Spleißen als Sicherheitslücke |
Spleißen ist ein Schritt bei der Herstellung von mRNA aus DNA im Zellkern (orange). Die mRNA verlässt dann den Zellkern und dient bei der Proteinsynthese an den Ribosomen (gelb) als Vorlage. / Foto: Getty Images/Christoph Burgstedt/Science Photo Library
Die Covid-19-Pandemie hat zu einer enorm beschleunigten Entwicklung von Impfstoffen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geführt. Derzeit sind in Europa die beiden mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer (Comirnaty®, BNT162b2) und von Moderna (Spikevax®, mRNA-1273) sowie die beiden Vektorimpfstoffe von Astra-Zeneca (Vaxzevria®, AZD1222) und von Janssen beziehungsweise Johnson & Johnson (Ad26.COV2.S) zugelassen.
Alle vier Impfpräparate sorgen dafür, dass Zellen von Geimpften das Spike-Antigen von SARS-CoV-2 selbst herstellen. Die beiden mRNA-Impfstoffe liefern ihre mRNA dabei direkt ins Cytosol der Zielzellen ab, wo sie unmittelbar an den Ribosomen in das SARS-CoV-2 Spike-Antigen übersetzt werden. Das Spike-Antigen gelangt dann über den sekretorischen Weg in die äußere Membran dieser Zellen.
Bei den vektorbasierten Impfstoffen, die als Virus in die Zellen gelangen, wird die virale DNA zunächst an den Zellkern übergeben. Dort kann die Virus-DNA zwar nicht ins Genom integrieren, aber das SARS-CoV-2-Spike-Gen wird dort zusammen mit anderen Genen des Adenovirus in RNA abgeschrieben. Diese neu gebildeten RNA-Moleküle unterliegen nun den Regeln des Zellkerns, die für alle kernkodierten Gene gelten: Capping, Spleißing und Poly-Adenylierung.
Allerdings sind die Gene von RNA-Viren wie SARS-CoV-2 für diese Prozesse gar nicht vorgesehen, da sie beispielsweise keine intronischen Sequenzen besitzen. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass Gene von RNA-Viren rein zufällig Spleißsignale enthalten, da es sich hierbei um sehr kurze Nukleotidabfolgen handelt (Spleißdonorsignal: GUnnGU; Spleißakzeptorsignal: YYYYCAG). Diese stören nicht, da diese Signale nur im Zellkern von Relevanz sind. Dorthin gelangen die Gene von RNA-Viren normalerweise nicht.
Werden sie jedoch durch DNA-Viren (im konkreten Fall Adenoviren) in den Zellkern eingeschleust, kommt es durch diese Kernpassage zu fehlgebildeten Varianten des Spike-Proteins. Über diese Varianten weiß man heute leider noch zu wenig, um endgültige Aussagen über ihr Gefahrenpotenzial zu machen. Aber allein die Tatsache, dass in diesem Fall lösliche Varianten des Spike-Proteins hergestellt werden, ist unter bestimmten Voraussetzungen sehr beunruhigend.
Alle Impfstoffe verursachen mehr oder weniger ausgeprägte akute Impfnebenwirkungen. Diese klingen normalerweise nach ein bis zwei Tagen vollständig ab. Deshalb war es im März 2021 sehr verwunderlich, dass plötzlich bei Menschen, die mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff erstgeimpft waren, nach 5 bis 16 Tagen seltene Thrombosen auftraten, darunter Hirnvenenthrombosen und Thrombosen im Bauchraum. Diesen Mechanismus zu verstehen beziehungsweise aufzuklären, war eine wahre Detektivarbeit von drei deutschen Arbeitsgruppen in Greifswald, Ulm und Frankfurt. Durch die zum Teil gemeinsamen Arbeiten konnte die initial formulierte Vermutung, dass gebildete Antikörper gegen das Spike-Antigen hierfür verantwortlich sind, experimentell widerlegt werden. Letztlich blieb nur noch das oben beschriebene Spleißproblem als Ursache für die gefährlichen Nebenwirkungen der Vektorimpfstoffe übrig.
