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Projekt von AOK und Barmer

Software und Stationsapotheker sollen AMTS erhöhen

Mithilfe von Stationsapothekern und einer neuen Software soll in einem Pilotprojekt bei der Einweisung die aktuelle Gesamtmedikation von Krankenhauspatienten erfasst und geprüft werden, um so die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) zu erhöhen.
Daniela Hüttemann
11.01.2023  18:00 Uhr

Das gemeinsame Projekt von der Barmer und AOK steht für »Transsektorale Optimierung der Patientensicherheit« (TOP). Wie der Name sagt, geht es um die Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, und dabei in erster Linie um die Arzneimittelanamnese bei Krankenhausaufnahme. Es sollen Informationslücken mit einem software-basierten Medikationscheck und mithilfe von Stationsapothekerinnen- und -apothekern geschlossen werden. Die klinischen Pharmazeuten sollen darüber hinaus auch beim Entlassmanagement unterstützen, damit beim Wechsel zurück in die hausärztliche Betreuung keine Informationen verloren gehen. An dem vom Innovationsfonds geförderten Projekt nehmen bundesweit 14 Kliniken aus sechs Bundesländern teil, darunter vier Kliniken aus Brandenburg und zwei aus Berlin.

Die Barmer Berlin-Brandenburg und AOK Nordost informierten nun gemeinsam mit dem Klinikum Frankfurt (Oder), wie das auf vier Jahre angelegte Projekt ablaufen soll. Über die Software von RPDoc Solutions wird (Einverständnis des teilnehmenden Patienten vorausgesetzt) den Ärzten und Apothekern im Krankenhaus eine aktuelle Liste aller verordneten Arzneimittel der letzten 36 Monate inklusive Diagnosen zur Verfügung gestellt. Die Software weist automatisch auf Risiken wie Interaktionen und Doppelverordnungen hin. 

Anamnese kostet bislang viel Zeit

Patienten, die eine komplexe und riskante Arzneimitteltherapie erhalten, werden darüber hinaus am Klinikum Frankfurt zumindest in den chirurgischen Abteilungen durch  Stationsapotheker mit betreut. »Bislang sind wir als Apotheker nicht eingebunden bei der Arzneimittelanamnese, das machen die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen auf den Stationen«, sagt Stationsapothekerin  Ulrike Theilemann, die am Klinikum Frankfurt (Oder) Projektleiterin für TOP ist. 

Bislang hätten die Patienten beim Aufnahmegespräch im besten Fall ein Medikationsplan dabei. »Hier ist aber die große Frage, ob die Informationen aktuell und vollständig sind. Zudem sind die mündlichen Angaben vieler Patienten zu ihrer Medikation oft wenig konkret«, gibt Theilemann die Erfahrungen ihrer ärztlichen Kollegen weiter.

Um die genaue Medikation telefonisch beim Hausarzt und womöglich zusätzlich noch weiteren behandelnden Fachärzten zu erfragen, sei im Stationsalltag keine Zeit. Dies könne nur bei jenen Patienten realisiert werden, die keine oder nur sehr ungenaue Angaben zur ihrer Medikation machen können. »Bei den übrigen Patienten basiert die Arzneimittelanamnese auf Vertrauen«, so Theilemann – dementsprechend hoch ist das Risiko, dass Angaben fehlen oder nicht stimmen.

Stationsapotheker haken beim Patienten nach

Am Frankfurter Klinikum sollen das im Rahmen des TOP-Projekts nun die Stationsapotheker übernehmen. »Um erfolgreich mit der Software zu arbeiten, ist es für mich essenziell, den Patienten aufzusuchen und ihn unter anderem zu seiner Medikation und bereits aufgetretenen Nebenwirkungen zu befragen«, erklärt die Apothekerin. »Diese Informationen gebe ich in die Software ein. Auch privat erworbene, nicht verordnete Medikamente, die der Patient einnimmt, werden dabei erfasst.«

Mithilfe der von der Krankenkasse übermittelten Liste ließen sich eventuelle Lücken schließen. »Das gibt mir und meinen ärztlichen Kollegen die Sicherheit, dass wir eine vollständige und korrekte Aufnahmemedikation haben«, so Theilemann. »Dadurch können wir Wechselwirkungen zwischen der bisherigen Medikation des Patienten und den Medikamenten, die wir im Krankenhaus geben, wesentlich effektiver verhindern als bisher.«

So kann die Apothekerin zum Beispiel vermerken, dass ein Patient mit eingeschränkter Nierenfunktion nach einer Operation kein potenziell nierenschädigendes Schmerzmittel wie Ibuprofen bekommt. »Als Apothekerin würde ich in diesem Fall dem behandelnden Arzt empfehlen, ein alternatives Schmerzmittel anzuwenden, wie zum Beispiel Novalgin oder Tramadol.« 

Unnötige Komplikationen und Todesfälle vermeiden

»In der ambulanten Versorgung werden innerhalb eines Jahres 1.860 Wirkstoffe in 445.000 Kombinationen aus zwei Arzneimitteln verordnet. Diese Vielfalt kann kein Arzt ohne elektronische Unterstützung beurteilen«, so Gabriela Leyh, Landesgeschäftsführerin der Barmer Berlin/Brandenburg.

Beim TOP-Projekt komme nun eine Software mit dem gleichen Algorithmus zum Einsatz, wie zuvor im ADAM-Projekt der Barmer in Westfalen-Lippe (»Anwendung für digital unterstütztes Arzneimitteltherapie-Management«) sowie eLiSa (»electronic Life Saver«) von der AOK Nordost, teilte die Barmer der Pharmazeutischen Zeitung auf Nachfrage mit. Während das Programm bei ADAM und eLiSa den Ärzten ohne Beteiligung der Apotheken helfen sollte, einen Überblick über die verordnete Gesamtmedikation samt automatischen Medikationscheck zu bekommen, sind beim stationären Projekt nun erfreulicherweise die klinischen Pharmazeuten mitgedacht worden.

»TOP erhöht die Sicherheit für Patienten, die regelmäßig fünf Wirkstoffe und mehr einnehmen. Unnötige Komplikationen und Todesfälle aufgrund einer falschen Medikation können so vermieden werden«, hofft Ley. Laut Daniela Teichert, Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost, habe die Software bei 520 niedergelassenen Ärzten gut funktioniert.

Stationsapothekerin Theilemann betont: »Wenn das Projekt erfolgreich verläuft, bin ich mir sicher, dass wir die Patientensicherheit deutlich verbessern können. Das wollen wir erreichen, in dem wir uns durch das Projekt als Apotheker auf den Stationen etablieren. Dadurch können wir den Ärzten, den Pflegekräften und auch den Patienten mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn es um die Medikation geht. In einem Satz: Wir wollen die interprofessionelle Zusammenarbeit stärken, um die Arzneimitteltherapie in unserem Krankenhaus so sicher wie möglich machen zu können.«

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