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Phytopharmaka

Prophylaxe mit Pflanzen

Pflanzliche Antiinfektiva, gibt es die überhaupt? Professor Dr. Robert Fürst vom Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Frankfurt sieht das kritisch. Dennoch ist einigen pflanzlichen Arzneimitteln ein gewisser Effekt bei Infekten nicht abzusprechen.
Elke Wolf
04.11.2020  07:00 Uhr

»Wir sollten mit den Begriffen Antibiotika, Antiinfektiva oder Virustatika vorsichtig umgehen. Im strengen Sinn gibt es kein pflanzliches Antibiotikum und auch kein pflanzliches Antiinfektivum. Die Begriffe sind sozusagen besetzt. Ich habe da große Bauchschmerzen, wenn man die sehr spezifischen Angriffspunkte der Antibiotika zusammen in einen Topf mit den Wirkmechanismen der pflanzlichen Präparate wirft«, macht Fürst klar. Dennoch dürfe man den Phytopharmaka nicht ihre Domäne absprechen, wo sie sie wirklich haben. »So gibt es verschiedene Stoffklassen, die hemmend auf das Wachstum von Bakterien wirken. Das sind vor allem Gerbstoffe, ätherische Öle und Senfölglykoside.«

In der Tat sind es allen voran Senföl-haltige Zubereitungen, die über ein antimikrobielles Wirkspektrum verfügen. Angocin® Anti-Infekt N, eine Kombination aus den gepulverten Drogen Kapuzinerkressekraut und Meerrettichwurzel, kommt zur Prophylaxe von immer wiederkehrenden unkomplizierten Harnwegs- und Atemwegsinfekten zum Einsatz. Die enthaltenen organischen Isothiocyanate dürften daran einen erheblichen Anteil haben. Die Fixkombination verfügt über eine günstige Datenlage und das hat ihr eine Empfehlung in der aktuellen S3-Leitlinie zu unkomplizierten Harnwegsinfektionen eingebracht.

Was Erkältungskrankheiten betrifft, hat die gepulverte Drogenmischung laut Fürst eine aussagekräftige Studie zur Prophylaxe vorzuweisen. »Dieses Präparat verfügt über eine wirklich ordentliche Studie mit mehreren hundert Personen, die das vorbeugende Potenzial gegen Infekte in der Erkältungssaison beweist. Danach gab es 40 Prozent weniger Erkältungen in der Verumgruppe.« Für die Indikationen Bronchitis und Sinusitis sieht Fürst dagegen keine gute Evidenzbasis. Für die Prophylaxe ist Angocin nicht zugelassen.

Nachteil des Präparates: Dadurch, dass es sich nicht um einen Extrakt, sondern um die gepulverten Drogen handelt, sind relativ viele Tabletten einzunehmen. »Hier könnte die Herstellerfirma nachlegen und zum Extrakt übergehen.« Eine HMPC-Monographie des Ausschusses für pflanzliche Arzneimittel bei der Europäischen Arzneimittelzulassungsbehörde EMA zu dieser Mischung gibt es nicht.

Evidenz für Echinacea?

Eine der bekanntesten Heilpflanzen in der Vorbeugung von Atemwegsinfekten ist der Sonnenhut. Dabei scheint es weniger sein antimikrobielles und antivirales, sondern eher sein immunmodulierendes Wirkvermögen zu sein, das Extrakt- beziehungsweise Produkt-spezifisch relativ annehmbare Daten liefert. »Die Studienlage ist zwar nicht hervorragend, doch es ist daraus eine gewisse Evidenz für das Abfangen eines Infekts zu Beginn einer Erkältung abzuleiten«, informiert der Fachmann. So sind die Presssäfte und die getrockneten Presssäfte aus dem frischen Kraut des Purpursonnenhuts mit einem Droge-Extrakt-Verhältnis (DEV) von 1,5 – 2,5:1 positiv zu bewerten (wie Echinacin®, Esberitox® mono, Episcorit®, Echinacea ratiopharm). Die HMPC-Monographie vergibt Echinacea purpurea herba auch ein Well-established-Use mit Bezug auf diesen Extrakt. Alle anderen Zubereitungen wie aus E. pallidae radix oder E. angustifolia radix sind lediglich Arzneizubereitungen nach traditioneller Anwendung.

»Echinacea hat ein gewisses Problem. Die Präparategruppe ist extrem heterogen. Und auch im Cochrane-Review von 2014, einer großen Metaanalyse, werden Äpfel mit Birnen verglichen und alles ausgewertet, was die Gattung Echinacea betrifft. So werden etwa das Kraut des Purpursonnenhuts (Echinacea purpurea herba), die Wurzeln des Blassfarbenen Sonnenhuts (E. pallidae radix) und Drogen aus dem Schmalblättrigen Sonnenhut (E. angustifolia) miteinander verglichen, außerdem Kombinationen davon, verschiedene Auszüge bis hin zum CO2-Auszug oder Presssäfte. So ist es schwierig, klare Aussagen zu machen.« Unterschiedliche Pflanzen, von denen unterschiedliche Pflanzenteile zu unterschiedlichen Zubereitungen verarbeitet werden, bringen zwangsläufig unterschiedliche Anteile bioaktiver Substanzen mit sich. »So wundert es nicht, dass die Metaanalyse zu folgendem Ergebnis kam: nur ein geringer Effekt bei der Prävention und kein Effekt bei der Therapie.«

