Pille mit neuer Estrogenkomponente |
Kerstin A. Gräfe |
04.08.2021 06:55 Uhr |
Eine neue Antibabypille ist seit Juli im Handel: Drovelis. / Foto: Adobe Stock/Vasyl
Drovelis (3 mg/14,2 mg Filmtabletten, Gedeon Richter) ist für Frauen im gebärfähigen Alter zur Verhütung indiziert. Das Präparat unterscheidet sich von bisherigen kombinierten hormonalen Kontrazeptiva (KHK) in der Estrogenkomponente. Kamen bislang entweder Ethinylestradiol oder Estradiol in Kombination mit verschiedenen Gestagenen zum Einsatz, enthält die neue Pille bioidentisches Estetrol. Letzteres wird nur während der Schwangerschaft von der Leber des Fötus produziert und gelangt über die Plazenta in den mütterlichen Kreislauf. Für Drovelis wird Estetrol auf pflanzlicher Basis hergestellt.
Estetrol hat ausgehend von β-Estradiol zwei zusätzliche OH-Gruppen an den Positionen 15 und 16 und unterscheidet sich von anderen Estrogenen in seinem endokrinen und metabolischen Profil. So hat es eine geringe Affinität zu Estrogenrezeptoren (ER), was einen schwächeren estrogenen Effekt in den Geweben zur Folge hat. Zudem wirkt es gewebeselektiv: In Leber und Brust ist die estrogene Wirkung schwach ausgeprägt, stark dagegen in Uterus, Vagina, Gehirn und Knochen. Da Estetrol nicht über Cytochrom P450 metabolisiert wird, könnte es im Vergleich zu anderen Estrogenen mit weniger Wechselwirkungen behaftet sein. Von Vorteil könnte auch die deutlich längere Halbwertszeit sein, da sie stabile Hormonspiegel mit einer langen Wirkdauer gewährleistet.
Die empfängnisverhütende Wirkung von KHK beruht in erster Linie auf der Ovulationshemmung durch die Gestagenkomponente, im Fall von Drovelis also auf Drospirenon. Das Estrogen dient primär der Stabilisierung des Menstruationszyklus, um unerwünschte Blutungen zu verhindern.
Die neue Antibabypille folgt dem Einnahmeschema 24/4, bei dem auf 24 wirkstoffhaltige Filmtabletten vier Placebos folgen. Beginnend mit dem ersten Zyklustag wird an 28 aufeinanderfolgenden Tagen eine Tablette in der auf dem Blister angegebenen Reihenfolge eingenommen, täglich ungefähr zur gleichen Zeit. Wenn die Tabletten einer Packung aufgebraucht sind, wird am Tag nach der letzten Tabletteneinnahme die nächste Packung begonnen, auch wenn die Entzugsblutung noch andauert oder ausgeblieben ist.
Wurde die Einnahme einer rosafarbenen wirkstoffhaltigen Tablette vergessen und der normale Einnahmezeitpunkt um mehr als 24 Stunden überschritten, kann der Konzeptionsschutz verringert sein. Die Anwenderin sollte die Einnahme der zuletzt vergessenen Tablette so schnell wie möglich nachholen, auch wenn dann gleichzeitig zwei Tabletten einzunehmen sind. Die folgenden Tabletten werden dann wieder zur gewohnten Zeit eingenommen. In der Fachinformation finden sich weitere Angaben, was beim Vergessen einer Einnahme zu beachten ist, abhängig davon, an welchem Zyklustag dies passiert ist.
Drovelis ist kontraindiziert bei Frauen mit venösen oder arteriellen Blutgerinnseln in der Vorgeschichte sowie bei Frauen mit entsprechenden Risikofaktoren. Des Weiteren darf das Kontrazeptivum nicht bei Frauen angewendet werden, die an schweren Leber- und Nierenerkrankungen, Lebertumoren, hormonabhängigen Krebserkrankungen oder nicht abgeklärten vaginalen Blutungen litten oder leiden.
