für S1PR-1, -4 und -5 ist, wurde bereits in Phase-II-Studien bei CU-Patienten untersucht.

Ausblick: neue Wirkstoffe mit neuen Targets

Eine ganze Reihe neuer Wirkstoffe mit neuen Targets, darunter Interleukine, Toll-like-Rezeptoren und Transkriptionsfaktoren, ist derzeit in Erprobung (Tabelle 4, Grafik).

Substanz Zielmolekül, Wirkungsweise Studienphase
Ravagalimab (ABBV-323) CD40 II
Spesolimab IL-36-R II
Cobitolimod (DIMS0150) TLR-9-Agonist I
UTTR1147A IL-22Fc-IgG II
DNAzym hgd40 (SB012) Transkriptionsfaktor GATA3 I/II
Tabelle 4: Neue Therapieoptionen und neue Targets für die CU

IL-22Fc-Fusionsproteine

Interleukin-22 fördert die Geweberegeneration und wirkt direkt auf Epithelzellen ein. UTTR1147A, ein menschliches IL-22Fc-IgG4-Fusionsprotein, aktiviert die IL-22-Signalgebung. In einer placebokontrollierten Phase-I-Studie wurde es intravenös (1 bis 120 μg/kg) und subkutan (3 bis 120 μg/kg) in aufsteigenden Dosen auf Sicherheit, Verträglichkeit, Pharmakokinetik und pharmakodynamische Biomarker bei gesunden Freiwilligen untersucht (Rothenberg 2019). Ein weiterer Einsatz bei CU scheint möglich.

Hemmstoffe des IL-36-Rezeptors

Die Hemmung der entzündungsfördernden Zytokin-Signalgebung und die Blockade des Transports von Immunzellen haben sich als zwei wirksame Strategien in der CU-Therapie herausgestellt. Die Blockade des IL-36-R-Signalwegs durch neutralisierende Antikörper erweist sich als ein weiteres sehr attraktives Ziel und wird derzeit in klinischen Studien getestet. In einer Phase-II-Induktionsstudie (NCT03482635) und Erhaltungsstudie (NCT03648541) wird die klinische Aktivität von Spesolimab bei Patienten mit mäßiger bis schwerer aktiver CU analysiert, bei denen eine biologische Therapie versagt hat. Zudem deuten mögliche synergistische Wirkungen der IL-36-R-Aktivierung mit der TNF-Signalgebung auf ein therapeutisches Potenzial für eine duale Hemmung von IL-36-R und TNF-α hin (Neufert 2020).

TLR-9-Agonist

Der Toll-like-Rezeptor-9-Agonist Cobitolimod kann eine Remission induzieren, wie anhand von Patienten-reported-outcome-Maßnahmen bei CU mit mittelschwerer bis schwerer Aktivität sowie bei Anti-TNFα-erfahrenen und -naiven Patienten festgestellt wurde (Atreya 2018).

RNA-Interferenz

Die größte Herausforderung einer auf RNA-Interferenz basierenden Therapie ist der Transport von RNA-Molekülen in den intrazellulären Raum der Targetzellen. Eine unspezifische und systemische Hemmung der Proteinexpression kann zu Nebenwirkungen führen. Eine aktuelle Übersichtsarbeit konzentriert sich auf die jüngsten Fortschritte bei den gezielten Nano-Abgabesystemen von siRNA und mRNA, die in vivo bei einer CU Wirksamkeit gezeigt haben (Alfaghi 2021).

DNAzym hgd40

DNAzyme sind synthetische DNA-Moleküle, die aus einer kurzen DNA-Kette und einem Enzym bestehen. Das Molekül DNAzym hgd40 hemmt die Expression von GATA3-mRNA durch unstimulierte und stimulierte T-Zellen und verteilt sich im gesamten entzündeten Kolon. GATA3 ist ein Transkriptionsfaktor, der die T-Zell-Produktion von Zytokinen reguliert. Das DNAzym, das die Expression von GATA3 verhindert, reduziert eine Kolitis bei Mäusen unabhängig von TNF und senkt die Zytokinspiegel im Dickdarm. Die im Mausmodell untersuchte Methodik könnte für Patienten mit CU weiterentwickelt werden (Popp 2017).

Weitere neue therapeutische Ansätze wie die Apheresetherapie, verbesserte intestinale Mikroökologie, Zelltherapie und Exosom-Therapie bieten zurzeit mehr Herausforderungen als Chancen.

Fazit

Zu den offenen Fragen der Colitis-ulcerosa-Therapie gehört der Stellenwert der mukosalen Heilung und vor allem deren Definition. Aktuell gibt kein von der FDA oder EMA formell anerkanntes Instrument, um die Mukosaheilung zu bewerten. Zudem existiert kein allgemein akzeptiertes und validiertes Histologie-Scoring-System für die CU. Die histologische Befundung ist zeitaufwendig und das Ergebnis abhängig von der Erfahrung und Variabilität des Untersuchers.

Ein früher Einsatz zielgerichteter Therapien, eine engmaschige Verlaufskontrolle der Patienten, Therapieoptimierung mit Dosisanpassung und Therapiekombinationen sowie die unermüdliche Suche nach neuen Substanzen und therapeutischen Ergänzungen können die Wirksamkeit und Sicherheit der medikamentösen CU-Therapie verbessern.

Mehr von Avoxa