Symptomtherapie statt Antibiotika |
In der überwiegenden Mehrheit der Fälle steckt hinter Halsschmerzen ein viraler Infekt. Antibiotika sind also fehl am Platze. / Foto: Adobe Stock/Vera
Im Vergleich zur Vorgängerversion der Halsschmerz-Leitlinie der DEGAM (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin) kommt in der Diagnostik zu den beiden bekannten Scores ein dritter hinzu. Das Verordnungsprinzip des »delayed prescribing« wird erstmals ausdrücklich empfohlen und außerdem ein überarbeiteter Behandlungsalgorithmus vorgestellt, bei dem die Dauer einer Antibiotikatherapie auf fünf bis sieben Tage verkürzt wird. Penicillin V bleibt Mittel der Wahl. Die Leitlinie rückt also einen adäquaten Antibiotikaeinsatz bei Atemwegsinfekten und die Vermeidung von Antibiotikaresistenzen in den Fokus.
Das ist das Neue an der Leitlinie: Man verzichtet bewusst auf eine antibiotische Therapie, selbst ein klinischer Verdacht auf eine bakterielle Tonsillopharyngitis ist keine generelle Indikation für Antibiotika. Die Leitlinie setzt hier auf eine ausführliche Aufklärung. Der Arzt muss anhand von Scores und der Therapieerwartungen des Patienten mit diesem abwägen, ob eine Antibiotikabehandlung indiziert ist. Rein klinisch ist nicht sicher zwischen viralen, bakteriellen und nicht infektiösen Ursachen akuter Pharyngitiden, Tonsillitiden, Rhino- und Tonsillopharyngitiden zu unterscheiden.
Darüber hinaus sollten Arzt und Apotheker den Patienten aufklären, dass eine antibiotische Therapie bei Pharyngitis die Symptomdauer im Schnitt nur um 16 Stunden verkürzt. Die Number needed to Treat (NNT) liegt mit 200 relativ hoch: Das heißt, um eine Komplikation zu verhindern, müssen 200 Halsschmerz-Patienten mit Antibiotika behandelt werden – umgekehrt wären die Antibiotika bei 199 Patienten nicht nötig gewesen. Das erstmalig aufgeführte Verordnungsprinzip des »delayed prescribing« schafft mehr Handlungsspielraum. Dabei wird dem Patienten ein Rezept angeboten mit der Auflage, es erst dann einzulösen, wenn nach drei bis fünf Tagen keine Besserung oder wenn früh eine Verschlechterung auftritt.
Bei akuten Halsschmerzen kann bei Beachtung der Red Flags in der Regel auf ein Antibiotikum verzichtet werden. Auch lokal im Mund- und Rachenraum anzuwendende Lokalantibiotika könnten in ihrer niedrigen Dosierung die Bildung von (Kreuz)-Resistenzen fördern. Antibiotika sind im Gros vermeidbar, schon deshalb, weil 50 bis 80 Prozent der akuten Halsschmerzen in allen Altersgruppen viraler Natur sind. Derzeit müsse auch an SARS-CoV-2 gedacht werden, heißt es in der Leitlinie, auch wenn Halsschmerzen nicht als Kardinalsymptom von Covid-19 gelten. Doch schon vor der Pandemie waren Coronaviren für mindestens 5 Prozent akuter Halsentzündungen verantwortlich. Bakteriell bedingte Halsschmerzen sind seltener: 10 bis 30 Prozent werden durch ß-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A hervorgerufen, bis zu zehn Prozent bei Erwachsenen durch C- und D-Streptokokken. Übrigens: Schnelltests erfassen nur A-Streptokokken.
Die Leitlinie nennt acht Warnzeichen: Scharlach-Exanthem, Mononukleose, Infektion mit anderem Fokus (Pneumonie, Bronchitis, Otitis, Sinusitis), Immunsuppression, Chemotherapie, orale Corticoid-Therapie, schwere Komorbiditäten und ein erhöhtes Risiko für akutes rheumatisches Fieber (ARF). Liegen diese nicht vor, erfolgt eine Beratung darüber, dass Halsschmerzen in der Regel einen selbstlimitierenden Verlauf haben und die Beschwerden in der Regel nicht länger als eine Woche anhalten. Grundsätzlich können körperliche Schonung; Vermeidung von Tabakkonsum (auch passiv!) sowie das Feuchthalten der Schleimhäute etwa durch eine angemessene Flüssigkeitszufuhr und eine ausreichende Luftfeuchtigkeit innerhalb geschlossener Räume empfohlen werden. Bei beginnender Heiserkeit die Stimme soweit wie möglich schonen. Auf keinen Fall flüstern, denn das strapaziert zusätzlich.
Präparate mit Schleimstoff-haltigen Drogen wie Eibisch (zum Beispiel Phytohustil®), Primelwurzel (zum Beispiel Ipalat® Halspastillen) oder Isländisch Moos (zum Beispiel Isla Moos®) befeuchten die Schleimhäute, indem sie den Speichelfluss anregen und mucilaginös wirken. Die in den Schleimstoffen enthaltenen Polysaccharide bilden mit dem Speichel eine Art Schutzfilm, der sich über die Schleimhaut legt. Entzündete Epithelzellen werden so vor weiteren Reizen geschützt. Eine befeuchtende Wirkung versprechen auch Halstabletten mit Hyaluronsäure (zum Beispiel Isla® med akut, GeloRevoice®).
