PGEU fordert gerechtere Medikamenten-Verteilung |
Jennifer Evans |
24.01.2023 16:30 Uhr |
Die EU-Mitglieder müssen bei Medikamenten- und Medizinproduktemangel in Zunft besser kommunizieren. Außerdem muss es nach Auffassung der PGEU dringend überall eine einheitliche Definition für Arzneimittel-Engpässe geben. / Foto: Adobe Stock/Grispb
Das Problem der Arzneimittelknappheit in Europa verschärft sich und wirkt sich nicht nur negativ auf die Gesundheit der Patienten aus, sondern stellt auch eine Belastung für die tägliche Arbeit in den Apotheken dar. Einer aktuellen Auswertung der Pharmaceutical Group of the European Union (PGEU) zufolge verbringt jede öffentliche Apotheke in Europa inzwischen im Schnitt 6,68 Stunden pro Woche damit, die Engpässe zu verwalten und alternative Lösungen zu finden. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 waren es durchschnittlich 6,3 Stunden pro Woche und im zweiten Pandemiejahr 2021 sogar mit 5,3 Stunden wieder etwas weniger. Die derzeit steigende Nachfrage nach Antibiotika wie Amoxicillin – insbesondere für Kinder – spannt die Lage zusätzlich an. Inzwischen sind laut PGEU-Auswertung insgesamt mehr als 600 Medikamente Mangelware. Im Vorjahr waren es zwischen 200 und 300.
Der Zusammenschluss der EU-Apotheker fordert daher von den Entscheidungsträgern faire Umverteilungsmechanismen für alle Arzneimittel, die im EU-Markt verfügbar sind. Demnach sollen diejenigen Patienten davon profitieren, die die Medikamente am dringendsten benötigen – unabhängig davon, in welchem EU-Land sie leben. Schließlich müsse sichergestellt werden, dass alle Akteure der Lieferkette die EU-Vorschriften über die »gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen« tatsächlich einhielten, argumentiert die Organisation.
Konkret erwartet die PGEU, dass Apothekerinnen und Apotheker EU-weit mehr Flexibilität bekommen, um ihre Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen voll auszuschöpfen und die Patientenversorgung besser steuern zu können. Außerdem sollte es mehr Geld für die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) geben, damit diese künftig ihre Überwachung und Kommunikation über Arzneimittelknappheit verbessern kann.
Wie bereits in den vergangenen drei Jahren auch, haben laut der jährlichen Erhebung alle PGEU-Mitgliedsorganisationen die Arzneimittel-Engpässe zu spüren bekommen. Die Irish Pharmacy Union zum Beispiel führt eine Liste und hatte nach eigenen Angaben im November 2021 noch 245 betroffene Präparate darauf notiert. Im November 2022 waren es bereits 348. Auch aus Spanien kommt die Rückmeldung, dass im Jahr 2022 das Informationssystem CISMED (Centro de Información Sobre el Suministro de Medicamentos) 140 Prozent mehr Arzneimittel-Engpässe identifiziert hatte als noch im Vorjahr. Das vom spanischen Apothekerverband ins Leben gerufene System ermöglicht es Apotheken, Lieferengpässe in Echtzeit zu melden. Die PZ hatte bereits darüber berichtet.
Als Top drei der von Knappheit betroffenen Indikationsgebiete nennen die Umfrageteilnehmer Medikamente für das Herz-Kreislauf-System (rund 84 Prozent), das Nervensystem (80 Prozent) sowie Antiinfektiva wie Antibiotika (80 Prozent). Fast zwei Drittel bestätigten zudem Engpässe bei Medizinprodukten. Jeweils 21 Prozent von ihnen sagten, dass speziell Produkte der Risikoklasse I beziehungsweise Risikoklasse II betroffen sind, zum Beispiel Verbände, Thermometer, Nadeln und Kurzzeitkontaktlinsen.
Bei den Patienten erzeugen die Engpässe vor allem Sorgen und bereiten Unannehmlichkeiten, wie 93 Prozent der PGEU-Mitglieder bestätigten. Gefolgt von Therapieunterbrechungen (knapp 90 Prozent) und erhöhten Zuzahlungen (rund 72 Prozent). Seltener nannten sie mit gut 34 Prozent, dass es dadurch zu Medikationsfehlern gekommen sei. Knapp 14 Prozent gaben den Tod des Patienten als eine Folge der Engpässe an.
Die europäischen Apotheken belastet angesichts des Zeitaufwands für das Managen der Versorgungslücken vor allem der finanzielle Verlust für ihren Betrieb, wie knapp 97 Prozent bestätigten. Jeweils gut 75 Prozent beklagen zudem Probleme wie eine gesunkene Mitarbeiterzufriedenheit, den Verlust des Patientenvertrauens sowie mehr Bürokratie als Konsequenz aus den Engpässen.
Jedes Jahr führt die PGEU eine Umfrage dieser Art durch, um die Auswirkungen des Arzneimittelmangels in Europa aus Sicht der Apotheker zu erfassen. Die aktuelle Befragung, an der insgesamt 29 PGEU-Mitglieder teilnahmen, fand zwischen dem 14. November 2022 und dem 31. Dezember 2022 statt.