Paxlovid im Porträt |
Sven Siebenand |
04.02.2022 18:00 Uhr |
Die Produktion von Paxlovid® läuft auf Hochtouren, unter anderem in Freiburg. Die pinkfarbenen Tabletten enthalten das antiviral wirksame Nirmatrelvir. In der Packung sind zudem weiße bis cremefarbene Ritonavir-Tabletten enthalten. / Foto: Pfizer
Eine Woche nach der Zulassung von Paxlovid in der EU hat Italien gemeldet, dass es mit der Auslieferung des Covid-19-Medikaments begonnen hat. Wann ist es in Deutschland so weit? Lange kann es nicht mehr dauern. Gegenüber der PZ bestätigt Hersteller Pfizer die Angabe des Bundesgesundheitsministeriums, dass die ersten Lieferungen voraussichtlich im Februar erfolgen werden.
In Paxlovid befinden sich zwei Wirkstoffe. Das antiviral wirksame Nirmatrelvir (vormals PF-07321332) ist Wirkstoff der pinkfarbenen Tabletten des Blisters. Das zum Boostern der Nirmatrelvir-Wirkung enthaltene Ritonavir ist Bestandteil der weißen bis cremefarbenen Tabletten.
Für die Wirkung gegen SARS-CoV-2 ist Nirmatrelvir entscheidend. Es hemmt die Virusvermehrung, indem es die virale Protease 3CL blockiert. Das wird möglich über eine Nitrilgruppe im Nirmatrelvir-Molekül, die mit einem Cystein-Rest im katalytischen Zentrum der Protease interagiert. So hilft die neue Substanz, die Virusreplikation zu bremsen. Eselsbrücke: Die pinkfarbenen Tabletten tragen auf einer Seite die Prägung 3CL.
Der vor allem aus der HIV-Therapie bekannte Wirkstoff Ritonavir hemmt den CYP3A-vermittelten Metabolismus von Nirmatrelvir, sodass es bei höheren Konzentrationen für längere Zeit im Körper aktiv bleibt.
Vorgesehen ist Paxlovid für Erwachsene mit Covid-19-Diagnose, die keinen zusätzlichen Sauerstoff benötigen und ein erhöhtes Risiko haben, einen schweren Verlauf der Erkrankung zu entwickeln. Zu den Risikofaktoren zählen zum Beispiel Adipositas, Diabetes mellitus, chronische Nierenerkrankung, immunsuppressive Erkrankung oder Therapie, Herzerkrankung oder ein Alter ab 60 Jahren.
Paxlovid sollte so schnell wie möglich nach der Covid‑19-Diagnose und innerhalb von fünf Tagen nach Symptombeginn angewendet werden. Es wird empfohlen, die fünftägige Behandlung abzuschließen, auch wenn der Patient nach Beginn der Behandlung aufgrund einer schweren oder kritischen Covid‑19-Erkrankung hospitalisiert werden muss.
Die Europäische Arzneimittelagentur stützt ihre Empfehlung für die Zulassung unter anderem auf Daten aus der Phase-II/III-Studie EPIC-HR. An der Studie nahmen nicht hospitalisierte Erwachsene ab 18 Jahren mit bestätigter SARS-CoV-2-Infektion und einem erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf teil.
Die Daten zeigen, dass Paxlovid das Risiko für Krankenhauseinweisung oder Tod im Vergleich zu Placebo um 89 Prozent (Einsatz innerhalb von drei Tagen nach Auftreten der Symptome) beziehungsweise 88 Prozent (Einsatz innerhalb von fünf Tagen nach Auftreten der Symptome) senkte, wobei in der Behandlungsgruppe keine Todesfälle beobachtet wurden.
Paxlovid wird oral verabreicht. Eingenommen werden zwei 150-mg-Tabletten mit Nirmatrelvir plus eine 100-mg-Tablette Ritonavir jeweils zweimal täglich über fünf Tage. Bei eingeschränkter Nierenfunktion sind die Empfehlungen aber anders (siehe nächste Frage).
Nein. Die Devise »one size fits all« funktioniert hier nicht. Es gibt Beschränkungen beim Einsatz aufgrund eingeschränkter Organfunktion. Dies betrifft vor allem Patienten mit mäßiger Nierenfunktionsstörung (eGFR ≥ 30 bis < 60 ml/min). Bei ihnen sollte die Dosis auf 150 mg Nirmatrelvir und 100 mg Ritonavir alle zwölf Stunden über fünf Tage reduziert werden, um eine Überexposition zu vermeiden.
