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Coronaviren

Steht die Welt vor der nächsten Pandemie?

Mehr als 200 weitere Infektionen an einem Tag und elf weitere Tote – die Coronavirus-Epidemie in China nimmt an Fahrt auf. Bislang gilt der neue Erreger als harmloser als SARS. Europa sieht sich gut vorbereitet.
PZ/dpa
22.01.2020  17:08 Uhr

Allein am Mittwoch stieg die Zahl der Toten von bisher 6 auf 17, wie die Regierung der Provinz Hubei in der schwer betroffenen Metropole Wuhan berichtete. Mit mehr als 200 Nachweisen binnen eines Tages nahm auch die Zahl erfasster Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus 2019-nCoV stark zu. Es sei bislang bei 544 Menschen in China bekannt, dass sie an der Lungenkrankheit leiden, berichtete die chinesische Ausgabe der «Global Times» im Kurznachrichtendienst Weibo am späten Mittwochabend (Ortszeit). Auch außerhalb Chinas wurden weitere Infektionen bekannt.

In Europa gibt es bislang keine Nachweise. Nach Einschätzung der Bundesregierung bedeutet die Ausbreitung der neuen Lungenkrankheit nur ein «sehr geringes» Gesundheitsrisiko für die Menschen in Deutschland. Es gebe keinen Grund, jetzt in Alarmismus zu verfallen, sagte ein Sprecher von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der am Mittwoch auch das Kabinett über die Lage informierte. Das neuartige Coronavirus sei weit weniger gefährlich als etwa der SARS-Erreger vor einigen Jahren. Die Situation werde aber aufmerksam verfolgt. Außerdem laufe unter anderem über das Robert-Koch-Institut (RKI) eine internationale Abstimmung.

Nach Angaben des Auswärtigen Amts sind vorerst keine Deutschen vom Coronavirus betroffen. Das Krisenreaktionszentrum des Ministeriums beriet am Mittwoch mit dem RKI und eigenen Experten in Asien darüber. Man sei darauf vorbereitet, auch Reisehinweise zu aktualisieren. Im Moment gebe es aber keinen Grund für eine Reisewarnung, sagte eine Sprecherin am frühen Mittwochnachmittag. 

In den USA sei ein Mann erkrankt, der nach einer Reise in die chinesische Stadt Wuhan am 15. Januar in die Westküstenmetropole Seattle zurückgekehrt war, teilte die US-Gesundheitsbehörde CDC am Dienstag (Ortszeit) mit. Der Mann in seinen 30ern habe bei der Rückreise noch keine Symptome bemerkt, sich später aber zur Untersuchung in ein Krankenhaus begeben. Die Krankheit war zuvor bereits in Japan, Südkorea, Taiwan und Thailand nachgewiesen worden – bisher stets bei Menschen, die sich zuvor in China aufgehalten hatten. In Thailand sind mit zwei neuen Fällen inzwischen vier Erkrankte erfasst, wie das Gesundheitsministerium mitteilte.

Tropenmediziner rechnet mit Fällen in Deutschland

Der Rostocker Tropenmediziner Professor Dr. Emil Reisinger hat wegen des gefährlichen Coronavirus zu einem umsichtigen Verhalten aufgerufen. Dass das derzeit in Asien grassierende Virus auch in Deutschland auftauchen werde, sei für ihn sicher, sagte Reisinger am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. Das Virus sei bereits in den weltweiten Reiseverkehr eingeschleust. Zu den Vorsorgemaßnahmen gehöre wie bei jeder Grippeepidemie beispielsweise regelmäßiges Händewaschen und das Vermeiden größerer Menschenansammlungen. Die Menschen könnten sich auch vorbereiten, indem sie im Falle nachgewiesener Infektionsfälle eine «gewisse Distanz» halten, betonte der Mediziner. Dazu gehörten der Verzicht aufs Händeschütteln oder Begrüßungsküsse. Je nach Verlauf könnte es auch dienlich sein, dann – wie in Asien häufig zu sehen – einen Mundschutz zu tragen.

Es sei davon auszugehen, dass bei einer Infektion der Großteil der Betroffenen nur geringe Symptome verspüren werde und keine Lungenentzündung entwickle, sagte Reisinger. Bei den bisher bekannten Todesfällen in China habe es sich um ältere Menschen mit schweren Vorerkrankungen gehandelt. Für das Personal in Kliniken gelte, sich wie bei einem Tuberkulosefall zu schützen. Dazu zähle der Gebrauch von Mundschutz, Handschuhen und Kitteln. «Das sollte fürs Erste ausreichen», betonte Reisinger.

Es wird vermutet, dass das neue Coronavirus von einem Fischmarkt in der zentralchinesischen 11-Millionen-Metropole Wuhan kommt, auf dem auch Wildtiere verkauft wurden. Man gehe zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass die Quelle ein Wildtier auf dem Markt gewesen sei, sagte Gao Fu, Direktor des chinesischen Zentrums für Seuchenkontrolle. Demnach gab es zunächst Übertragungen vom Tier zum Menschen, bevor das Virus sich an seinen neuen Wirt anpasste und es zu Übertragungen zwischen Menschen kam.

Europa ist gut vorbereitet

Die Europäische Union ist auf ein mögliches Auftreten des gefährlichen Coronavirus nach Expertenansicht gut vorbereitet. Nach dem chinesischen Neujahr könnten auch Fälle in Europa auftauchen, sagte Herman Goossens von der Universität Antwerpen. In der zweiwöchigen Ferienzeit rund um das Fest am kommenden Samstag sind einige Hundert Millionen Chinesen unterwegs. «Europa hat die nötigen Strukturen und Mittel um bereit zu sein, falls sich eine Pandemie ereignet», zitierte die belgische Nachrichtenagentur Belga den Experten am Mittwoch. Unter Pandemie verstehen Experten eine länder- und kontinentübergreifende Ausbreitung einer Infektionskrankheit.

Goossens koordiniert das sogenannte Prepare-Netzwerk der EU-Kommission zu übertragbaren Krankheiten. Fachleute dieses Netzwerks sollten am Mittwoch in Brüssel über das weitere Vorgehen im Fall des Coronavirus beraten. «Ich habe noch nie so eine schnelle Reaktion und Zusammenarbeit erlebt wie im Fall des Ausbruchs des Coronavirus», sagte Goossens. Die Prepare-Plattform würde reagieren, falls sich das neuartige Virus nach Europa ausbreiten sollte.

Das neue Virus gehört zur selben Virusart wie der SARS-Erreger, es ist nur eine andere – nach derzeitigem Stand harmlosere – Variante. Vom RKI hieß es, es gebe keine wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit sogenannter Entry-Screenings an Flughäfen, also Fieberkontrollen bei der Einreise. Sinnvoll seien Exit-Screenings in von einer Erkrankungswelle besonders betroffenen Gebieten. Wuhan hat entsprechende Kontrollen bei der Ausreise bereits eingeführt.

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