Spike-Protein als Superantigen |
Christina Hohmann-Jeddi |
01.10.2020 18:00 Uhr |
Das Spike-Protein auf der Oberfläche von SARS-CoV-2 scheint eine Region aufzuweisen, die die adaptive Immunreaktion überstark aktiviert. / Foto: Getty Images/Radoslav Zilinsky
Bei Patienten mit schwerem Verlauf von Covid-19 wird zum Teil ein hyperinflammatorisches Syndrom beobachtet, das einem toxischen Schocksyndrom ähnelt. Dieses wird häufig durch ein Superantigen eines Erregers ausgelöst, das die adaptive Immunantwort, vor allem T-Zellen, exzessiv stimuliert. T-Zellen sind ein wichtiger Bestandteil des Immunsystems und dienen der Erregerabwehr. Werden die Zellen zu stark aktiviert – etwa durch Superantigene –, können sie große Mengen an proinflammatorischen Zytokinen freisetzen und einen sogenannten Zytokinsturm auslösen.
Um zu untersuchen, ob auch SARS-CoV-2 ein solches Superantigen aufweist, haben Forscher um Professor Dr. Mary Hongying Cheng von der University of Pittsburgh School of Medicine die Interaktion zwischen dem Spike-Protein des Virus und humanen T-Zell-Rezeptoren mithilfe eines Computermodells analysiert. Die Analyse zeigte, dass eine Region des Spike-Proteins mit Superantigen-Eigenschaften mit T-Zellen interagiert.
Diese Region hat in Struktur und Aminosäuresequenz starke Ähnlichkeiten mit dem Staphylokokken-Enterotoxin B, einem bakteriellen Protein, das ein toxisches Schocksyndrom auslösen kann, berichten die Forscher im Fachjournal »PNAS«. Das vermeintliche SARS-CoV-2-Superantigen zeige eine hohe Affinität zu T-Zell-Rezeptoren (TCR) – ein erster Schritt zum Auslösen einer Hyperinflammation. Eine Analyse der TCR-Repertoires zeigte, dass Covid-19-Patienten mit einem schweren Verlauf eine TCR-Verschiebung aufweisen, dass also spezielle TCR das Repertoire dominieren, was auf einen Superantigen-Effekt hinweist.
Zusammengenommen zeigten die Daten, dass ein Teil des Spike-Proteins als Superantigen agieren könne und sowohl den bei einigen Erwachsenen beobachteten Zytokinsturm als auch das bei Kindern neu identifizierte Multisystem Inflammatorisches Syndrom (MIS-C) auslösen könne, heißt es in der Publikation. Das habe Implikationen für die Entwicklung von Therapien. So könnten Wirkstoffe bei MIS-C hilfreich sein, die auch gegen das toxische Syndrom eingesetzt werden, vor allem intravenöse Immunglobuline und Steroide. Außerdem infrage komme der mTOR-Inhibitor Rapamycin (Sirolimus), der bei Covid-19 bereits getestet wird.
Das Superantigen-ähnliche Motiv sei in anderen Coronaviren nicht vorhanden, was das besondere Potenzial von SARS-CoV-2 erkläre, Zytokinsturm und MIS-C auszulösen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.