Therapie von Manie und Depression |
Martina Hahn |
Sibylle C. Roll |
10.10.2021 08:00 Uhr |
Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Patienten mit bipolarer Erkrankung erleben oftmals rasch wechselnde Phasen von Manie und Depression. / Foto: Adobe Stock/freshide
Mit einer Lebenszeitprävalenz von 5 Prozent ist die bipolare Erkrankung, früher als manisch-depressive Erkrankung bezeichnet, weitaus häufiger als etwa die Schizophrenie (0,4 bis 0,7 Prozent), jedoch seltener als die unipolare Depression (16 bis 20 Prozent) (1, 2, 3). Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen.
Die Erkrankung tritt meist im jugendlichen oder jungen Erwachsenenalter erstmals auf und hält das ganze Leben an. Die Diagnosestellung ist häufig schwierig, da zunächst oft eine depressive Episode auftritt und der Patient hypomanische Symptome nicht als störend erlebt (Kasten). Man unterscheidet drei Typen:
Depression: mindestens zweiwöchige Phase mit depressiver Stimmung, Antriebslosigkeit, Interessenlosigkeit und teilweise Zusatzsymptomen wie verminderter Selbstwert, Schuldgefühle, Suizidgedanken, Schlafstörungen, Appetitstörungen
Hypomanie: mindestens vier Tage anhaltende Phase mit Konzentrationsschwierigkeiten, Ideenflucht, Gedankenrasen, verminderten sozialen Hemmungen
Manie: mindestens einwöchige Phase mit euphorischer oder gereizter Stimmung, Größenwahn, Antriebssteigerung, Rededrang, vermindertem Schlafbedürfnis, überhöhter Selbsteinschätzung, riskantem Verhalten und gesteigerter Libido
Psychose: Zustand, der durch den Verlust des Realitätsbezugs gekennzeichnet ist. Daneben treten Wahnvorstellungen und Störungen des Denkens, der Sprache sowie der Gefühlswelt auf. Das Ausüben des Alltags ist nicht mehr möglich.
Es kommt zu Phasen mit gehobener Stimmung und meist direkt darauf folgend zum Stimmungseinbruch. Treffend ist der Satz: Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Das Suizidrisiko ist bei der bipolaren Erkrankung höher als bei der unipolaren Depression. Circa 15 bis 20 Prozent der Patienten mit einer bipolaren Erkrankung nehmen sich das Leben, am häufigsten in depressiven Phasen. Suizide kommen auch in gemischten manisch-depressiven Phasen vor, aber nur selten in der Manie (1).
In schweren depressiven und schweren manischen Phasen kann es zu psychotischen Symptomen mit Wahnideen oder Halluzinationen kommen. Am häufigsten kommt Größen-, Liebes-, Beziehungs- oder Verfolgungswahn bei der Manie vor. Bei der depressiven Episode dominieren hypochondrischer, nihilistischer, Beziehungs- oder Verfolgungswahn. In gemischten Phasen schlägt innerhalb von Stunden die depressive in die (hypo-)manische Symptomatik um.
Bei der bipolaren Erkrankung wechseln Phasen des Hochgefühls und der Euphorie mit depressiven Phasen. / Foto: Adobe Stock/photographee.eu
Die Phasen können Tage bis Monate, selten Jahre andauern. Stabile Phasen dazwischen, in denen weitgehende Symptomfreiheit erreicht wird, können Monate bis Jahre anhalten. Durchschnittlich erleiden Menschen etwa vier Phasen innerhalb der ersten zehn Erkrankungsjahre. Dies variiert jedoch interindividuell stark.
Die bipolare Erkrankung verläuft meist chronisch. 10 Prozent der Patienten haben im Lauf ihres Lebens mehr als zehn Episoden. Jeder Fünfte leidet zudem an einem Rapid Cycling, das heißt, dass vier Episoden in zwölf Monaten auftreten. Häufig leiden die Patienten an weiteren psychischen Erkrankungen wie Angst- und Zwangsstörungen, Substanzmissbrauch und -abhängigkeit, Impulskontroll- und Essstörungen, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Persönlichkeitsstörungen.