Bei leichter Störung der Nierenfunktion sowie leichter oder mäßiger Leberfunktionseinschränkung ist keine Dosisänderung vorzunehmen. Patienten mit schwerer Leber- und/oder Nierenfunktionsstörung sollten kein Paxlovid erhalten. Eine Alternative kann dann Molnupiravir (Lagevrio®, MSD) sein.
Nirmatrelvir hieß früher PF-07321332. Die Prägung »PFE« auf der einen Seite der Nirmatrelvir-Tablette erinnert daran. Auf der anderen Seite befindet sich die Prägung »3CL« – ein Bezug zum Wirkmechanismus: Nirmatrelvir hemmt die virale Protease 3CL. / Foto: Pfizer
Interaktionen sind absolut zu beachten. Das liegt vor allem an Ritonavir. Es hat einen hemmenden oder induzierenden Effekt auf verschiedene Cytochrom-P450-Enzyme. Zudem wird auch das Transportprotein p-Glykoprotein gehemmt.
Die Liste potenzieller Interaktionen ist lang. In der Fachinformation von Paxlovid findet sich eine mehrseitige Tabelle zu den Wechselwirkungen, die als Orientierungshilfe dienen soll. Als Erleichterung hat die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) zusammen mit der Abteilung für Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie des Universitätsklinikums Heidelberg das Interaktionspotenzial bewertet und in einer Grafik zusammengefasst.
Eine Reihe von Arzneimitteln sind bei einer Paxlovid-Therapie kontraindiziert. Dazu zählen Arzneimittel mit stark CYP3A-abhängiger Clearance, bei denen eine erhöhte Plasmakonzentration mit schwerwiegenden und/ oder lebensbedrohlichen Reaktionen einhergeht. Ebenso gehören Arzneimittel dazu, die starke CYP3A-Induktoren sind. Sie können mit signifikant reduzierten Nirmatrelvir/Ritonavir-Konzentrationen im Plasma und einem potenziellen Verlust des virologischen Ansprechens sowie einer möglichen Resistenzbildung einhergehen.
Auch hier findet sich im Bereich Gegenanzeigen eine Liste von kontraindizierten Wirkstoffen als Orientierungshilfe, die aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Genannt sind zum Beispiel gängige Arzneistoffe wie Alfuzosin, Amiodaron, Quetiapin, Lovastatin, Simvastatin und Sildenafil.
Die Anwendung von Paxlovid während der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die keine Verhütungsmittel anwenden, wird nicht empfohlen, es sein denn, der klinische Zustand erfordert die Therapie. Das Stillen sollte während der Behandlung und als Vorsichtsmaßnahme für sieben Tage nach Beendigung der Behandlung mit Paxlovid unterbrochen werden. Frauen im gebärfähigen Alter sollten eine Schwangerschaft während der Behandlung mit Paxlovid und als Vorsichtsmaßnahme für sieben Tage nach Abschluss der Behandlung mit Paxlovid vermeiden.
Cave: Die Anwendung von Ritonavir kann die Wirksamkeit kombinierter hormoneller Kontrazeptiva verringern. Patientinnen, die kombinierte hormonelle Kontrazeptiva anwenden, sollte geraten werden, während der Behandlung mit Paxlovid und bis zum ersten Menstruationszyklus nach dem Ende der Behandlung eine andere wirksame Methode zur Empfängnisverhütung oder eine zusätzliche Barrieremethode anzuwenden.
Die häufigsten Nebenwirkungen waren Geschmacksstörungen (5,6 Prozent), Durchfall (3,1 Prozent), Kopfschmerzen (1,4 Prozent) und Erbrechen (1,1 Prozent).
In der Tat gibt es einige Unterschiede. Das beginnt beim Wirkmechanismus. Denn Molnupiravir ist anders als Nirmatrelvir kein Proteasehemmer und auch nicht extra für den Einsatz bei Covid-19 entwickelt. Ursprünglich sollte es ein Grippemedikament werden. Nirmatrelvir dagegen ist neu. Pfizer hatte bereits zu Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie von einem Arzneistoffkandidaten berichtet, der im Zuge der SARS-Epidemie 2002/03 entwickelt wurde. Diese Substanz war aber nur intravenös applizierbar. Danach präsentierte das Unternehmen PF-07321332, das oral bioverfügbar ist und später den Namen Nirmatrelvir enthielt.
Anders als bei Paxlovid ist das Wechselwirkungspotenzial bei Molnupiravir überschaubar und es ist auch keine Dosisanpassung bei mäßiger Nierenfunktion vorzunehmen. Dafür ist der Einsatz von Molnupiravir in der Schwangerschaft eine absolute Kontraindikation.
Strukturformel Nirmatrelvir / Foto: Wurglics
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.