Schmerzmittel als Risikofaktor |
Laura Rudolph |
15.02.2022 11:00 Uhr |
Schmerzmittel wie Ibuprofen vermindern die Synthese von Prostaglandinen, was bei sehr häufiger Einnahme hoher Dosen zu einer schlechteren Durchblutung des Innenohrs und Tinnitus führen kann. / Foto: Getty Images/Science Photo Library
Tinnitus bezeichnet die subjektive Wahrnehmung störender Ohrgeräusche ohne externe Quelle. Halten die Beschwerden länger als drei Monate an, spricht man von einem chronischen Tinnitus. Die Ursache bleibt meist im Dunkeln. Als ein möglicher auslösender Faktor wird die regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln diskutiert.
Forscher um Professor Dr. Sharon Ellen Curhan vom Brigham and Women's Hospital in Boston sind diesem Verdacht jetzt nachgegangen. Sie untersuchten über mehr als 20 Jahre an 69.455 Frauen, wie sich die regelmäßige Einnahme von rezeptfrei erhältlichen nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR), Paracetamol sowie selektiven COX-2-Hemmern (Coxibe) auf die Entwicklung eines chronischen Tinnitus auswirkt. Die Frauen nahmen an der Conservation of Hearing Study (CHEARS) teil, eine Längsschnittstudie, die Risikofaktoren für Tinnitus und Hörverlust untersucht. Die Teilnehmerinnen beantworteten vor Auftreten des Tinnitus Fragen zu ihrem persönlichen Schmerzmittelgebrauch. Die Studienergebnisse veröffentlichten die Forscherinnen und Forscher nun im »Journal of General Internal Medicine« (DOI: 10.1007/s11606-021-07349-5).
Demnach erhöhte die regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln gegenüber der nur gelegentlichen Anwendung das Tinnitus-Risiko deutlich: Bei Frauen unter 60 Jahren, nicht jedoch bei älteren, korrelierte die Einnahme von Acetylsalicylsäure (ASS) in mittlerer, schmerzstillender Dosierung an sechs bis sieben Tagen in der Woche mit einem um 16 Prozent erhöhten Risiko. Andere NSAR und Paracetamol waren unabhängig vom Alter der Studienteilnehmerinnen bei regelmäßiger Einnahme mit einem fast 20 Prozent erhöhten Risiko assoziiert, das mit häufigerer Einnahme tendenziell stieg. Auch bei regelmäßigem Gebrauch von Coxiben betrug die Risikoerhöhung etwa 20 Prozent. Niedrig dosierte ASS (100 mg), wie sie bei täglicher Einnahme zur Primär- und Sekundärprophylaxe kardiovaskulärer Ereignisse zum Einsatz kommt, beeinflusste das Risiko dagegen nicht.
Als Beobachtungsstudie war die Untersuchung nicht darauf ausgerichtet, einen kausalen Zusammenhang zwischen der Schmerzmitteleinnahme und dem chronischen Tinnitus zu zeigen. Dennoch mutmaßen die Autoren über mögliche Gründe für das Ergebnis. Demnach könnten Salicylate wie ASS, die die Blut-Hirn-Schranke überwinden, im zentralen Nervensystem die schallinduzierte neuronale Aktivität in den Hörbahnen beeinflussen. Bei anderen NSAR und Coxiben vermuten die Autoren dagegen die verminderte Synthese von Prostaglandin E als Mechanismus, da dieses die Durchblutung der Cochlea (Hörschnecke) verbessert. Paracetamol schließlich baue das protektive Tripeptid Gluthathion ab, welches der Körper für Entgiftungsprozesse nutzt. In der Folge resultierte eine größere Anfälligkeit der Cochlea gegenüber schädlichen Substanzen.
Alles in allem unterstreicht diese Studie erneut, dass Schmerzmittel nicht häufiger als notwendig eingenommen werden sollten, um gesundheitliche Risiken zu vermeiden. Die Dosen, die sich hier als problematisch erwiesen haben, sind allerdings fast schon als exzessiv zu bezeichnen, sodass Patienten, die ihre Schmerzmittel bestimmungsgemäß anwenden, dadurch nicht beunruhigt werden sollten.