Risikofaktoren für häufig wiederkehrende Episoden sind:
Risikofaktoren für einen chronischen Verlauf sind:
Wie auch bei anderen psychischen Erkrankungen ist von einer multifaktoriellen Genese auszugehen. Neben einer starken genetischen Komponente sind vor allem Umwelteinflüsse entscheidend. Stress ist meist der auslösende Faktor für die erste Episode.
In Zwillings-, Familien- und Adoptionsstudien wurde gezeigt, dass bei Verwandten ersten Grades von Patienten mit bipolaren Erkrankungen eine Häufung festzustellen ist. Ist ein Elternteil erkrankt, beträgt die Wahrscheinlichkeit für das Kind 10 bis 20 Prozent. Sind beide Elternteile betroffen, liegt das Erkrankungsrisiko bei 50 bis 60 Prozent (1).
Iatrogen verursachte Hypomanien oder Manien können infolge einer Behandlung mit Glucocorticoiden, Schilddrüsen- oder Sexualhormonen auftreten, aber auch durch L-Dopa und Stimulanzien ausgelöst werden. Unter der Gabe von Antidepressiva kommt es bei manchen Patienten zu einem Switch in die Hypomanie oder Manie, ebenso bei Patienten mit bipolarer Prädisposition. In einer Medikationsanalyse sollte auf die in Tabellen 1 und 2 aufgeführten Substanzen geachtet werden.
Stoffgruppe | Beispiele |
---|---|
Psychostimulanzien | Amphetamine, Kokain, Ecstasy |
Opioide | Dextromethorphan, Tramadol |
Hormone | Cortison, Levothyroxin |
Parkinson-Medikamente | L-Dopa, Amantadin, Bromocriptin |
Antihypertensiva | ACE-Hemmer |
Tuberkulostatika | Isoniazid, Iproniazid |
Antiepileptika | Gabapentin |
Antidepressiva | Amitriptylin, Venlafaxin, Citalopram |
Malariamittel | Chloroquin |
Stoffgruppe | Beispiele |
---|---|
Herz-Kreislauf-Medikamente | Clonidin, Methyldopa, ReserpinCalciumkanalblocker (vor allem Flunarizin), ACE-Hemmer, Sartane, Betablocker, Digoxin |
Retinoide | Isotretinoin |
Antiepileptika | Levetiracetam, Phenobarbital, Primidon, Phenytoin, Tiagabin, Topiramat, Vigabatrin |
Migränemittel | Triptane |
Hormone und antihormonell wirksame Stoffe | Corticosteroide, orale Kontrazeptiva, GnRH-Agonisten, Tamoxifen, Anastrozol, Finasterid |
Interferone | Interferon α und β |
Stimulanzien | Methylphenidat, Amphetamin, Dexamphetamin |
andere | Montelukast, Vareniclin, Efavirenz |
Diskutiert wird wie bei anderen affektiven Erkrankungen eine Dysbalance der Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin und Dopamin.
In depressiven Phasen kommt es zu einem Mangel an Neurotransmittern. Außerdem ist bei depressiven Menschen die Empfindlichkeit und Dichte der serotonergen, noradrenergen und dopaminergen Rezeptoren verändert (1). Wie bei der unipolaren Depression führt ein Mangel an Neurotrophinen wie Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF) dazu, dass sich das Gehirn an wechselnde Umweltreize strukturell und funktionell nicht adäquat anpassen kann (9).
In der manischen Phase ist die Konzentration an Dopamin und Noradrenalin dagegen erhöht. Der Switch von der Depression in die Manie scheint in direktem Zusammenhang mit Schlafmangel zu stehen, der ein häufiges Frühwarnsymptom ist. Durch Schlafmangel kommt es zur vermehrten Ausschüttung von Noradrenalin und Dopamin (was gezielt bei einer sogenannten Wachtherapie genutzt wird) sowie von BDNF (9).
Grundsätzlich gilt: Je weniger Krankheitsphasen bis zur Einleitung einer Therapie vorliegen, desto besser sprechen die Patienten darauf an. Eine schnelle Therapieeinleitung kann helfen, psychische und soziale Probleme weitgehend zu vermeiden.
