Optimierte Diabetes-Therapie als Schutz vor Covid-19 |
Patienten mit Diabetes gehören zu den Risikogruppen für eine SARS-CoV-2-Infektion. Eine optimale Blutzuckereinstellung soll vor schweren Verläufen von Covid-19 schützen. / Foto: Getty Images/Phynart Studio
Auch wenn einzelne wissenschaftliche Veröffentlichungen auf eine mögliche Beziehung zwischen Covid-19 und dem Glucosestoffwechsel beziehungsweise der Expression des Angiotensin-Converting-Enzyms 2 (ACE2) hinweisen: Noch sei unklar, ob es sich um bloße Assoziationen oder kausale Zusammenhänge zwischen Diabetes mellitus und dem Coronavirus handelt, betont heute die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG). Klinische Studien stünden noch aus.
Aufgrund einer hohen Rate an Coronavirus-Infektionen bei Diabetikern hat die DDG jetzt »Praktische Empfehlungen zum Diabetes-Management bei einer Covid-19-Erkrankung« mit detaillierten Hinweisen auch zur Handhabung der eingesetzten Antidiabetika herausgegeben, die auf der Homepage der Fachgesellschaft zur Verfügung stehen. Die neuen Empfehlungen beziehen sich auf Erwachsene. Für Kinder und Jugendliche gelten die Behandlungsstrategien und Dosisangaben, die in der DDG-Leitlinie »Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter« festgelegt sind.
»Insbesondere in der Betreuung von Diabetes-Patienten mit häufigen Komorbiditäten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Adipositas oder Bluthochdruck kann ein effektives Diabetes-Management ausschlaggebend dafür sein, Komplikationen in Folge einer Coronavirus-Infektion zu umgehen«, betonte die Präsidentin der DDG, Professor Dr. Monika Kellerer. Generelle Grundvoraussetzungen für eine effektive Diabetes-Behandlung seien eine gute Einstellung des Blutzuckers und des Blutdrucks bei gleichzeitiger Überwachung möglicher Zeichen einer Keto- oder Laktat-Azidose.
Bei der intensivmedizinischen Betreuung von Diabetes-Patienten müssen Ärzte die individuelle und flexible Anpassung der medikamentösen Therapie beim gleichzeitigen Ausschluss möglicher Wechselwirkungen zwischen antidiabetischen und antiviralen Wirkstoffen beachten. Insbesondere beim Einsatz einer antiviralen Begleitmedikation (Hydroxychloroquin, Lopinavir/Ritonavir, Remdesivir, Tocilizumab) sollten Interaktionen mit antidiabetischen Substanzen berücksichtigt werden. Die DDG empfiehlt hier auch, sich über die Covid19-Drug-Interaction-Plattform der University of Liverpool zu informieren.
Diabetologen sollten beachten, dass Hydroxychloroquin, Camostat und rekombinantes ACE2, was zum Teil experimentell bei Covid-19 eingesetzt wird, einen antidiabetischen Effekt haben kann. Umgekehrt könnten antivirale Wirkstoffe und Glucocorticoide diabetogen wirken.
»Im Falle schwerer Covid-19-Krankheitsverläufe ist es anzuraten, eine eventuell vorbestehende orale Medikation durch eine Insulinbehandlung zu ersetzen«, unterstrich Professor Dr. Jochen Seufert, der Mitautor der Handlungsempfehlungen ist. Insulin gehe mit weniger Komplikationen durch Keto- oder Laktat-Azidosen einher und sei darüber hinaus besser mit antiviralen Medikamenten wie Hydroxychloroquin kombinierbar. Im Falle einer Insulintherapie sei die Überwachung der Blutglucosewerte zudem wesentlich einfacher.
Auch sei im Rahmen der intensivmedizinischen Therapie Corona-infizierter Diabetes-Patienten der Einsatz von Perfusoren zur regelmäßigen Insulin-Applikation angezeigt. Bei Fieber sowie eingeschränkter Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme habe es sich als wichtig erwiesen, eine bestehende Therapie mit SGLT2-Inhibitoren oder Metformin vorerst auszusetzen.
Idealerweise sollte der Blutglucosewert infizierter Diabetes-Patienten zwischen 70 und 180 mg/dl oder 3,9 und 10 mmol/dl und der Langzeitblutzuckerwert HbA1c unter 7,5 liegen. Bei intensivmedizinisch betreuten Patienten sei ein Blutzuckerwert zwischen 140 und 180 mg/dl beziehungsweise 7,8 bis 10 mmol/dl anzustreben. Der Blutdruck sollte sowohl bei milden sowie schweren Verläufen 135/85 mmHg möglichst nicht übersteigen.
Es empfehle sich, so die DDG weiter, alle Covid-19 erkrankten Personen hinsichtlich eines nicht bekannten Diabetes mellitus zu untersuchen. Nur so könnten stoffwechselbedingte Komplikationen im Krankheitsverlauf rechtzeitig entgegengewirkt werden. Die Fachgesellschaft vermutet, dass den 7 Millionen diagnostizierten Diabetes-Patienten in Deutschland 1,3 Millionen Bürger mit bislang unerkannter Zuckerkrankheit gegenüberstehen.
Patienten mit Diabetes und eher mildem Verlauf von Covid-19, die nicht stationär therapiert werden müssen, sollten im engen telefonischen oder telemedizinischen Kontakt mit ihrer diabetologischen Schwerpunktpraxis stehen – insbesondere bei einer Insulintherapie oder der potenziell problematischen basal-unterstützten Oraltherapie, also der Kombination lang- oder intermediär wirksamer Insuline mit ein bis zwei oralen Antidiabetika. Das gelte gerade für Frauen mit einem Gestationsdiabetes sowie Patienten mit Typ-1-Diabetes sowie bei Komorbiditäten.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.