Patienten fragen vermehrt nach »Fett-Weg-Spritze« |
Daniela Hüttemann |
23.01.2023 14:00 Uhr |
Während bei Diabetes die Anfangsdosis von Semaglutid einmal wöchentlich 0,25 mg subkutan beträgt und bis auf maximal 1 mg pro Woche erhöht werden kann, sind bei Adipositas 2,4 mg Semaglutid einmal wöchentlich vorgesehen. / Foto: Adobe Stock/myskin
Zum 23. Dezember hatte Hersteller Novo Nordisk angekündigt, das Semaglutid-haltige Diabetes-Mittel Ozempic 1 mg, 3 Stück, Injektionslösung in einem Fertigpen soll voraussichtlich erst ab dem 16. Januar wieder verfügbar sein. Am heutigen Montag, 23. Januar, wurde der Lieferausfall in der Lieferengpass-Datenbank des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte jedoch erst einmal bis zum 6. Februar verlängert.
Als Abnehmmittel unter dem Namen Wegovy® in höherer Dosierung ist es trotz entsprechender EU-Zulassung noch gar nicht auf den Markt gekommen. Doch genau in der Indikation wird es, wohl auch befeuert durch einen Abnehm-Trend in den USA, von vielen Übergewichtigen sehnlichst erwartet. «Meine Patienten fragen verstärkt danach», berichtet der Hamburger Endokrinologe Professor Dr. Stephan Petersenn, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Die Kosten könnten sich je nach verabreichter Dosis auf 80 bis rund 200 Euro pro Woche belaufen – zum Abnehmen übernehmen die Krankenkassen die Kosten derzeit nicht.
Auf dpa-Anfrage nannte Novo Nordisk immer noch weder einen Termin noch einen geplanten Preis. Das Unternehmen sicherte jedoch zu, «mit Hochdruck» zu arbeiten, um das Wegovy auch hierzulande für die bestimmten Patientengruppen zugänglich zu machen. Derweil beklagen Diabetologen bereits seit Längerem die schwierige Versorgungslage für ihre Patienten mit dem deutlich niedriger dosierten Ozempic.
Semaglutid reguliert den Appetit, erhöht das Sättigungsgefühl und verringert so den Hunger. In der zulassungsrelevanten klinischen Studie STEP-1 erreichten die Teilnehmenden – Erwachsene mit deutlichem Übergewicht (Body-Mass-Index 30 kg/m2 und größer) – unter 2,4 mg Semaglutid einmal wöchentlich subkutan gespritzt deutliche Gewichtsverluste von minus 15 Prozent des ursprünglichen Körpergewichts gegenüber nur 2,4 Prozent unter Placebo. Im Schnitt waren es 15 Kilogramm Gewichtsverlust (versus 2,6 Kilogramm unter Placebo).
Tesla-Gründer Elon Musk erwähnte im Herbst auf die Frage nach dem Geheimnis seines Aussehens auf Twitter das Fasten – und Semaglutid. In den USA ist das Präparat wohl auch deshalb sogar bei Normalgewichtigen mit Abnehmwunsch derzeit gefragt – obwohl es sich um eine Off-Label-Anwendung handelt (siehe Kasten) und es noch keine Untersuchungen gibt, wie sich der GLP-1-Agonist auf Personen ohne Übergewicht oder Diabetes auswirkt.
Ozempic wird zur Behandlung des unzureichend kontrollierten Diabetes mellitus Typ 2 bei Erwachsenen als Zusatz zu Diät und körperlicher Aktivität angewendet, entweder als Monotherapie, wenn die Anwendung von Metformin aufgrund einer Unverträglichkeit oder Kontraindikationen ungeeignet ist oder zusätzlich zu anderen Arzneimitteln zur Behandlung des Diabetes mellitus. Es gibt keine Einschränkungen bezüglich des Ausgangs-Körpergewichts.
Wegovy wird als Ergänzung zu einer kalorienreduzierten Ernährung und verstärkter körperlicher Aktivität zur Gewichtsregulierung, einschließlich Gewichtsabnahme und Gewichtserhaltung, bei erwachsenen Patienten angewendet mit einem Ausgangs-Body-Mass-Index (BMI) von ≥ 30 kg/m2 (Adipositas) oder ≥ 27 kg/m2 bis < 30 kg/m2 (Übergewicht), bei denen mindestens eine gewichtsbedingte Begleiterkrankung wie Fehlregulation der glykämischen Kontrolle (Prädiabetes oder Diabetes mellitus Typ 2), Hypertonie, Dyslipidämie, obstruktive Schlafapnoe oder Herz-Kreislauf-Erkrankung vorliegt.
Die DGE warnte bereits im November vor Risiken und Nebenwirkungen bei «einer von den Zulassungsbehörden nicht freigegebenen, unkontrollierten Anwendung». «Es ist unklar, ob ein übergewichtiger Patient, der aber nicht adipös ist, überhaupt Gewicht verliert», so der Endokrinologe Petersenn zur Wirksamkeit. Auch Nebenwirkungen wie Übelkeit und Durchfall sind möglich und könnte bei nicht fettleibigen Anwendern möglicherweise stärker ausfallen. Generell soll die Anwendung von Semaglutid gemäß Zulassung eingebettet sein in ein Gesamt-Therapiekonzept mit Ernährung und Sport unter ärztlicher Überwachung.
Fraglich ist auch der dauerhafte Effekt. In der STEP-1- Studie spritzen sich die Teilnehmenden über 68 Wochen lang. Wie der Körper auf eine jahrelange Anwendung reagiert, ist noch nicht bekannt. Petersenn wendet ein, das Medikament könne nur solange wirken, wie man es anwende. «Es ist keine Wunderwaffe und ändert nichts an genetischen Faktoren oder dem Lebensstil.» Wer Adipositas habe, müsse also entweder eine Einnahme auf Jahre einkalkulieren – oder «erhebliche Disziplin» nach dem Absetzen aufbringen, um das Gewicht zu halten.
Indikationsgemäß verwendet, versprechen sich Endokrinologen jedoch große Erfolge bei Adipösen. So könnte das Medikament eine Magen-Verkleinerung bei vielen überflüssig machen. Dass die Krankenkassen die Kosten derzeit für die als »Lifestyle-Medikamente« gebrandmarkten Arzneimittel nicht übernehmen, sei diskriminierend.
«Die neuen Wirkstoffe könnten zu Game-Changern in der Behandlung von Adipositas werden, wenn der Gesetzgeber den Weg dafür freimacht», sagte Professor Dr. Jens Aberle, Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft, der dpa. Dass Menschen mit starkem Übergewicht ihre Behandlung aus eigener Tasche bezahlen sollen, wertet er als «Ausdruck der allgegenwärtigen Stigmatisierung der Betroffenen».