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Respiratory Syncytial Virus

Säuglinge besonders betroffen

Fachgesellschaften rufen derzeit Atemwegsinfektionen durch das Respiratory Syncytial Virus (RSV) ins Gedächtnis. Diese könnten in den kommenden Monaten häufiger auftreten. Was ist das für ein Virus, welche Symptome löst es aus, wie behandelt man und was gibt es zu Medikamenten und Impfstoffen zu sagen?
Sven Siebenand
03.09.2021  09:08 Uhr

Das RSV ist ein weltweit verbreiteter Erreger von akuten Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege in jedem Lebensalter und einer der bedeutendsten Erreger von Atemwegsinfektionen bei Säuglingen, insbesondere Frühgeborenen, und Kleinkindern. Bis zu ihrem zweiten Geburtstag infizieren sich nahezu alle Kinder erstmals mit RSV. Mehrfache Infektionen im Leben sind möglich und häufig.

Bei RSV handelt sich um ein umhülltes Einzelstrang-RNA-Virus. Die Übertragung des Erregers erfolgt vor allem durch Tröpfcheninfektion. Die Inkubationszeit der RSV-Infektion beträgt durchschnittlich fünf Tage. Infizierte Personen können schon am Tag nach der Ansteckung infektiös sein. Die Dauer der Ansteckungsfähigkeit liegt in der Regel bei drei bis acht Tagen.

RSV-Atemwegsinfektionen treten vermehrt in den Wintermonaten, in Deutschland meist zwischen November und März auf. In der nördlichen Hemisphäre erstreckt sich der Gipfel der RSV-Saison in der Regel über vier bis acht Wochen und liegt meist im Januar und Februar. Durch den Lockdown in der Pandemie und die getroffenen Hygienemaßnahmen fiel die RSV-Saison zuletzt deutlich schwächer aus als in den Vorjahren. Modellrechnungen deuten jedoch darauf hin, dass es in den kommenden Wintern zu großen RSV-Ausbrüchen kommen kann, da viele Kinder noch nicht immunisiert sind. In mehreren Ländern wurde bereits in den vergangenen Wochen ein für die Sommermonate untypischer Anstieg an Krankenhausaufnahmen von Kindern mit RSV-bedingten Atemwegsinfektionen beobachtet. In Deutschland ist zwar noch kein solcher Anstieg erkennbar, jedoch gibt es auch hierzulande für die Jahreszeit untypische Einzelnachweise.

Symptome und Risikogruppen

Typische Symptome einer RSV-Infektion sind laufende Nase, Husten, Niesen, Fieber, Halsschmerzen, schnelle Atmung und Atemnot. Diese unspezifischen Symptome treten in der Regel schubweise und nicht alle gleichzeitig auf. Gesichert wird die Diagnose einer RSV-Infektion durch einen PCR- oder Antigen-Test.

Oft geht von einer RSV-Infektion keine große Gefahr aus. Vor allem bei Säuglingen in den ersten Lebensmonaten kann die Infektion aber leicht von den oberen auf die unteren Atemwege übergreifen und zum Beispiel eine Lungenentzündung hervorrufen. Bei Frühgeborenen bilden die verzögerte Lungenreifung und der geringe immunologische Nestschutz eine besondere Risikokonstellation für schwer verlaufende RSV-Infekte. Zu den Personen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf zählen auch Kinder mit Vorerkrankungen der Lunge oder Herzfehlern sowie Erwachsene mit Vorerkrankungen des Herzens oder der Lunge. Zudem sind immungeschwächte Personen grundsätzlich auch bei dieser Infektion stärker gefährdet. Exazerbationen einer Grunderkrankung sind bei vorerkrankten Menschen zu befürchten sowie Langzeitkomplikationen der Infektion wie wiederkehrende Verengungen und eine Übererregbarkeit der Atemwege. Eine häufige Komplikation einer RSV-Infektion ist übrigens eine akute Mittelohrentzündung.