Wie hoch das Risiko für eine venöse Thromboembolie unter Drovelis im Vergleich zu anderen KHK ist, ist derzeit noch nicht bekannt. Bis entsprechende epidemiologische Daten vorliegen, gelten für die neue Pille die für ethinylestradiolhaltige KHK erhobenen Warnhinweise.
Enzyminduktoren wie Barbiturate, Bosentan, Carbamazepin, Phenytoin, Primidon, Rifampicin und HIV-Arzneimittel wie Ritonavir, Nevirapin und Efavirenz können die Clearance von Drovelis erhöhen. Gleiches gilt möglicherweise auch für Felbamat, Griseofulvin, Oxcarbazepin, Topiramat und Johanniskraut. Die gleichzeitige Gabe von starken CYP3A4-Inhibitoren kann die Plasmakonzentrationen von Estrogenen oder Gestagenen oder von beiden erhöhen. Insbesondere bei Kombination mit HIV- und HCV-Medikamenten sollte bezüglich des Wechselwirkungspotenzials deren Fachinformation zurate gezogen werden.
Drovelis ist während einer Schwangerschaft nicht indiziert. Falls unter der Einnahme eine Schwangerschaft eintritt, ist das Arzneimittel sofort abzusetzen. Wie bei allen KHK wird die Anwendung während der Stillzeit nicht empfohlen.
Basis der Zulassung sind die Daten der unverblindeten Phase-III-Studie E4 FREEDOM mit 1553 gesunden, sexuell aktiven Frauen zwischen 18 und 50 Jahren aus Europa und Russland. Die Teilnehmerinnen erhielten das neue Kombinationspräparat über ein Jahr (13 Zyklen in einem 24/4-Einnahmeschema). Die Wirksamkeit wurde mittels Pearl-Index gemessen, der die Effektivität einer Verhütungsmethode durch die Zahl der Schwangerschaften bewertet, die auftritt, wenn 100 sexuell aktive Frauen ein Jahr lang mit einer Methode verhüten.
Der tatsächliche Pearl-Index lag nach einem Jahr bei 0,44 und die kontrazeptive Wirksamkeit von Drovelis damit bei einer Anwendungsdauer von einem Jahr bei 99,6 Prozent. Das Präparat wurde gut vertragen und zeigte eine gute Zykluskontrolle. Während der zwölfmonatigen Untersuchung berichteten mehr als 93 Prozent der Frauen über regelmäßige Blutungen.
Die häufigsten Nebenwirkungen waren unregelmäßige Blutungen zwischen den Perioden, Kopfschmerzen, Akne, vaginale Blutungen und schmerzhafte Regelblutungen.
Das Kontrazeptivum Drovelis® enthält mit Estetrol eine neue Estrogenkomponente. Der Wirkstoff kann vorerst als Schrittinnovation gewertet werden. Im Vergleich zu anderen Estrogenen wie Estradiol und Ethinylestradiol weist Estetrol eine geringere Affinität zu Estrogenrezeptoren auf, ist niedriger potent. Dies ist vorteilhaft, ebenso wie die gewebeselektive Wirkung und die Tatsache, dass Estetrol nicht über Cytochrom-P450-Enzyme metabolisiert wird und diese nicht inhibiert. Daher könnte es im Vergleich zu anderen Estrogenen weniger Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln geben.
Wie es bei dem neuen Präparat um das Risiko venöser Thromboembolien steht, ist bis dato noch nicht abschließend geklärt. Da für estetrolhaltige kombinierte hormonale Kontrazeptiva (KHK) noch keine epidemiologischen Daten vorliegen, werden die Gegenanzeigen für ethinylestradiolhaltige KHK auch für die Anwendung von Drovelis als anwendbar erachtet, heißt es folglich dazu in der Fachinformation.
Sven Siebenand, Chefredakteur