Remdesivir-Studie an acht deutschen Kliniken |
Daniela Hüttemann |
08.04.2020 14:50 Uhr |
Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit experimenteller Covid-19-Medikamente werden derzeit weltweit fieberhaft generiert und ausgewertet. / Foto: Getty Images/Sompong Rattanakunchon
Remdesivir gilt als einer der größten Hoffnungsträger für ein antivirales Medikament, dass gegen SARS-CoV-2-Viren hilft. »Gilead hat Remdesivir entwickelt und bereits vor mehr als zehn Jahren begonnen, die antivirale Aktivität dieses Arzneimittels zu erforschen. Wir sind jetzt in der Lage, das Potenzial von Remdesivir zur
Behandlung von Covid-19 zu untersuchen und die weitere Entwicklung rasch voranzutreiben«, so Dr. Karsten Kissel, Medizinischer Direktor von Gilead Sciences Deutschland. Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in den USA.
Im Rahmen des SIMPLE-Programms sollen zwei randomisierte, offen Phase-III-Studien die Sicherheit und Wirksamkeit von zwei intravenös verabreichten Anwendungsregimen von Remdesivir untersuchen. Sie sind registriert unter den Kürzeln NCT04292899 und NCT04292730. In der Anfangsphase sollen rund 1.000 stationär aufgenommene Patienten mit bestätigter SARS-CoV-2-Infektion in Ländern mit hoher Prävalenz von Covid-19 eingeschlossen werden. In Deutschland sind dies die Charité – Universitätsmedizin Berlin, das Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, die München Klinik Schwabing, das Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart, das Universitätsklinikum Düsseldorf, das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, das Klinikum St. Georg, Leipzig sowie das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel.
»In der ersten der beiden SIMPLE-Studien werden Sicherheit und Wirksamkeit einer jeweils 5- und 10-tägigen Anwendung von Remdesivir an Patienten mit schweren Manifestationen der Covid-19 Infektion untersucht«, teilte Gilead mit. In der zweiten SIMPLE-Studie sollen dagegen Patienten mit einer mittelgradigen Ausprägung teilnehmen. Auch sie erhalten Remdesivir entweder über fünf oder zehn Tage zusätzlich zur Standardbehandlung. Beide Studien sind nicht placebokontrolliert, sondern vergleichen den klinischen Verlauf im Vergleich zur alleinigen Standardbehandlung, die supportive Maßnahmen wie den Einsatz von Glucocorticoiden und Beatmung umfasst.
Wie das UKE heute während einer Pressekonferenz mitteilte, werden dort seit vergangener Woche Covid-19-Patienten im Rahmen von Studien mit Remdesivir behandelt. Konkrete Patientenzahlen wollte die Infektiologin Professor Dr. Marylyn Addo nicht nennen. Bislang sei das Medikament jedoch gut vertragen worden und sie seien zufrieden mit den klinischen Verläufen. Noch könne jedoch nicht gesagt werden, ob dies dem Medikament oder dem natürlichen Erkrankungsverlauf geschuldet sei. Mit ersten Zwischenergebnissen rechnet die Ärztin in sechs bis acht Wochen.
Remdesivir ist noch nirgendwo auf der Welt zugelassen. Die Substanz ist ein Nukleotid-Analogon mit antiviraler Breitband-Aktivität. Es soll die Replikation von Viren zum Stillstand bringen. Laut Gilead hat es sich in vitro und in Tiermodellen gegen verschiedene neuere Viren einschließlich Marburg, MERS, SARS-1 und Ebola als wirksam erwiesen. Die begrenzten präklinischen Daten bei MERS und SARS-1, die eng verwandt mit SARS-CoV-2 sind, deuteten auf eine potenzielle Wirksamkeit gegen das neue Coronavirus hin.
Neben den SIMPLE-Studien laufen bereits mehrere andere Studien, in der Remdesivir allein oder auch noch andere Wirkstoffe mit Potenzial bei Covid-19 klinisch geprüft werden, zum Beispiel die SOLIDARITY-Studie der WHO, die europaweit stattfinden wird. Darüber hinaus können schwer kranke Covid-19-Patienten stationär theoretisch auch ohne Studienteilnahme mit den experimentellen Wirkstoffen behandelt werden, im Rahmen eines individuellen Heilversuchs. Ist das Medikament noch nicht zugelassen, kann die behandelnde Klinik normalerweise individuell einen Antrag auf Compassionate Use beim Hersteller stellen.
Am 3. April hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für Remdesivir das Arzneimittel-Härtefallprogramm »Expanded Access Treatment Protocol: Remdesivir (RDV; GS-5734) for the Treatment of SARS-CoV2 (CoV) Infection« bestätigt. Darauf weist Gilead in seiner Pressemitteilung ebenfalls hin. Auf der BfArM-Homepage ist der entsprechende Kontakt zum Unternehmen zu finden. Anträge für Remdesivir sollen nun über dieses strukturierte Programm gestellt werden. Der reguläre Compassionate Use ist nur noch für Kinder und Schwangere vorgesehen. Die Hamburger Infektiologin Addo sagte im heutigen UKE-Pressegespräch, Patienten würden derzeit nur im Rahmen klinischer Studien mit experimentellen Substanzen behandelt. Den Compassionate Use habe man zugunsten der Studien zurückgefahren.
Die EMA hat erst vor Kurzem Empfehlungen gegeben, wie Remdesivir eingesetzt werden soll. Aufgrund der derzeit sehr hohen Antragszahl hatte Gilead Ende März angekündigt, seinen Wirkstoff nur noch über strukturiere Programme der einzelnen Staaten zur Verfügung zu stellen. Bereits seit Januar habe Gilead seine Remdesivir-Produktion stark ausgeweitet, teilte CEO Daniel O‹Day mit. Die Synthese erfordere mehrere Schritte und basiere auf teils knappem Ausgangsmaterial. Der aktuelle Bestand an bereits fertigem Produkt und Substanz in finalen Produktionsschritten betrage derzeit bis zu 1,5 Millionen Dosen, teilte der Gilead-Chef am 4. April mit. Das Unternehmen will diese kostenlos im Rahmen von klinischen Studien, Härtefallprogramm und Compassionate Use zur Verfügung stellen. Je nach Behandlungsregime könnte dieser Vorrat für 140.000 Patienten reichen.
Bis Oktober soll genug für 500.000 Behandlungszyklen produziert sein, bis Ende des Jahres für mehr als eine Million. Dafür widmet Gilead derzeit viele seiner Produktionslinien um und arbeitet mit anderen pharmazeutischen und chemischen Herstellern zusammen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.