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Geschlechtskrankheiten

Prophylaxe mit Antibiotika?

Sexuell übertragbare Krankheiten (STD) sind wieder auf dem Vormarsch. Eignen sich Antibiotika, im Sinne einer Präexpositionsprophylaxe STD vor­zubeugen? Einem potenziellen Nutzen stehen Nebenwirkungen und nicht zuletzt Resistenzen gegenüber.
Nicolas Koslowski
Guido Schäfer
15.01.2020  08:00 Uhr

Weltweit wurde in den vergangenen Jahren eine Zunahme bakterieller, sexuell übertragbarer Krankheiten beobachtet, insbesondere bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM). Belegt ist ein Zusammenhang mit einer verbesserten Kontrolle der HIV-Infektion durch medikamentöse Vorbeugemaßnahmen nach dem Prinzip des Schutzes durch Therapie (Treatment as Preven­tion) und der Präexpositionsprophylaxe (PrEP). Mit Letzterer soll eine Neuinfektion HIV-negativer Menschen verhindert werden, indem diese regelmäßig ein Kombipräparat aus Tenofovir und Emtricitabin einnehmen. Studien zeigen, dass HIV-PrEP-Nutzer seltener Kondome verwenden und bei ihnen die Gefahr der Infektion mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten steigt.

Zu den häufigsten STD zählen die Chlamydien-Infektion, die Gonorrhö und die Syphilis. Während Gonokokken bereits weitestgehend resistent gegen Doxycyclin sind, ist das Tetracyclin der zweiten Generation Mittel der Wahl zur Behandlung von Chlamydien und in der Behandlung der Syphilis eine bevorzugte Alternative bei Penicillin-Aller­gien. Darüber hinaus kann es auch zur Behandlung anderer bakterieller STD eingesetzt werden.

Eignet sich Doxycyclin auch zur Prophylaxe dieser Erkrankungen? Dafür spricht, dass der Arzneistoff ein breites Wirkspektrum mit Abdeckung intrazellulärer und atypischer Erreger und eine hohe orale Bioverfügbarkeit hat. Die typischen unerwünschten Arzneimittelwirkungen wie gastrointestinale Störungen und Phototoxizität sind in der Praxis nur selten der Grund für mangelnde Adhärenz und vor allem bei einer einmaligen Gabe nicht von großer klinischer Bedeutung. Die tägliche Einnahme von Doxycyclin über mehrere Wochen wird in der Malaria-Prophylaxe (in Deutschland off Label) mit gutem Erfolg eingesetzt und von Leitlinien empfohlen. Auch in anderen Indikationen wie Akne und Rosacea wird Doxycyclin erfolgreich über lange Zeiträume zur täglichen Anwendung verschrieben. Dem Nutzen einer Prophylaxe steht neben den potenziellen Nebenwirkungen die Gefahr einer Resistenzentwicklung gegenüber, vor allem bei längerfristigem Einsatz. Hier sind viele Fragen noch offen.

In zwei randomisierten Studien wurden im Wesentlichen zwei Dosierungsschemata untersucht: die kontinuierliche Einnahme von 100 mg pro Tag (PrEP analog zur Malaria-Prophylaxe) versus einer Einnahme bei Bedarf mit einmalig 200 mg innerhalb von 24 bis maximal 72 Stunden nach kondomlosem beziehungsweise risikoreichem Sex maximal dreimal pro Woche (Postexpositionsprophylaxe, PEP). Ob es sich hierbei um die effektivsten Einnahmeschemata handelt, kann noch nicht beantwortet werden. Die Therapieregime wurden in den bisherigen Studien aufgrund von Erfahrungswerten und den aktuellen Leitlinien zur Therapie der entsprechenden STD festgelegt.

Erste Erfolge in Studien

Die Effektivitätsraten zur Verhinderung einer Chlamydien-Infektion und einer Syphilis lagen bei circa 70 Prozent (»Sexually Transmitted Diseases« 2015, DOI: 10.1097/OLQ.0000000000000216, »The Lancet Infectious Diseases« 2018, DOI: 10.1016/S1473-3099(17)30725-9). Schwere oder unerwartete Nebenwirkungen sowie Resistenzen traten nicht auf. Rechnerisch könnte mit dieser Prophylaxe die Zahl der Neuansteckungen mit Syphilis deutlich reduziert werden, glauben die Autoren. Aktuell laufen mindestens fünf weitere Studien, die beide Schemata weiter untersuchen. Ein Fokus dieser Studien, bei denen in der Regel MSM oder Transgender-Personen, die Sex mit Männern haben, eingeschlossen werden, liegt auch auf der Bestimmung möglicher Resistenzentwicklungen (»Clinical Infectious ­Diseases« 2019, DOI: 10.1093/cid/ciz866).