Im Fokus steht besonders die Vermeidung von Suizidversuchen. Gerade in der Entstehungsphase der Erkrankung ist das Suizidrisiko am größten. Patienten mit bipolarer Erkrankung gelten in der Psychiatrie als diejenigen mit dem höchsten Suizidrisiko. Für die Apotheke hat die ABDA den Gesprächsleitfaden »Suizidale Menschen in der Apotheke – Warnzeichen erkennen und reagieren« entwickelt. Als niedrigschwellige Kontaktstelle kommt Apothekern eine wichtige Rolle bei der Suizidprävention zu.
Ein weiterer Fokus ist die Vermeidung von Alkohol-, Drogen- und Medikamentenmissbrauch. Bei ungefähr der Hälfte aller Erkrankten finden sich in der Krankengeschichte Hinweise auf Missbrauch von Alkohol, Drogen oder Medikamenten – häufig zur »Selbsttherapie«. Viele Patienten versuchen, dadurch ihren Leidensdruck zu reduzieren, und geraten in die Abhängigkeit.
Auch die Vermeidung von Beziehungskonflikten und der Erhalt der Arbeitskraft sind wichtige Therapieziele. Je schneller die Betroffenen behandelt werden, desto größer ist die Chance, dass eine Partnerschaft und die Arbeitskraft erhalten bleiben (Kasten Fallbeispiel).
Foto: Adobe Stock/itakdalee
Ein 48-jähriger Familienvater arbeitet als Angestellter in einer mittelständischen Firma an einem Projekt, das einen engen Zeitplan hat. Er wirkt zunehmend gestresst. Er arbeitet immer länger und kommt immer später nach Hause. Auch scheint er weniger Schlaf zu benötigen und steht morgens schon sehr früh auf, ist aber zunehmend gereizt. Er nimmt dennoch immer mehr soziale und berufliche Verpflichtungen an.
Plötzlich gibt es Ärger mit dem Chef. Die Erklärungen des Mannes sind bizarr. Außerdem flattern unerwartet Rechnungen von mehreren Autohäusern ins Haus, obwohl die Familie einen fast neuen Wagen besitzt. Der Ehemann hat Kaufverträge über insgesamt 21 Neuwagen abgeschlossen. Damit konfrontiert, beginnt er laut zu schreien und läuft unentwegt im Kreis. Die Nachbarn rufen den Rettungsdienst, der ihn in eine psychiatrische Klinik bringt, wo direkt mit einer antimanischen Behandlung begonnen wird.
Nach Abklingen der Manie stellt sich heraus, dass der Mann gar nicht an dem Firmenprojekt gearbeitet, sondern eigenständig Firmengelder investiert hat. Er habe gedacht, das Richtige zu tun und alles im Griff zu haben. Er habe sich für einen ganz wichtigen Mitarbeiter gehalten und könne sich neue Autos leisten. Nach der fristlosen Kündigung hat er keinen Job mehr und muss die Kaufverträge der 21 Autos rückabwickeln. Die Familie ist nun hoch verschuldet. Der Mann leidet unter massiven Schuldgefühlen und entwickelt im Verlauf der nächsten Wochen Suizidgedanken.
Bei der Behandlung bipolarer Erkrankungen unterscheidet man kurz- und langfristige Ziele. Kurzfristig geht es insbesondere um eine Reduktion der depressiven und (hypo)manischen Symptome (Akutbehandlung). Langfristige Ziele sind unter anderem die Reduktion oder Vermeidung weiterer affektiver Episoden (Phasenprophylaxe) (Grafik).
Grafik: Akutbehandlung und Rezidivprophylaxe bei bipolarer Erkrankung. Die Akutbehandlung soll die Dauer der Phase verkürzen, die Rezidivprophylaxe weitere Phasen verhindern. / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Die Herausforderung besteht in dem sich verändernden Neurotransmitter-Gleichgewicht. Angestrebt wird daher die Stabilisierung der Stimmung, was dazu führen soll, dass insgesamt weniger manische und depressive Phasen auftreten. Zudem muss bei der Wirkstoffauswahl berücksichtigt werden, dass nach der Akutphase eine Langzeitbehandlung (Rezidivprophylaxe) folgen sollte. Idealerweise wählt man ein Präparat, das in der Akutphase begonnen und in der Langzeitbehandlung fortgeführt werden kann.
