Tabelecleucel ist verfügbar |
Annette Rößler |
25.05.2023 07:00 Uhr |
Menschliche T-Zellen, die gelernt haben, EBV-infizierte Zellen zu attackieren, stellen das therapeutische Agens von Tabelecleucel dar. / Foto: Getty Images/Dr_Microbe
Patienten, die eine Transplantation von hämatopoetischen Zellen (HCT) oder eines soliden Organs (SOT) erhalten haben, müssen anschließend immunsupprimiert werden. Eine lebensbedrohliche Komplikation dabei ist eine spezielle Form von Blutkrebs, die lymphoproliferative Posttransplantationserkrankung (PTLD). Steht die PTLD im Zusammenhang mit einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV), spricht man von EBV+ PTLD.
Die Erstlinientherapie bei dieser Erkrankung besteht aus Chemotherapie und/oder Rituximab. Als Zweitlinientherapie steht für Patienten mit rezidivierter oder refraktärer EBV+ PTLD jetzt das neue T-Zelltherapeutikum Tabelecleucel (Ebvallo™, Pierre Fabre) zur Verfügung. Das neue Präparat wird als Monotherapie bei Paienten ab zwei Jahren eingesetzt.
Tabelecleucel besteht aus T-Zellen eines gesunden Spenders, die nach der Entnahme mit EBV-infizierten B-Zellen derselben Person gemischt und dadurch gegen das Virus sensibilisiert wurden. Wird ein Patient mit EBV+ PTLD mit Tabelecleucel behandelt, greifen die T-Zellen in seinem Körper EBV-infizierte Zellen an und zerstören sie. Damit sie das tun können, müssen die HLA-Eigenschaften des Spenders möglichst gut mit denjenigen des Empfängers übereinstimmen. Jede Ebvallo-Charge wird daher aus einem Pool anhand des HLA-Profils patientenindividuell ausgewählt. Auch die Dosierung ist mit 2 x 106 Zellen pro kg Körpergewicht individuell.
Die Behandlung erfolgt in Zyklen von 35 Tagen Länge mit Tabelecleucel-Gaben an den Tagen 1, 8 und 15. Das Medikament wird nach Verdünnung als intravenöse Injektion über fünf bis zehn Minuten gegeben. Wie viele Zyklen ein Patient erhält, hängt vom Ansprechen ab. Es ist möglich, dass zwischendurch das HLA-Profil, die sogenannte HLA-Restriktion, gewechselt wird.
Ebvallo enthält den Hilfsstoff Dimethylsulfoxid (DMSO), der schwere Überempfindlichkeitsreaktionen auslösen kann. Deshalb und auch wegen vieler weiterer potenziell schwerwiegender Nebenwirkungen soll die Gabe in einem kontrollierten Umfeld erfolgen, in dem der Patient gegebenenfalls sofort angemessen versorgt werden kann.
Die Wirksamkeit von Tabelecleucel wird in der noch laufenden, offenen, einarmigen Phase-III-Studie ALLELE untersucht. Im Rahmen der Studie wurden insgesamt 43 Patienten mit dem Medikament behandelt; 29 von ihnen hatten eine EBV+ PTLD nach einer SOT entwickelt und 14 nach einer HCT. Ausgewertet wurden 16 Patienten der SOT-Kohorte, die zuvor mit Rituximab plus Chemotherapie behandelt worden waren, und alle 14 Patienten der HCT-Kohorte (Vortherapie: Rituximab). Der primäre Endpunkt war die objektive Ansprechrate (ORR).
Von den 16 SOT-Patienten sprachen neun auf die Therapie an (ORR 56,3 Prozent), von den 14 HCT-Patienten sieben (ORR 50,0 Prozent). Eine komplette Remission war bei fünf SOT-Patienten zu verzeichnen (31,3 Prozent) und bei sechs HCT-Patienten (42,9 Prozent). Bei vier SOT-Patienten (25,0 Prozent) und bei einem HCT-Patient (7,1 Prozent) handelte es sich um eine partielle Remission.
Häufigste Nebenwirkungen waren unter anderem Fieber (31,1 Prozent der Behandelten), Durchfall (26,2 Prozent) und Fatigue (23,3 Prozent), häufigste schwerwiegende Nebenwirkungen Tumor-Flare-Reaktionen (1 Prozent) und Graft-versus-Host-Krankheit (4,9 Prozent).
Patienten, die mit Ebvallo behandelt wurden, dürfen kein Blut, keine Organe, kein Gewebe und keine Zellen zur Transplantation spenden. Die Anwendung von Tabelecleucel in der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht verhüten, wird nicht empfohlen. In der Stillzeit muss eine Entscheidung getroffen werden, ob das Stillen unterbrochen oder die Tabelecleucel-Therapie unterbrochen beziehungsweise abgesetzt wird.
Ebvallo wird in einer bis sechs Durchstechflaschen mit je 1 ml entnehmbarem Volumen in einem Umkarton auf flüssigem Stickstoff geliefert. Das Medikament darf erst aufgetaut werden, wenn der Patient vor Ort ist und er klinisch untersucht wurde. Zubereitung und Verabreichung müssen innerhalb von drei Stunden nach Beginn des Auftauprozesses beendet sein.
T-Zelltherapeutika gibt es mittlerweile einige – Stichwort: CAR-T-Zelltherapie. Nun kam mit Tabelecleucel eine T-Zelltherapie einer anderen Art auf den Markt. Es handelt sich um die erste allogene T-Zell-Immuntherapie überhaupt in Europa. Schon deshalb verdient sie die Bewertung als Sprunginnovation, denn möglicherweise ist dies der Beginn einer neuen Klasse von Zelltherapeutika.
Tabelecleucel kommt in einer Indikation zum Einsatz, in der es noch dringenden Bedarf an weiteren Therapieoptionen gibt. Patienten mit EBV+ PTLD, bei denen die Standardtherapie versagt hat, haben eine mittlere Überlebensdauer von nur noch wenigen Wochen bis Monaten. In dieser Therapiesituation verabreicht, konnte Tabelecleucel in der Studie ALLELE durchaus seinen Nutzen unter Beweis stellen. Etwa die Hälfte der Teilnehmer sprach auf die Behandlung an und zeigte ein komplette oder partielle Remission. Auch ein dauerhaftes Ansprechen, das länger als sechs Monate anhielt, ließ sich in einigen Fällen beobachten. Auch diese Fakten sprechen für die vorläufige Einstufung als Sprunginnovation.
Zu beachten ist, dass das Präparat Ebvallo™ unter »außergewöhnlichen Umständen« zugelassen ist und die langfristige Sicherheit und Wirksamkeit des Arzneimittels weiter im Blick zu behalten sind.
Sven Siebenand, Chefredakteur