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Arzneimittel-Engpässe

Sachverständigenrat will Vergütung an Bevorratung koppeln

Deutschland sollte an seiner Bevorratung lebenswichtiger Medikamente arbeiten, um für künftige Krisen besser gerüstet zu sein. Der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege (SVR) hat heute bei der Präsentation seines neuen Gutachtens unter anderem aufgezeigt, wo es bei der Arzneimittelversorgung hierzulande hakt.
Jennifer Evans
19.01.2023  15:00 Uhr

Die Coronavirus-Pandemie und der Ukraine-Krieg sind nur einige der Herausforderungen, die Deutschland in den vergangenen Jahren zu meistern hatte. »Für Krisen sind wir nicht gut gewappnet«, so das Fazit von Professor Ferdinand Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrats Gesundheit und Pflege (SVR). Und die Selbstwahrnehmung einer guten Organisation sei trügerisch gewesen, betonte er anlässlich der Vorstellung des neuen SVR-Gutachtens »Resilienz im Gesundheitswesen. Wege zur Bewältigung künftiger Krisen« am heutigen Donnerstag in Berlin

Aus Sicht des Rats steht fest, dass unser Gesundheitssystem nur funktionieren kann, wenn in Zukunft eine ausreichende Versorgung mit Arzneimitteln, Medizinprodukten und Schutzausrüstung gewährleistet ist. »Ein resilientes Gesundheitssystem sollte in der Lage sein, vorübergehende Lieferengpässe auszugleichen und einen erhöhten oder speziellen Bedarf im Krisenfall kurzfristig zu decken«, heißt es in dem Gutachten. Dazu gehören nach Auffassung des SVR nicht nur etwaige Stabilisierungsstrategien, sondern auch die Bevorratung mit »relevanten Arzneimitteln« sowie das Sicherstellen von Produktionskapazitäten. Dies könnte durch entsprechende Klauseln in Rabattverträgen oder durch verpflichtende Bevorratungsvorgaben geregelt werden. Wer sich nicht daran hält, sollte nach Auffassung des SVR auch mit Sanktionen rechnen müssen. Zu bevorzugen ist demnach eine dezentrale Reserve von Medikamenten, die regelmäßig erneuert wird. Und um die Arzneimittel-Lieferketten stärker zu diversifizieren, kann sich der SVR übrigens in Zukunft auch Ausschreibungen für Brasilien, USA, Afrika und Australien vorstellen. Zentral ist seiner Ansicht nach ein globaler Ansatz und nicht nur ein europäischer.

Mehr Kooperationen, Back-ups und Anreize

Damit in Zukunft die Ausfallrisiken globaler Lieferketten weniger werden, schlägt der Rat eine »zumindest partiell regionale Beschaffung« sowie eine »verstärkte globale Kooperation« vor. In diesem Zusammenhang ist die Rede von Multiple Sourcing, also das gleiche Produkt von mehreren Zulieferern zu beziehen, und Nearshoring, sprich Zulieferer mit nahegelegenen Produktionsstandorten vorzuziehen, um die Transportwege möglichst kurz zu halten. Auch Schlagworte wie hybride Systeme, Back-up-Lieferanten, Kooperation mit dem Privatsektor, Kapazitätszahlungen und Leistungsanreize fallen in dem Gutachten. »Ein Teil der Vergütung und die Betriebsgenehmigung von Leistungserbringern sollte an die Einhaltung von Bevorratungspflichten gekoppelt werden«, schlägt der SVR vor.

Auch plädiert er für ein europaweites, verpflichtendes elektronisches Meldesystem für die Beschaffung und Verfügbarkeit von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie die Bevorratung eines Mindestbestands. Nicht zuletzt macht Gerlach deutlich, dass in allen Bereichen des Gesundheitssystems Personal knapp ist und überall dringend aufgestockt werden sollte.

BMG fühlt sich bestätigt

Lob erntete das Gutachten heute bereits von Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD). Seiner Auffassung nach geben die Analysen Rückenwind für seine geplanten Reformen. »Wir ordnen die Krankenhausstruktur neu, machen Arzneimittelversorgung sicherer, sorgen mit niederschwelligen Angeboten für gute Medizin für alle«, sagte er.

Dem SVR gehen die derzeitigen Pläne aus dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) mit Blick auf das geplante Lieferengpassgesetz aber noch nicht weit genug. Demnach sollte die geplante Liste krisenrelevanter Arzneimittel deutlich länger und auch mit der Weltgesundheitsorganisation WHO abgestimmt sein. 

 

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