Es kommen drei Wirkstoffgruppen in Betracht: Stimmungsstabilisierer, Antipsychotika und Antidepressiva. Die Arzneistoffe, auch innerhalb der Wirkstoffklasse, haben eine unterschiedlich gute Wirksamkeit in den Phasen, unterschiedliche Nebenwirkungsprofile und zum Teil von den Empfehlungen der S3-Leitlinie abweichende zugelassene Indikationsgebiete (Tabelle 3).
Arzneistoff | Akutphase Depression | Akutphase Manie | Rezidivprophylaxe Depression | Rezidivprophylaxe Manie | Gemischte Episode | Empfehlungsgrad der S3-Leitlinie | Typische Nebenwirkungen |
---|---|---|---|---|---|---|---|
Carbamazepin | x(off Label) | x | x | x | x | B (akute Manie, gemischte Episode)0 (akute Depression)0 (Rezidivprophylaxe) | Hyponatriämie, Sehstörungen, Benommenheit, Leukopenie, hepatotoxische UAW, Ataxie, verminderte Knochendichte (Vitamin-D-Substitution!) |
Lithium | x | x | x | B (akute Manie)A (Rezidivprophylaxe) | Polydipsie, Polyurie, Tremor, nephro- und thyreotoxische UAW, kognitive Störungen | ||
Valproat | x | x | x | B (akute Manie)0 (Rezidivprophylaxe) | Tremor, Haarausfall, Gewichtszunahme, Thrombo- und Leukopenie, Hyponatriämie, Hyperammonämie, cave: stark teratogen | ||
Lamotrigin | x(off Label) | x | 0 (akute Depression)B (Rezidivprophylaxe) | Kopfschmerzen, Sehstörungen, Hautausschlag | |||
Aripiprazol | x | x | x | B (akute Manie, gemischte Episode)0 (Rezidivprophylaxe) | Schlafstörungen, Akathisie | ||
Asenapin | x | B (akute Manie) | Sedierung, Schwindel, Schläfrigkeit, Fatigue, orale Hypoästhesie | ||||
Olanzapin | x(off Label) | x | x | B (akute Manie)0 (akute Depression)0 (Rezidivprophylaxe) | metabolische UAW, Sedation | ||
Paliperidon | x(off Label) | x | 0 (akute Manie)0 (Rezidivprophylaxe) | EPS, Hyperprolaktinämie, Gewichtszunahme | |||
Quetiapin retard | x | x | x | x | B (akute Manie)A (akute Depression)B (Rezidivprophylaxe) | metabolische UAW, Sedation | |
Risperidon | x | x(Depot, off Label) | B (akute Manie)0 (Rezidivprophylaxe) | Hyperprolaktinämie, EPS, metabolische UAW | |||
Ziprasidon | x | B (akute Manie) | QTc-Verlängerung | ||||
Haloperidol | x | B (akute Manie, nur Kurzzeittherapie) | EPS, Hyperprolaktinämie | ||||
Cariprazin* | x(off Label) | EPS, Akathisie, Übelkeit, Obstipation, Tremor |
Cariprazin*: Die Leitliniengruppe hat sich wegen der in Europa noch nicht beantragten Zulassung gegen eine Empfehlung ausgesprochen, Phase-III-Studien weisen aber auf eine gute Wirksamkeit hin.
Stimmungsstabilisierer: Lithium, Carbamazepin, Valproinsäure und Lamotrigin eignen sich zur Behandlung der bipolaren Erkrankung. Auch einige Antipsychotika wirken stimmungsstabilisierend. Der genaue Wirkmechanismus ist noch nicht im Detail bekannt. Es scheint zu einer veränderten intrazellulären Signaltransduktion zu kommen (10). Antiepileptika, die als Mood-Stabilizer eingesetzt werden, senken die neuronale Entladungsfrequenz – analog der Wirkung bei Epilepsie. Sie werden sowohl in der Akut- und Erhaltungstherapie als auch zur Rückfallprophylaxe verwendet.
Diese Substanzklasse hat einen engen therapeutischen Bereich und sollte daher unter Serumspiegelkontrolle (therapeutisches Drug Monitoring, TDM) eindosiert werden. Aufgrund hämatotoxischer und hepatotoxischer (Valproat, Carbamazepin, Lamotrigin) oder nephrotoxischer Effekte (Lithium) sind regelmäßige Laborkontrollen erforderlich. Auch Elektrolytstörungen (Carbamazepin, Valproat, Lithium) sind recht häufig und müssen engmaschig kontrolliert werden.
