Pralsetinib im Handel |
Sven Siebenand |
04.01.2022 07:00 Uhr |
1 bis 2 Prozent der Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) weisen einen RET-Fusions-positiven Tumor auf. / Foto: Adobe Stock/ utah51
RET (REarranged during Transfection) ist ein Gen auf dem Chromosom 10. Es kodiert für eine Tyrosinkinase. Aktivierende Alterationen des Gens spielen offenbar bei der Entstehung bestimmter maligner Tumoren, etwa beim NSCLC, eine Rolle. Die Prävalenz des RET-Fusions-positiven NSCLC liegt bei 1 bis 2 Prozent. Die dauerhafte Aktivierung des Enzyms führt zu einer gesteigerten Zellproliferation und einer onkogenen Transformation der Zellen über nachgelagerte Signalwege.
Multitarget-Kinasehemmer wie Sorafenib und Cabozantinib hemmen unter anderem die RET-Kinase und mit Selpercatinib (Retsevmo®) kam im Frühjahr 2021 bereits ein erster selektiver RET-Inhibitor in den Handel. Mit Pralsetinib folgte nun ein zweiter.
In Gavreto® ist der Kinasehemmer Pralsetinib enthalten. / Foto: Roche
Pralsetinib darf bei Erwachsenen mit fortgeschrittenem RET-Fusions-positivem NSCLC, die zuvor nicht mit einem RET-Inhibitor behandelt wurden, zum Einsatz kommen. Vor Therapiestart sollte eine molekularbiologische Abklärung des RET-Status erfolgen. Die Auswahl der Patienten sollte auf einer validierten Testmethode basieren.
Die Wirksamkeit von Pralsetinib wurde in einer nicht randomisierten, unverblindeten Studie der Phase I/II bei Patienten mit RET-Fusions-positivem, fortgeschrittenem NSCLC untersucht. Insgesamt 233 Patienten wurden mit einer Anfangsdosis von 400 mg Pralsetinib einmal täglich therapiert, darunter 75 behandlungsnaive Patienten. Der primäre Endpunkt war die Gesamtansprechrate (ORR). Zu den sekundären Endpunkten zählte unter anderem die Dauer des Ansprechens (DOR). Die ORR und die mediane DOR betrugen in der Gesamtkohorte 64 Prozent beziehungsweise 22,3 Monate. In der Subgruppe der behandlungsnaiven Patienten lag die ORR bei 72 Prozent. Die mediane DOR konnte für diese Firstline-Patienten zum Cut-Off noch nicht bestimmt werden.
Die empfohlene Pralsetinib-Dosis beträgt 400 mg einmal täglich auf leeren Magen. Apotheker können dazu raten, mindestens zwei Stunden vor und mindestens eine Stunde nach der Einnahme nichts zu essen. Beim Auftreten von Nebenwirkungen kann der Arzt eine Unterbrechung der Behandlung mit oder ohne spätere Dosisreduktion in Erwägung ziehen.
Die häufigsten beobachteten Nebenwirkungen von Pralsetinib sind Anämie, Neutropenie, Obstipation, Schmerzen des Muskel- und Skelettsystems, Fatigue, Leukopenie, Hypertonie sowie erhöhte Leberenzymwerte. Zu den häufigsten schwerwiegenden Nebenwirkungen zählen Pneumonie und Pneumonitis. Zur Pneumonitis findet sich in der Fachinformation von Gavreto ein separater Warnhinweis. Die Patienten sind darüber aufzuklären, sich umgehend an einen Arzt zu wenden, wenn neue oder sich verschlechternde Atemwegssymptome bei ihnen auftreten.
Einen anderen Warnhinweis gibt es zum Thema Bluthochdruck. Eine vorbestehende Hypertonie ist vor Beginn der Behandlung mit Pralsetinib ausreichend unter Kontrolle zu bringen. Eine Überwachung des Blutdrucks wird nach einer Woche und danach mindestens monatlich sowie falls klinisch angezeigt empfohlen. Eine antihypertensive Behandlung ist entsprechend einzuleiten oder anzupassen. Mit Vorsicht sollte der neue Wirkstoff unter anderem auch bei Patienten eingesetzt werden, bei denen eine QT-Intervall-Verlängerung in der Anamnese vorliegt.
Die gleichzeitige Anwendung von Pralsetinib mit bekannten starken CYP3A4-Inhibitoren oder kombinierten P-gp- und starken CYP3A4-Inhibitoren ist zu vermeiden. Wenn dies nicht möglich ist, ist die aktuelle Dosis von Pralsetinib gemäß den Empfehlungen in der Fachinformation zu reduzieren. Die gleichzeitige Verabreichung mit starken CYP3A4-Induktoren kann die Plasmakonzentrationen von Pralsetinib senken, was die Wirksamkeit des Wirkstoffs verringern kann. Daher ist auch diese Kombination möglichst zu vermeiden. Sollte dies nicht möglich sein, ist die Dosis von Pralsetinib laut der Fachinformation ab Tag 7 der gleichzeitigen Verabreichung auf das Doppelte der aktuellen Dosis zu erhöhen.
Pralsetinib kann den Fetus schädigen. Patientinnen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung und für mindestens zwei Wochen nach der letzten Dosis eine hochwirksame Verhütungsmethode anwenden. Der Einsatz von Gavreto in der Schwangerschaft wird nicht empfohlen und das Stillen sollte während der Behandlung mit dem neuen Präparat und für mindestens eine Woche nach der letzten Dosis eingestellt werden.
Pralsetinib weist vom Wirkprinzip keinen relevanten Fortschritt auf. Bereits im März kam mit Selpercatinib ein selektiver RET-Kinasehemmer in den Handel. Die Einstufung als Schrittinnovation ist aber dennoch gerechtfertigt. Denn Pralsetinib ist anders als Selpercatinib auch für die Erstlinientherapie beim fortgeschrittenen RET-Fusions-positiven NSCLC zugelassen. Es ist eine positive Nachricht, dass nun auch Patienten mit dieser Krebsart frühzeitiger mit einem zielgerichteten Kinasehemmer behandelt werden können. Bereits von anderen NSCLC-Subtypen mit einer Treiberalteration, zum Beispiel im ALK-Gen, ist bekannt, dass der Einsatz einer zielgerichteten Therapie in der Erstlinie für die Prognose der Patienten einen bedeutenden Vorteil bieten kann.
Sven Siebenand, Chefredakteur