Therapeutische Maßnahmen erst ab 5 |
Brigitte M. Gensthaler |
24.03.2021 18:00 Uhr |
Bis zum vollendeten fünften Lebensjahr ist eine Harninkontinenz bei Kindern physiologisch. Danach sollte es klappen mit der Blasenkontrolle. / Foto: istockphoto/amriphoto
Blasenprobleme können jedes Alter betreffen. Zwar denkt man beim Stichwort Harninkontinenz spontan an ältere Menschen, doch auch Kinder sind betroffen.
Der organischen Harninkontinenz liegen Strukturanomalien des Harntrakts oder eine neurogene Läsion im Rückenmark oder ZNS zugrunde. »Sind solche Ursachen ausgeschlossen, spricht man von einer funktionellen Harninkontinenz – aber erst bei Kindern ab fünf Jahren«, erklärte Dr. Brigitte Willer, Leitende Oberärztin am Kontinenzzentrum des Schwarzwald-Baar-Klinikums Villingen-Schwenningen, beim Web-Kongress der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg. Bis zum vollendeten fünften Lebensjahr sei es physiologisch, dass ein Kind die Blase nicht völlig kontrollieren kann.
Man unterscheidet drei Formen. Bei der monosymptomatischen Enuresis nocturna nässen die Kinder nur im Schlaf, aber nicht tagsüber ein, während sie bei der nicht-monosymptomatischen Enuresis auch tagsüber Symptome haben. Bei einer funktionellen Harninkontinenz nässen die Kinder nur tagsüber ein.
Die monosymptomatische Form betrifft Jungen etwas häufiger als Mädchen und wird oft vererbt. Eine primäre Form liegt definitionsgemäß vor, wenn das Kind noch nie länger als sechs Monate trocken war; im anderen Fall spricht man von sekundärer Enuresis.
Regelmäßige Toilettengänge, bevor das Kind Harndrang verspürt, sind das wichtigste Element der Urotherapie – und sehr effektiv. / Foto: Adobe Stock/santima.studio
Therapeutisch steht an vorderster Stelle die Urotherapie, also die nicht-medikamentöse und nicht-chirurgische Intervention, betonte Willer. Dafür werde ein individueller Trink- und Miktionsplan erarbeitet. »Das wichtigste Element der Urotherapie sind regelmäßige Toilettengänge; zu diesem Zeitpunkt soll das Kind keinen Harndrang haben.« Im Lockdown gelängen die regelmäßigen Toilettengänge meist besser als vorher, da Eltern ihre Kinder zu Hause besser anleiten können. Zudem wird die Trinkmenge umgestellt, sodass das Kind 90 Prozent der Menge bis 17 Uhr getrunken hat.
»Damit haben wir Erfolg bei mehr als 90 Prozent der Kinder. Sie sollten unter Therapie drei bis vier Monate komplett trocken sein, bevor man mit dem Ausschleichen beginnt«, erklärte die Ärztin.
Zusätzlich seien nächtliche Alarmsysteme möglich, die beim ersten Tropfen in die Hose ein Signal geben, umgangssprachlich auch »Klingelhosen« genannt. Das Gehirn soll lernen, beim Drang der vollen Blase aufzuwachen. Desmopressin verwende sie nur situativ, wenn ein Kind noch nicht ganz trocken ist, aber auswärts übernachten soll.
Bei der nicht-monosymptomatischen Enuresis nässt das Kind an mindestens zwei Nächten pro Monat ein und hat auch Symptome tagsüber. Diese würden oft nicht bemerkt, wenn das Kind schnell genug zur Toilette kommt oder durch Kneifen eine nasse Hose vermeiden kann, berichtete Willer.
Häufige Ursache ist eine überaktive Blase (OAB), eventuell zusammen mit einer zentralen Reifungsverzögerung. Dann helfen Anticholinergika, zum Beispiel Oxybutynin, Propiverin oder Trospiumchlorid (zugelassene Altersgrenzen beachten) und zusätzlich eine Urotherapie. Wird damit keine komplette Trockenheit erreicht, kommt zusätzlich ein Alarmsystem nachts hinzu. »Meist setzen wir eine Kombitherapie ein, die bei konsequenter Anwendung hochwirksam ist«, resümierte Willer. Eine funktionelle Harninkontinenz wird je nach Form therapiert, zum Beispiel mit Anticholinergika bei OAB oder Toilettentraining bei Miktionsaufschub.
Eine Sonderform ist die Giggle- oder Kicher-Inkontinenz bei Kindern und Jugendlichen. »Die Kinder sollen lernen, den Beckenboden anzuspannen und zusammenzukneifen, bevor sie lachen oder hüpfen, und zusätzlich bekommen sie eine anticholinerge Therapie«, erklärte Willer. Oft wirke es schon entlastend, wenn Eltern und Kind wissen, dass keine schlimme Erkrankung vorliegt.