Antipsychotika der zweiten und dritten Generation: Bei den Vertretern der zweiten Generation wie Olanzapin, Quetiapin und Risperidon sind metabolische Nebenwirkungen häufig. Gewichts-, Blutzucker- und Lipidkontrollen sind daher nötig. Ziprasidon, Amisulprid und Sertindol sind diesbezüglich weniger problematisch, jedoch stark QTc-Zeit verlängernd. Sertindol wirkt kardiotoxisch, sodass regelmäßig EKG-Kontrollen erfolgen sollten. Dahingehend erscheint Aripiprazol (dritte Generation) günstiger, da es gewichtsneutral und nur im Einzelfall QTc-verlängernd ist.
Antidepressiva: Etwa 30 Wirkstoffe können bei unipolarer Depression eingesetzt werden. Zur Behandlung der bipolaren Depression ist jedoch keiner zugelassen. Wirksamkeitsnachweise liegen nur für Venlafaxin, Fluoxetin und Imipramin vor (1). Einige Wirkstoffe bergen ein erhebliches Switching-Risiko. Ein besonders hohes Risiko besteht für den selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSNRI) Venlafaxin und für Trizyklika, die bei bipolarer Erkrankung daher vermieden werden sollten. Einzig Bupropion, Paroxetin und Sertralin scheinen hier günstig zu sein (11, 12), sind jedoch in Studien bislang auch ohne signifikante Wirkung auf die depressive Episode (13). Eine grundsätzliche positive Empfehlung für die Behandlung mit einem Antidepressivum wird in der S3-Leitlinie nicht gegeben.
Das Problem bei der Akutbehandlung depressiver Phasen ist, dass Antidepressiva direkt einen Switch in die manische Phase auslösen können. Dies scheint seltener zu geschehen, wenn zusätzlich ein Stimmungsstabilisierer gegeben wird (1).
Eine Herausforderung ist die in der manischen Episode mangelnde Krankheits- und damit auch Behandlungseinsicht des Patienten. Dieser tendiert dazu, die Medikation mit Beginn einer manischen Episode eigenständig abzusetzen. Umso wichtiger sind die Adhärenzförderung und Psychoedukation sowie das Erkennen von Frühwarnsymptomen, vor allem durch nahestehende Menschen.
In der manischen Episode haben die Patienten keinerlei Krankheits- und Behandlungseinsicht. Das erschwert die Therapie sehr. / Foto: Adobe Stock/DDRockstar
Der Stellenwert der Pharmakotherapie ist in manischen Phasen besonders hoch, da in diesem Zustand keine Psychotherapie möglich ist (und auch keine Wirksamkeitsbelege dafür vorliegen). Bei hypomanischen und depressiven Episoden sollte hingegen immer eine Psychotherapie angeboten werden. Die Elektrokrampftherapie (EKT) ist eine Option bei therapieresistenten manischen Episoden.
Gemäß placebokontrollierter Studien sind folgende Antipsychotika wirksam (Tabelle 3): Aripiprazol, Quetiapin retard, Olanzapin, Risperidon, Paliperidon, Ziprasidon und Asenapin (1). Wirksamkeitsbelege, aber keine Zulassung für diese Indikation liegen vor für Cariprazin und Amisulprid (S3-Leitlinie). Haloperidol sollte nur kurzfristig in Akutsituationen eingesetzt werden.
Für Stimmungsstabilisierer liegen placebokontrollierte Wirksamkeitsnachweise für Valproat, Lithium und Carbamazepin vor (S3-Leitlinie). Für Lamotrigin und Oxcarbazepin wurde die Wirksamkeit bislang nur in Vergleichsstudien nachgewiesen (1).
Die Datenlage für die Behandlung der akuten bipolaren Depression ist sehr dünn. Ergebnisse aus Studien bei unipolarer Depression können nicht übertragen werden. In einigen Studien war eine Monotherapie mit Antidepressiva nicht wirksamer als Placebo (1). Auch die Behandlungsdauer ist unklar, da die Depression meist abrupt endet – auch ohne antidepressive Behandlung. In der Erhaltungstherapie muss man abwägen zwischen dem Risiko eines Rezidivs bei frühzeitigem Absetzen des Antidepressivums und dem Risiko einer Manie-Induktion bei längerer Fortführung (14).