Um grippalen Infekten vorzubeugen beziehungsweise sie zu Beginn noch abzufangen, empfiehlt der Apotheker: »Die Sonnenhut-Präparate sind kurzzeitig, etwa für zehn Tage, ab dem geringsten Anflug von Erkältungszeichen einzunehmen. Diese Art Stoßtherapie lässt erwarten, den Infekt ein bis zwei Tage früher überstanden zu haben.« Mehr könne man auch nicht erwarten, rückt Fürst überzogene Erwartungen zurecht. »Da Erkältungen selbstlimitierend verlaufen, kämpfen die Hersteller immer gegen die Zeit. Außerdem gibt es immer einen ausgeprägten Placeboeffekt. Es geht dabei meist um Scores wie die Symptomverteilung und Intensität, nicht um harte Messparameter. Bei selbstlimitierenden Erkrankungen ist es gar nicht so einfach, gute Effekte in Studien nachweisen zu können.«

Zur unterstützenden Therapie viraler Erkältungskrankheiten verweist Fürst auch auf einen Trockenextrakt (DEV 4 – 9:1, Auszugsmittel 30 Prozent Ethanol) aus einer Mischung von vier verschiedenen pflanzlichen Drogen, die das Immunsystem anregen: Esberitox® besteht aus dem Wurzelstock der Färberhülse (Baptisia tinctoria), den Wurzeln des Purpursonnenhuts und des Blassfarbenen Sonnenhuts und den Spitzen und Blättern des Lebensbaums (Thuja occidentalis). Esberitox® hat eine gute Studie vorzuweisen, die die Verkürzung der Infektionsdauer um ein bis zwei Tage und die Senkung der Symptomlast zeigt, erklärt der Phytopharmaka-Experte. Ob die Fixkombination auch für die Prävention sinnvoll ist, ist nach Fürsts Aussagen unklar, da es hierfür keine klinischen Daten gibt.

Immunmodulierend

Als weiteren immunmodulierenden, antibakteriell und antiviral wirksamen Extrakt nannte der Experte den von Pelargonium sidoides (Umckaloabo®). »Doch auch hier scheint sich das Wirkprinzip nicht auf einen Mechanismus zu reduzieren, sondern eher ein synergistisches Zusammenspiel mehrerer Wirkkomponenten zu sein. Ganz genau ist die Wirkweise noch nicht entschlüsselt.«

Zahlreiche randomisierte Doppelblindstudien bestätigen dem Pelargonium-Extrakt EPs® 7630, dass sowohl Erwachsene als auch Kinder mit akuter Bronchitis ab einem Jahr von der Einnahme profitieren. Der Spezialextrakt reduziert Hustenattacken und Sputum und verkürzt die Krankheitsdauer signifikant um 2 bis 2,5 Tage. Zudem ist der Extrakt in der Lage, die mit Infekten einhergehenden Begleiterscheinungen wie Antriebslosigkeit, Schläfrigkeit oder Appetitlosigkeit – auch Sickness Behaviour genannt - signifikant zu reduzieren. Ob das auf die immunmodulierende Wirkkomponente zurückzuführen ist, ist unklar. Für die Prophylaxe hat der Pelargonium-Extrakt keine Zulassung. Die Dosierung sollte bei täglich 60 bis 90 mg liegen und die Anwendungsdauer maximal drei Wochen betragen. Patienten mit Leberproblemen verzichten besser auf die Einnahme.

»Ich sehe in dem Extrakt EPs® 7630 mehr Potenzial, eben nicht nur die Indikation Bronchitis.« So gibt es nach den Worten Fürsts eine kleine doppelblinde randomisierte placebokontrollierte Studie für die Indikation Tonsillopharyngitis bei Kindern, »deren Daten beeindruckend sind. Die 78 mit Verum behandelten Kinder sind nach einer Woche annähernd symptomfrei.«

Tatsächlich zeigte sich eine deutliche Überlegenheit von EPs® 7630 über Placebo am Tag zwei, vier und sechs. In der abschließenden Auswertung betrug die Rate der Patienten mit erfolgreicher Therapie 90 Prozent in der EPs® 7630-Gruppe gegenüber 44,7 Prozent in der Placebogruppe. Eine weitere Indikation für die Umckaloabo® derzeit keine Zulassung besitzt, ist die bakterielle Rhinosinusitis, obwohl es laut Fürst interessante Studiendaten gibt.

 

Kapuzinerkresse / Foto: PZ/Wolf
Meerrettich / Foto: Adobe Stock/TwilightArtPictures
Purpursonnen­hut / Foto: Your Photo Today
Kapland-Pelargonie / Foto: Schwabe

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