Relativ neu in Präparaten gegen Erkältung zu finden ist Ectoin, eine Substanz, die aus Mikroorganismen gewonnen wird, die in extremen Umgebungen wie in Geysiren oder Salzseen leben. Ectoin schützt die Bakterien vor den dort herrschenden extremen Umweltbedingungen. In der Medizin macht man sich seine schleimhautstärkende Funktion zunutze. Es stabilisiert auf physikalischem Wege die Zellmembranen, indem es einen Hydro-Komplex bildet und so die Zellstrukturen vor weiteren Virenattacken schützt (Osmoregulation). In Kombination mit Eibischwurzel-Trockenextrakt und Honig (Naturalis® Mund- und Rachenspray) schützt es das Epithel. Die so mögliche Rehydratisierung und die Abschirmung der peripheren Sensorikrezeptoren führt zu einer signifikanten Symptomlinderung bei einer vorliegenden akuten Pharyngitis und bei trockenem Reizhusten.
Das Spray ermöglicht eine zielgenaue Symptombehandlung im Rachen. »Ein Spray benetzt die betroffenen Schleimhäute unmittelbar bei der Anwendung und verteilt die Inhaltsstoffe nicht erst langsam wie nach dem Auflösen der Lutschpastillen. Der fein verteilte Nebel erreicht leicht das Gewebe im hinteren Rachen«, sagte Professor Dr. Ralph Mösges, HNO-Arzt aus Köln, bei der Produktlaunch.
Ob mit oder ohne Antibiotikum: Als rationalen Ansatz zur Behandlung von akuten Halsschmerzen sehen die Leitlinienautoren die symptomatische Therapie mit antientzündlichen Wirkstoffen. Das sind entweder Lutschtabletten mit Lokalanästhetika wie Benzocain (zum Beispiel Dolo-Dobendan®, Anaesthesin Pastillen) oder Ambroxol (zum Beispiel Mucoangin® Lutschtabletten) sowie mit nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) oder bei starken Schmerzen orale NSAR. Bei Letzteren wird die Leitlinie sehr konkret und nennt explizit Ibuprofen und Naproxen, auch aufgrund ihres günstigen Risikoprofils. Bei den Lokalanästhetika und NSAR zum Lutschen macht sie dagegen keine genaueren Angaben. Bei den Lokaltherapeutika ist jedoch laut Leitlinie nur ein moderater Effekt zu erwarten.
Eigens genannt unter den NSAR für die lokale Anwendung wird Flurbiprofen, das derzeit einzige NSAR, das in Deutschland für die topische Anwendung bei Halsschmerzen zugelassen ist (zum Beispiel in Dobendan® Direkt). Es ist in Form von Lutschtabletten ab einem Alter von zwölf Jahren oder als Spray ab 18 Jahren erhältlich. Beide werden alle drei bis sechs Stunden angewendet, jedoch maximal fünfmal am Tag. Der Wirkstoff dringt gut in die Mukosa ein und wirkt relativ schnell analgetisch und entzündungshemmend bis zu sechs Stunden, jedoch nur in geringem Maße systemisch.
Beim Spray besteht eine Einzeldosis aus drei Sprühhüben. Die Handhabung des Sprays kann gerade ältere Patienten überfordern, weshalb hier unter Umständen die Lutschtabletten vorzuziehen sind. Das Spray wird im hinteren Rachenbereich appliziert und darf nicht eingeatmet werden. Beim Sprühen also Luft anhalten!
Es gibt auch eine klare Empfehlung gegen alle Arten von Rachentherapeutika – also Lutschtabletten, Gurgellösungen, Rachensprays – mit Lokalantiseptika und/oder Antibiotika. Abgesehen von der mangelnden Evidenz sei die Anwendung dieser Mittel bei einer mehrheitlich viral bedingten Infektion nicht nachvollziehbar und nicht sinnvoll. »Lokalantiseptika sind konzentrationsabhängig zytotoxisch und wirken nur an der Oberfläche, während sich die wesentliche Infektion in der Tiefe des Gewebes abspielt«, heißt es in der Leitlinie. Ebenfalls eindeutig nicht empfohlen werden Corticosteroide zur analgetischen Therapie bei Halsschmerzen.
Wann dürfen Kinder mit einer Streptococcus-pyogenes-Infektion, besser bekannt unter der Bezeichnung »Scharlach«, wieder in Gemeinschaftseinrichtungen gehen? Es gibt unterschiedliche Empfehlungen, wie mit den ß-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A umzugehen ist und wie lange die Kinder infektiös sind.
Nach dem Infektionsschutzgesetz liegt es im Ermessen des Arztes zu entscheiden, wann eine Weiterverbreitung des Erregers nicht mehr zu befürchten ist. Das Robert-Koch-Institut rät zur Wiederzulassung ab dem zweiten Tag einer Antibiotikatherapie, sofern keine Krankheitszeichen mehr bestehen, ohne Antibiotikaeinsatz aber erst 14 Tage nach Symptombeginn.
Eine Einlassung speziell zum Scharlach im Bundesgesundheitsblatt sieht vor, dass eine Wiederzulassung bei gutem Allgemeinbefinden 24 Stunden nach Therapiebeginn und ohne Antibiotikabehandlung nach Abklingen der akuten Symptome erfolgen kann. Es ist somit widersprüchlich, warum Kinder mit Scharlach auch ohne Antibiotikabehandlung nach Abklingen der akuten Symptome wieder in Kita oder Schule gehen können, während das im Fall einer Tonsillitis nicht möglich ist.
Die aktuelle Halsschmerz-Leitlinie empfiehlt die Wiederzulassung bei gutem Allgemeinbefinden 24 Stunden nach Antibiotikabeginn und ohne Therapie nach Abklingen der akuten Symptome. Die 14-Tages-Frist wird hier nicht berücksichtigt.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.