Die Datenlage für die Behandlung der akuten bipolaren Depression ist dünn. Bei zu frühem Absetzen der Antidepressiva droht ein Rückfall, bei längerfristiger Einnahme die Induktion einer Manie. / Foto: Adobe Stock/marjan4782
Aufgrund des erhöhten Switching-Risikos sollten SSNRI (wie Venlafaxin) und Trizyklika nur bei schweren depressiven Episoden und nur zeitlich begrenzt gegeben werden. Günstiger sieht es für Olanzapin und Quetiapin retard als Monotherapie aus, die signifikant wirksamer als Placebo sind (1). Der Einsatz von Olanzapin ist limitiert, da es unter allen Antipsychotika der zweiten Generation das höchste Risiko für Gewichtszunahme und metabolisches Syndrom birgt. Die S3-Leitlinie empfiehlt den Einsatz daher nur mit dem Empfehlungsgrad 0.
Carbamazepin ist gut wirksam in der akuten Depressionsbehandlung, aber dafür nicht zugelassen (off Label). Aufgrund zahlreicher pharmakokinetischer Interaktionen ist es zurückhaltend und nur nach sorgfältigem Interaktionscheck einzusetzen. Lithium, Valproat und Aripiprazol sind nicht geeignet zur Monotherapie.
Die Wirksamkeit einer phasenprophylaktischen Behandlung sollte erst nach Ablauf der doppelten Dauer des durchschnittlichen Krankheitszyklus des Patienten beurteilt werden. Idealerweise führt der Patient selber ein Stimmungstagebuch. In der Regel sollte die Behandlung bei Rezidiven innerhalb der ersten sechs Monate nach Beginn nicht verändert werden.
Das Ziel der Prophylaxe ist die völlige Freiheit von manischen oder depressiven Phasen. Leider gelingt dies selten. So gilt es auch als Erfolg, wenn die Amplitude der Phasen gesenkt und die Phasendauer verkürzt wird oder die Intervalle zwischen den Phasen verlängert werden.
In Betracht kommen insbesondere Carbamazepin (cave: Interaktionen, nur bei Therapieversagen von Lithium), Valproat (cave: Teratogenität, nicht bei Frauen im gebärfähigen Alter), Aripiprazol, Quetiapin retard und Lithium (cave: Toxizität) (Tabelle 3).
Lithium ist bezogen auf die Gesamtzahl der Rezidive ebenbürtig zu Carbamazepin, Lamotrigin, Olanzapin und Valproat. In einer großen Vergleichsstudie (15) verhinderte Quetiapin retard neue affektive depressive Episoden effektiver als Lithium bei vergleichbarem Schutz vor neuen manischen Episoden. Dennoch hat Lithium als einziges Präparat zur Phasenprophylaxe den Empfehlungsgrad A in der S3-Leitlinie (1). Im Alltag ist Lithium jedoch problematisch. Um eine Wirkung zu erzielen, wird mindestens ein Blutspiegel von 0,6 mmol/l angestrebt, in der akuten Manie auch deutlich höher (0,8 bis 1,0 mmol/l). Ab 1,2 mmol/l ist Lithium toxisch und kann zu irreversibler Hirnschädigung und Herzrhythmusstörungen sowie zum Delir führen. Auch die »normalen« Nebenwirkungen wie Polydipsie und Polyurie, Tremor und Gewichtszunahme limitieren den Einsatz. Die thyreotoxische und die nephrotoxische Wirkung erfordern vor dem Ansetzen eine umfangreiche Diagnostik, die regelmäßig wiederholt werden muss.
Die Wirksamkeit von Valproat ist der von Lithium unterlegen (16). Typische Nebenwirkungen sind Tremor, Haarausfall, Gewichtszunahme, Thrombo- und Leukopenie sowie Hyponatriämien. Besonders ist auf eine Ammoniak-Erhöhung im Blut zu achten.
In hypomanischen und depressiven Phasen kann eine Psychotherapie helfen, den Patienten zu stabilisieren. / Foto: Adobe Stock/Syda Productions
Aripiprazol ist gut wirksam in der Rezidivprophylaxe der Manie. Beim ebenfalls wirksamen Olanzapin sind die metabolischen Nebenwirkungen zu berücksichtigen. Quetiapin retard sollte nur bei Patienten eingesetzt werden, die in der Akutphase darauf angesprochen haben. Die metabolischen Nebenwirkungen sind geringer als bei Olanzapin.