Therapie heute und morgen

Eine wirksame, gegen die Ursache gerichtete Therapie der RSV-Infektion gibt es bis dato nicht. Das Robert-Koch-Institut informiert auf seiner Website, dass als antivirale Therapie nur die kaum noch durchgeführte inhalative Ribavirin-Behandlung zur Verfügung stehe. »Eine virostatische Wirkung von Ribavirin wurde in vitro nachgewiesen, in placebokontrollierten Studien zeigte sich bislang kein eindeutiger günstiger Effekt auf die Häufigkeit der Beatmungspflicht, die Dauer der intensivmedizinischen Therapie oder des Krankenhausaufenthaltes bei einer RSV-induzierten Erkrankung und auf die Entwicklung einer Pneumonie. Die Ribavirin-Therapie wird daher nicht mehr empfohlen.«

In der Pipeline befinden sich einige neue Substanzen. JNJ-53718678 ist beispielsweise ein Fusions-Inhibitor mit selektiver Aktivität gegen RSV. Er bindet an das F-Protein der Virushülle. Dieses Protein spielt für das Verschmelzen der Hülle mit der Zellmembran eine wichtige Rolle und ist auch für die Synzytien-Bildung (Kasten) von Bedeutung.  Der Wirkstoff wird in Phase II klinisch getestet. Ebenfalls Fusionshemmer dieser Art sind Ziresovir (AK0529) und Presatovir.

Bislang erfolgt die Behandlung aber symptomorientiert. Dazu gehören eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr und ein Freihalten des Nase-Rachen-Raums mit Kochsalz-Nasenspülungen oder Nasentropfen. Bei einem schweren Verlauf kann eine Sauerstoffgabe, Atemunterstützung oder Intubation und Beatmung unter stationärer Überwachung notwendig sein.

Passive Immunisierung mit Antikörpern

Für Frühgeborene (35. Schwangerschaftswoche oder früher), die zu Beginn der RSV-Saison jünger als sechs Monate sind, und für Kinder unter zwei Jahren mit bestimmten Vorerkrankungen der Lunge oder des Herzens steht seit mehr als 20 Jahren der gegen RSV gerichtete Antikörper Palivizumab (Synagis®) für eine passive Immunisierung zur Verfügung. Der monoklonale Antikörper bindet an RSV und verhindert so, dass es gesunde Wirtszellen infiziert und sich weiter ausbreitet.

Palivizumab wird während der RSV-Saison alle vier Wochen in einer empfohlenen Dosierung von 15 mg/kg Körpergewicht intramuskulär in den Oberschenkel verabreicht. Die erste Dosis sollte nach Möglichkeit schon vor Beginn der Saison gegeben werden, um den Schutz rechtzeitig aufzubauen. In der Regel decken fünf Injektionen die Infektsaison ab, letztlich orientiert sich die Beendigung der Prophylaxe aber an der Zirkulation des Virus und macht gegebenenfalls weitere Injektionen erforderlich.

Mit Nirsevimab befindet sich ein weiterer Antikörper in der Entwicklung. Er bindet an eine hoch konservierte Region des RSV-Fusionsproteins und besitzt eine besonders lange Halbwertszeit, sodass der Schutz nach einer Einzeldosis mehrere Monate anhalten könnte.

Impfstoffe in der Entwicklung

Auch mehrere Impfstoffprojekte laufen. Janssen prüft zum Beispiel einen vektorbasierten Impfstoff bei Über-60-Jährigen in einer Phase-III-Studie. GSK testet in zwei weiteren Phase-III-Studien mögliche Vakzinen bei Über-60-Jährigen beziehungsweise bei Schwangeren. Auch Pfizer befindet sich mit dem Kandidaten RSVpreF in Phase III. Wenig überraschend sind auch mRNA-Impfstoffe im Gespräch. Moderna, Hersteller des Covid-19-Impfstoffs Spikevax®, testet beispielsweise mit mRNA-1345 einen Impfstoffkandidaten in Phase I, unter anderem auch bei Kindern.

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