Rückschlag für Lopinavir/Ritonavir |
Schwer kranke Covid-19-Patienten müssen oft mit Sauerstoff versorgt werden. / Foto: Getty Images/Taechit Taechamanodom
Dr. Bin Cao und Kollegen vom Zentrum für Lungenheilkunde der Universität Peking hatten bereits im März mit den ersten Analysen einer Studie zu Lopinavir/Ritonavir bei schwer erkrankten Covid-19-Patienten gedämpft. In der aktuellen Ausgabe des »New England Journal of Medicine« (NEJM) haben sie nun die endgültigen Ergebnisse veröffentlicht, die nicht besser ausfallen. Basis dieser Arbeit ist eine randomisierte, kontrollierte, offene Studie an hospitalisierten erwachsenen Patienten, die schwer an Covid-19 erkrankt waren. Die Sauerstoffsättigung der Patienten betrug 94 Prozent oder weniger, während sie normal atmeten. Alternativ betrug das Verhältnis des Sauerstoffpartialdrucks zum Anteil des eingeatmeten Sauerstoffs weniger als 300 mm Hg.
Die 199 Patienten wurden in zwei Gruppe randomisiert. Die eine Gruppe mit 99 Patienten erhielt Lopinavir/Ritonavir (400 mg / 100 mg) zweimal täglich über 14 Tage zusätzlich zur Standardtherapie. Die restlichen 100 Patienten bekamen die supportive Standardbehandlung. Als primärer Endpunkt war die Zeit bis zur klinischen Besserung festgelegt worden. Diese war als die Zeit von der Randomisierung entweder bis zu einer Verbesserung um zwei Punkte auf einer siebenstufigen Skala oder bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus definiert, je nachdem, welches Kriterium zuerst erreicht wurde.
Die Ergebnisse der Studie waren enttäuschend. So konnte hinsichtlich der Zeit bis zu einer klinischen Besserung kein signifikanter Unterschied zwischen der Behandlung mit Lopinavir/Ritonavir und der Standardbehandlung festgestellt werden (Hazard Ratio für die klinische Verbesserung: 1,31). Die Mortalitätsrate nach 28 Tagen war in beiden Behandlungsgruppen ähnlich (19,2 Prozent versus 25,0 Prozent). Auch die Prozentsätze der Patienten mit nachweisbarer viraler RNA zu verschiedenen Zeitpunkten waren sehr ähnlich.
In einer modifizierten Intention-to-Treat-Analyse war die mediane Zeit bis zur klinischen Besserung in der Gruppe, die mit Lopinavir/Ritonavir behandelt wurde, um einen Tag kürzer im Vergleich zu der Gruppe, die nach Standard behandelt wurde (Hazard Ratio 1,39).
Unerwünschte gastrointestinale Ereignisse traten häufiger in der Lopinavir/Ritonavir-Gruppe auf, während schwerwiegende unerwünschte Ereignisse in der Gruppe, die nach Standard behandelt wurden, häufiger waren. Die Behandlung mit Lopinavir/Ritonavir wurde bei 13 Patienten (13,8 Prozent) wegen unerwünschter Ereignisse vorzeitig abgebrochen.
Die Autoren resümieren, dass eine Therapie schwer erkrankter Covid-19-Patienten mit der Wirkstoffkombination Lopinavir/Ritonavir keinen über die Standardbehandlung hinausgehenden Nutzen zeigt. Selbstkritisch geben die Autoren zu Bedenken, dass eventuell die Behandlung zu spät im Verlauf der Krankheit initiiert wurde. Daher seien weitere Studien erforderlich, um eine abschließende Abschätzung des Potentials der Therapie mit der Wirkstoffkombination Lopinavir/Ritonavir zu ermöglichen.
Die Studie blieb nicht unwidersprochen. Alleine fünf Kommentare sind begleitend zu der Publikation abgedruckt. Die Autoren selbst sprechen davon, dass sie sehr viele Nachrichten aus der ganzen Welt erhalten haben. Sie empfehlen behandelnden Ärzten, selber die Daten auszuwerten und dann zu entscheiden, ob sie die Wirkstoffkombination einsetzen, oder auch zu dem Schluss kommen, dass der mögliche Benefit der Therapie marginal ist.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.