Die Datenlage für perorales Risperidon und Paliperidon ist dünn. Lediglich für das Risperidon-Depot (ebenfalls off Label) konnte eine deutlich überlegene Wirksamkeit gegenüber Placebo gezeigt werden (17). Die S3-Leitlinie empfiehlt diese Medikation bereits bei der bipolaren Störung. Die gleichmäßige Wirkstoffkonzentration soll zu einem besseren klinischen Outcome (Vermeidung von Rehospitalisierung und manischer Episode) führen (18, 19). In der klinischen Erfahrung hat sich der Off-Label-Einsatz von Aripiprazol-Depot mit geringeren Hospitalisierungsraten als unter oraler Einnahme als sehr wirksam erwiesen. Kein Depot ist zugelassen bei bipolarer Störung.
Zur Phasenprophylaxe kommen Quetiapin retard, Carbamazepin (cave: Interaktionen), Lamotrigin, Valproat (nicht bei Frauen im gebärfähigen Alter) und Lithium (cave: Toxizität) in Betracht. Bei Lithium sind regelmäßige TDM-Kontrollen (Serumspiegel von mindestens 0,6 mmol/ml) angezeigt.
Lamotrigin erfordert eine extrem langsame Aufdosierung, sodass eine Besserung erst nach vielen Wochen erwartet werden kann. Bei zu schneller Aufdosierung kann ein Steven-Johnson-Syndrom (SJS) ausgelöst werden. Zur besseren Vorhersagbarkeit des SJS unter Carbamazepin und Lamotrigin kann eine Genotypisierung auf HLA-A und -B vor der Erstverordnung erfolgen (20, 21, 22).
Foto: Adobe Stock/Minerva Studio
Die medikamentöse Behandlung von Menschen mit bipolarer Erkrankung ist sehr effektiv, jedoch eine Herausforderung. Die Verläufe sind sehr schwer abzuschätzen und ein Umschwung in eine andere Phase kann innerhalb von wenigen Stunden auftreten. Eine engmaschige Symptomkontrolle ist daher erforderlich, aber nur durch das engste Umfeld möglich. Angehörige und enge Freunde sollten daher frühzeitig einbezogen werden.
Eine besondere Problematik ergibt sich durch die Wahnsymptomatik bei der Manie. Die Betroffenen haben keinerlei Krankheitsgefühl und keine Behandlungseinsicht und die Adhärenz sinkt. In stabilen Phasen sollte man daher mit dem Betroffenen planen, wie eine neue Phase frühzeitig identifiziert und die Adhärenz dauerhaft gesichert werden kann. Eventuell bietet sich eine Off-Label-Depotgabe an.
Besonders wichtig ist die Edukation des Patienten, dass es sich um eine lebenslange Erkrankung handelt, die einer kontinuierlichen Pharmakotherapie bedarf, um die Therapieziele wie Erhalt der sozialen und finanziellen Situation, Vermeidung von Suizid, Suchterkrankungen und von Rezidiven zu erreichen. Die Apotheke als niederschwellige Anlaufstelle kann eine wichtige Rolle bei der Suizidprävention einnehmen.
Martina Hahn ist Fachapothekerin für klinische Pharmazie und arbeitet seit vielen Jahren als klinische Pharmazeutin auf Station, wo sie gemeinsam mit Professor Roll das Eichberger Modell© entwickelte. Seit Sommer 2020 arbeitet sie in der psychiatrischen Klinik des Uniklinikums Frankfurt und der Dr. Amelung Privatklinik in Königstein. Seit 2011 ist sie Clinical Assistant Professor an der University of Florida. Sie habilitierte sich 2020 und ist nun auch Privatdozentin an der Universität Marburg.
Sibylle C. Roll ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit Zusatzbezeichnung Suchtmedizin und als Dozentin an mehreren Ausbildungsinstituten und Universitäten tätig. Sie ist Professorin für klinische Pharmazie am College of Pharmacy der Universität Florida. Professor Roll ist seit November 2020 Chefärztin am Klinikum Frankfurt-Höchst.