Beide Coronaimpfstoffe dieses Typs wurden dann nach allen Regeln der Kunst molekularbiologisch untersucht. Dabei zeigte sich, dass sich die beiden Impfstoffe von Astra-Zeneca und Janssen deutlich unterscheiden.
Janssen hatte mit dem 2020 eingeführten Ebolaimpfstoff Zabdeno®/Mvabea® bereits Erfahrung bei der Entwicklung eines adenoviralen Vektorimpfstoffs gesammelt und diese anscheinend konsequent in die Entwicklung des SARS-CoV-2-Impfstoffs einfließen lassen. Beispielsweise verwendete dieser Hersteller, anders als Astra-Zeneca, einen intronlosen Promotor. Zudem wurde der Leserahmen des Spike-Gens so abgeändert, dass keine Furinschnittstelle mehr enthalten ist. Und das Gen für das S-Protein wurde dahingehend modifiziert, dass das Protein in der Präfusionskonformation fixiert ist. Auch wurden durch gezielte Punktmutationen bestimmte starke Spleißsignale inaktiviert, sodass bis zu 99,9 Prozent intaktes Spike-Protein hergestellt wird.
Ganz anders verhält es sich bei Vaxzevria. Hier verwendeten die Entwickler einen intronhaltigen Promotor und ließen die Furinschnittstelle unmutiert. Auch wurde die Präfusionskonformation nicht stabilisiert und alle Spleißstellen blieben unmodifiziert.
Als Resultat dieser Vorgehensweise werden in den Virus-transduzierten Zellen nach Impfung mit Vaxzevria zwar auch intakte Spike-Antigene hergestellt, aber auch sehr viele andere Proteinvarianten, die alle löslich von diesen Zellen abgegeben werden. Diese löslichen Spike-Protein-Varianten sind an sich erst einmal unproblematisch. Sie werden aber zum Problem, wenn die Antikörperproduktion gegen das Spike-Antigen anläuft. Denn sobald lösliche Spike-Protein-Varianten an die ACE2-Rezeptoren auf den Endothelzellen der Blutgefäße andocken und diese dann von Antikörpern erkannt werden, entstehen Immunkomplexe, die Kristallisationskeime für thromboembolische Ereignisse bilden.
Das liegt auch daran, dass Vektorimpfstoffe deutlich länger im Körper vorhanden sind als mRNA-Impfstoffe, nämlich zwei bis drei Wochen statt zwei bis drei Tage. Somit überlappen sich bei den Vektorimpfstoffen die Fenster der Antigenproduktion und der Antikörperherstellung, nämlich ab Tag 6. Dies wird für Menschen, die aufgrund ihrer MHC-Genetik keine neutralisierenden Antikörper herstellen können, zu einem Risiko, denn sie können die Bindung der löslichen Spike-Protein-Varianten an ACE2-Rezeptoren auf den Endothelzellen möglicherweise nicht blockieren, sodass es mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:80.000 zu thromboembolischen Ereignissen kommen kann.
Als Lehre aus diesen experimentellen Erkenntnissen ist festzuhalten, dass sich mRNA-Impfstoffe als perfekte Möglichkeit anbieten, wenn man Gene von RNA-Viren als Impfstoffe verwenden möchte. Versucht man dies mit Adenoviren, sind bestimmte Vorsichtsmaßnahmen zu berücksichtigen; dies hat im Fall der Covid-19-Impfstoffe offenbar nur einer der beiden Hersteller getan.
Dr. Rolf Marschalek ist Professor für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er hat mit seinem Arbeitskreis die oben beschriebenen Zusammenhänge experimentell nachgewiesen. Ihre Ergebnisse veröffentlichte die Gruppe Ende Mai auf dem Preprint-Server »Research Square« (DOI: 10.21203/rs.3.rs-558954/v1).
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.