Tetracyclin-Resistenzen bei Gonokokken liegen in Europa bei circa 50 Prozent vor; in bestimmten Kohorten ist die Rate sogar noch deutlich höher. Der Einsatz von Doxycyclin bei Gonorrhö wäre daher weder zur Prophylaxe noch zur Therapie rational, weil in vielen Fällen keine Wirkung zu erwarten wäre und eine weitere Zunahme von Resistenzen in Kauf genommen würde.

Der Nachweis von Resistenzen bei Treponema pallidum, dem Erreger der Syphilis, oder Chlamydien gestaltet sich schwierig und gehört nicht zur Routinediagnostik. Bislang sind keine nennenswerten Resistenzen beschrieben, auch wenn es in 5 bis 23 Prozent der Fälle ­einer Chlamydien-Infektion zu einem klinischen Therapieversagen kommen kann. Dies muss jedoch nicht zwingend mit Resistenzen zusammenhängen.

Eine Resistenzentwicklung ist dagegen insbesondere bei den – in der Routine und vielen Studien nicht mituntersuchten und in ihrer pathogenetischen Bedeutung teils umstrittenen – Mykoplasmen zu befürchten, die ebenfalls sexuell übertragen werden. Bei ihnen stellt Doxycyclin ein alternatives Therapieregime dar.

Azithromycin ungeeignet

Azithromycin erscheint zur Prophylaxe deutlich weniger geeignet, da Treponema pallidum nicht adäquat miterfasst wird und die Gefahr einer Resistenzentwicklung von Gonokokken einen deutlich dramatischeren Effekt hätte als bei Doxycyclin. Des Weiteren ist Azithromycin Bestandteil von Standardregimes bei vielen weiteren bakteriellen Infektionen wie Pneumonien, Atemwegs- und gastrointestinalen Infektionen. Außerdem ist es ein bevorzugtes Mittel in der Behandlung von anderen, atypischen bakteriellen Erregern wie den Mykoplasmen.

Das Makrolid geht darüber hinaus mit durchaus bedrohlichen Nebenwirkungen einher, zum Beispiel QT-Zeit-Verlängerung, die gerade bei falscher oder längerfristiger Einnahme an Bedeutung gewinnen können. Ein Vorteil könnte dagegen ein einfacherer Einsatz bei Frauen aufgrund der fehlenden Embryotoxizität sein. Entsprechende Studien sind vor einem breiteren Einsatz zu fordern.

Im Fokus der Studien stehen bislang insbesondere Männer mit einem sexuellen Hochrisikoverhalten. Zum Teil waren die Studien und Analysen mit einer Antibiotika-Prophylaxe in HIV-PrEP-Studien als Substudien integriert. Frauen im gebärfähigen Alter werden wohl auch in Zukunft aufgrund der bekannten embryotoxischen Effekte von Doxycyclin in Studien nicht untersucht werden, womit sich abzeichnet, dass Daten nur extrapoliert werden können. Dies wird absehbar eine Schwierigkeit in der Beratung von Frauen mit häufig wechselnden Sexualpartnern sein.

Dennoch könnten auch Frauen von dieser Option profitieren, sofern eine Kontrazeption sichergestellt ist. Denn nicht nur unter MSM nimmt die Zahl der diagnostizierten Geschlechtskrankheiten zu. Auch Heterosexuelle zeigen eine immer geringere Adhärenz zum Kondom. Insbesondere Frauen sind durch die Folgen der Geschlechtskrankheiten langfristig gefährdet. Sowohl Chlamydien als auch Gonorrhö können ohne Therapie zu irreversibler Unfruchtbarkeit führen.

Auch eine Frage der Kosten

Bislang besteht keine nationale oder internationale Empfehlung zur Einnahme einer Doxycyclin-PrEP oder -PEP. Weitere Studiendaten müssen hier abgewartet werden. Ferner wird sich in Zukunft auch die Kostenfrage stellen. Eine Erstattung durch die Gesetzliche Krankenversicherung würde eine Erweiterung der Zulassung voraussetzen. Inwieweit es aufgrund der kostengünstigen generischen Verfügbarkeit bereits Off-Label-Verordnungen gibt, ist den Autoren nicht bekannt.

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