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Virologen zur Corona-Impfung

Priorisierung ist nötig

Die Gesellschaft für Virologie (GfV) hat eine Stellungnahme zur Einführung von Covid-19-Impfungen publiziert. Sie fordert Regelungen, die festlegen, wem die Impfung zuerst angeboten werden sollte.
Theo Dingermann
12.10.2020  18:00 Uhr

Der Vorstand der Gesellschaft für Virologie weist in einer aktuellen Stellungnahme darauf hin, dass für eine der wichtigsten gesellschaftlichen Fragen, wem eine Schutzimpfung gegen eine SARS-CoV-2-Infektion zuerst angeboten werden sollte, eine Antwort gefunden werden muss. Denn klar ist, dass der Bedarf an Impfstoffdosen zumindest in den ersten Monaten das Angebot deutlich übersteigen wird. Daher wird eine Priorisierung unvermeidbar sein.

Dabei müsse es das oberste Ziel bei einer Priorisierung der Impfstoffverteilung sein, so die GfV, die Zahl der Covid-19-bedingten Todesfälle und schweren klinischen Erkrankungen zu reduzieren. In Deutschland hat die Ständige Impfkommission (STIKO) den gesetzlichen Auftrag, auf der Basis der Zulassung des Impfstoffs Empfehlungen auszusprechen. Das Vorgehen, mit der die STIKO die evidenzbasierte Nutzen-Risiko-Abwägung bei der Covid-19-Impfung umsetzen und auch ethische Aspekte bei ihrer Empfehlung zur Priorisierung berücksichtigen wird, ist in einer kürzlich erschienen Stellungnahme im »Epidemiologische Bulletin« 35, 2020, des RKI beschrieben. Darüber hinaus finden sich im nationalen Pandemieplan für die Influenza vier Priorisierungsgruppen, die es allerdings für SARS-CoV-2 noch zu definieren gilt:

  1. Personen, die von einer Impfung besonders stark profitieren (etwa ältere Bevölkerungsgruppen)
  2. Personen, die häufig Kontakt zu besonders vulnerablen Personen haben (etwa medizinisches Personal in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern)
  3. Personen, die einen besonders großen Einfluss auf die Viruszirkulation haben (zum Beispiel Altersgruppen mit besonders hohen Infektionsraten wie gegenwärtig die 20- bis 39-Jährigen)
  4. Personen, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder der staatlichen Infrastruktur erforderlich sind

Noch fehlen wichtige Detailkenntnisse 

Da derzeit verschiedene Impfstoffklassen auf Verträglichkeit und Wirksamkeit überprüft werden und sich die Wirkweise von Impfstoff zu Impfstoff unterscheiden kann, ist nach Auffassung der GfV eine differenzierte Betrachtungsweise erforderlich. Es ist nicht auszuschließen, dass sich unterschiedliche Covid-19-Impfstoffe für verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedlich gut eignen.

Bei geringer Wirksamkeit der Impfung in Risikogruppen (zum Beispiel Hochbetagte) mag es effizienter sein, anstelle der besonders gefährdeten Personengruppen nahe Kontaktpersonen, wie betreuende Angehörige oder Pflegepersonal zu impfen, sodass diese als Überträger der Erkrankung ausscheiden. Für eine solche Kokon-Strategie kommt insbesondere medizinisches Personal in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser in Betracht, so die GfV.

Generell kann die Impfung von medizinischem Personal auch zur Aufrechterhaltung der allgemeinen medizinischen Versorgungsstrukturen erforderlich sein. Erfahrungen aus Norditalien und New York belegen bei hohen Infektionsraten eine Überlastung der Versorgungsstrukturen, die durch Covid-19-Erkrankungen des Personals zusätzlich verschärft wird. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder der staatlichen Infrastruktur außerhalb des Gesundheitswesens erscheint jedoch nach Auffassung der GfV eher unwahrscheinlich, da der Prozentsatz gleichzeitig an Covid-19-Erkrankter aufgrund des in der Altersgruppe der Berufstätigen meist milden Verlaufes niedrig ist.

Als einen weiteren Aspekt zur Priorisierung führen die Virologen die Rate der Neuinfektionen mit SARS-CoV-2 in verschiedenen Bundesländern an. So könnte der bestmögliche Nutzen für die Gesamtgesellschaft dadurch erreicht werden, dass bei der Impfstoff-Verteilung auch regionale Fallzahlen berücksichtigen werden. Allerdings dürfte es sehr schwierig sein, ein solches Vorgehen bei der Priorisierung politisch durchzusetzen.

Prospektive Studien sollen helfen, mehr über Impfrisiken zu lernen

Die GfV weist auch darauf hin, dass die hohe Geschwindigkeit der Impfstoffentwicklung durchaus auch Risiken mit sich bringt. Auf diese ging die GfV bereits im Mai zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Immunologie in einer Stellungnahme näher ein. So sei nicht auszuschließen, dass seltene und spät nach Impfung auftretende Nebenwirkungen zunächst unerkannt bleiben.

Da die meisten impfassoziierten Nebenwirkungen innerhalb der ersten Wochen nach Impfung auftreten, kann allerdings eine Risiko-Nutzen-Abwägung eine rasche breitflächige Anwendung rechtfertigen. In diesem Fall ist es aber dringend erforderlich, die Wirksamkeit und Sicherheit der Covid-19-Impfungen zeitgleich zur Einführung in prospektiven Studien zu überwachen.

Insgesamt sei es wahrscheinlich, dass wirksame Covid-19-Impfstoffe in der kommenden Zeit eine Zulassung erhalten werden. Daher gelte es, »deren Einführung auf allen Ebenen trotz vieler Ungewissheiten jetzt planerisch vorzubereiten«. Dies müsse die Aufklärung zur Wirksamkeit und Sicherheit von Covid-19 Impfstoffen ebenso einschließen, wie eine transparente und allgemein akzeptierte Entscheidungsfindung zur bevorzugten Impfung bestimmter Bevölkerungsgruppen. Die STIKO arbeitet bereits seit Mitte April im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit an einem »risikoorientierten Priorisierungskonzepts« für eine mögliche Covid-19-Impfung.

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