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Kaiserschnitt-Kinder

Stuhl als gesundes Plus in Muttermilch?

Eine Stuhlprobe der Mutter, oral verabreicht mit der Muttermilch, könnte bei Kaiserschnitt-Kindern möglicherweise die Entwicklung eines diversen Darmmikrobioms fördern. Die Methode ist jedoch nichts für den Hausgebrauch.
Carolin Lang
06.10.2020  12:00 Uhr

Neugeborene, die per Kaiserschnitt zur Welt gekommen sind, weisen im Vergleich zu vaginal geborenen Babys häufig eine geringere Diversität der mikrobiellen Darmbesiedlung auf. Ein möglicher Grund hierfür ist, dass bei einer vaginalen Entbindung der Kontakt mit den ansässigen Bakterien im Geburtskanal das Mikrobiom des Babys prägt – was bei einem Kaiserschnitt nicht stattfindet. Einige Wissenschaftler nehmen an, dass sich dieses Defizit möglicherweise negativ auf das Immunsystem der Kinder auswirken könnte. In früheren Studien wurde daher versucht, durch das sogenannte vaginale Impfen oder auch »vaginal seeding« die Entwicklung der Darmflora bei Kaiserschnitt-Kindern zu fördern. Dabei wurden die Kinder mit Vaginalsekret der Mutter eingerieben. Die Methode ist allerdings umstritten; ein positiver Effekt ist nicht belegt.

Eine Arbeitsgruppe um den Mikrobiologen Professor Dr. Willem M. de Vos von der Universität Helsinki untersuchte nun, ob eine oral verabreichte fäkale Mikrobiom-Transplantation (FMT) erfolgreicher darin ist, einer gestörten Entwicklung des Darmmikrobioms bei Kaiserschnitt-Kindern entgegenzuwirken. Ihre Ergebnisse veröffentlichte sie kürzlich im Fachjournal »Cell« (DOI: 10.1016/j.cell.2020.08.047).

Die Wissenschaftler rekrutierten in ihrer Studie 17 werdende Mütter, bei denen ein Kaiserschnitt geplant war. Drei Wochen vor dem Geburtstermin untersuchten sie die Fäkalproben der Frauen auf mögliche Pathogene. Die Säuglinge von sieben Müttern, deren Stuhl frei von Pathogenen war, erhielten nach dem Kaiserschnitt in Muttermilch verabreicht entweder 3,5 oder 7 mg der mütterlichen Fäkalien. Über einen Zeitraum von zwölf Wochen untersuchten die Forscher anschließend regelmäßig die Zusammensetzung des Kots der Säuglinge. Sie verglichen die Proben mit denen von 29 vaginal geborenen Babys und von 18 Kaiserschnitt-Kindern, die keine FMT erhalten hatten.

Mikrobiome gleichen sich an

Die Darmmikrobiome der mit FMT behandelten Kinder, nicht jedoch die der unbehandelten Babys, hatten sich innerhalb von drei Wochen so entwickelt, dass sie denen vaginal geborener Säuglinge ähnelten, schreiben die Autoren. Dies zeige, dass das Darmmikrobiom von Kaiserschnitt-Säuglingen postnatal durch mütterliche FMT wiederhergestellt werden könne. Sie betonen jedoch, dass das Verfahren nur nach einem sorgfältigen klinischen und mikrobiologischen Screening erfolgen sollte. Alle sieben Säuglinge zeigten während der dreimonatigen Nachbeobachtungszeit keine klinischen Auffälligkeiten oder unerwünschten Nebenwirkungen der FMT.

Unter de Vos' Leitung ist unterdessen eine randomisierte, kontrollierte Studie gestartet, in der Dutzende von Kaiserschnitt-Kindern entweder den Stuhl ihrer Mütter oder ein Placebo erhalten. Der Gesundheitszustand der Kinder soll anschließend über mehrere Jahre überwacht werden. In der Zwischenzeit weist de Vos darauf hin, dass Fäkaltransplantationen ein sorgfältiges medizinisches Management erfordern. Das sei nichts, was Eltern zu Hause tun sollten, betont er gegenüber der Nachrichtenseite des Fachjournals »Science« (DOI: 10.1126/science.abf0712).

Die Befürchtung, Krankheitserreger zu übertragen und damit den Babys mehr zu schaden als zu nützen, ist auch ein Argument gegen das unkontrollierte vaginale Impfen. Nichtsdestotrotz ist die Nachfrage nach einer Möglichkeit zur Abmilderung der möglichen negativen Folgen eines Kaiserschnitts für die immunologische Gesundheit des Kindes angesichts der hohen Kaiserschnittrate auch in Deutschland groß. Sie liegt laut Statistischem Bundesamt bei fast 30 Prozent. Seit Mitte des Jahres gibt es eine Leitlinie, die bei einer Entscheidung für oder gegen einen Kaiserschnitt helfen soll. Denn nur bei 10 Prozent der Geburten gilt die Operation als wirklich nötig.

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