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Schlafstörungen

Nutzen und Risiken von Medikamenten genau abwägen

Schlafstörungen können diverse Ursachen haben, darunter auch ernste Erkrankungen oder Medikamenten-Nebenwirkungen. Ein Selbstmedikationswunsch sollte daher hinterfragt werden. Eine Behandlung sollte stets erfolgen, medikamentös aber nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung.
Christiane Berg
03.06.2022  11:00 Uhr

Die Ursachen für Schlafstörungen sind vielfältig. Ebenso vielfältig sind die zur Verfügung stehenden Therapiemaßnahmen. Immer müssen im Vorfeld körperliche und seelische Grund- und Systemerkrankungen sowie spezifische Trigger ausgeschlossen werden, hieß es auf einer gemeinsamen Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer, der Ärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg.

Stress, Lärm, Ärger oder seelische Belastungen können zu akuten Schlafstörungen führen, die sich oftmals mit der Zeit von selbst geben oder aber durch Änderung des Lebensstils beheben lassen. »Wer dauerhaft schlecht schläft, sollte jedoch unbedingt einen Arzt konsultieren«, betonte Dr. Andrea Iwansky auf der Veranstaltung unter Moderation von Dr. Jasper Kiehn und Stefanie Eckard, Vizepräsidentin der Apothekerkammer Hamburg.

Als organische Ursachen einer Schlafstörung kommen unter anderem Herz-Kreislauf- (Herz-Rhythmus-Störungen, Bluthochdruck et cetera), Atemwegs- (Asthma, Husten, COPD) oder Hauterkrankungen (atopische Dermatitis, Juckreiz), das metabolische Syndrom, Depressionen, unruhige Beine, Polyneuropathien, Schmerzen oder Schlafapnoen in Betracht. »Diese müssen diagnostiziert und zielgerichtet behandelt werden«, betonte die Hamburger Internistin.

Bei Nebenwirkung Präparatewechsel

Ein Auslöser von Schlafstörungen kann zudem die Einnahme spezifischer Medikamente und hier zum Beispiel von Antibiotika (Gyrasehemmer et cetera), Antidementiva (zum Beispiel Piracetam), Antidepressiva (SSRI et cetera), Antihypertonika (zum Beispiel Betablocker), Antiasthmatika (Theophyllin, Beta-2-Sympatomimetika et cetera), Diuretika oder Hormonen (Steroide, Thyroxin) sein. »Die Arzneimittel müssen gegebenenfalls abgesetzt werden. Ein Präparatewechsel kann unumgänglich werden«, sagte Iwansky.

Als diagnostische Instrumente hob die Schlafmedizinerin den Pittsburgher Schlafqualitätsindex (PSQI), Schlaffragebogen, Abend- und Morgenprotokolle sowie Schlaftagebücher hervor. Gegebenenfalls könne sich eine ambulante und/oder stationäre Polysomnographie als notwendig erweisen. »Schlafstörungen sind von großem klinischem Leiden geprägt, so Iwansky. Umso wichtiger sei die professionelle Anamnese, Klassifikation und Behandlung.

Gesunde Einschlafrituale finden

»Die Trigger nehmen zu«: Als Risiko- und Störfaktoren für einen gesunden Schlaf hob Professor Dr. Ingo Fietze, Berlin, unter anderem aktuelle individuelle Konflikte, sozialen Stress, Doppelbelastungen durch Familie und Beruf, Lärm- und Lichtverschmutzung, Schichtarbeit und Arbeitsverdichtung hervor. Der Autor des Buches »Die übermüdete Gesellschaft« spricht von gesellschaftlichen Faktoren, die der Einzelne oftmals nicht ändern kann. Dieser könne lediglich versuchen, Einfluss auf seinen individuellen Lebensstil und seine Schlaf-Hygiene zu nehmen.

»Die Schlafumgebung sollte ruhig und kühl sein. Alkohol, Nikotin, Koffein und auch schwere Mahlzeiten sollten bis zu sechs Stunden vor dem Zubettgehen gemieden beziehungsweise nur in Maßen genossen werden«, so der Internist mit Verweis auf die in der S3-Leitlinie »Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen« genannten Empfehlungen.

Vor dem Zubettgehen sollten körperliche und auch mentale Anstrengungen, sprich: ein überbordender abendlicher Medienkonsum in Form von TV, Handy, Tablet et cetera gemieden beziehungsweise allmählich verringert werden. Auch sollten persönliche Einschlaf-Rituale geschaffen werden, die den Übergang vom Tag zur Nacht erleichtern, unterstrich Fietze.

Kognitive Verhaltenstherapie und Phytopharmaka

In diesem Zusammenhang hätten sich körperliche und gedankliche Entspannungsmaßnahmen in Form progressiver Muskelrelaxation oder der Kreation geistiger Ruhebilder und Fantasie-Reisen sowie Achtsamkeitsübungen bewährt, die gegebenenfalls im Rahmen einer kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) geschult werden könnten. Die KVT sollte leitliniengemäß bei Erwachsenen jedes Lebensalters als erste Behandlungsoption für Insomnien durchgeführt werden, betonte er.

Gerade bei Prä-Insomnien mit gelegentlichen und leichten Schlafstörungen hat sich der Einsatz von Pflanzen- und hier auch von Kombinationspräparaten mit Baldrian und Hopfen, Melisse oder Passionsblume bewährt, machte Fietze weiter deutlich.

Auch eine Nicht-Behandlung hat Risiken

Kommt in der medikamentösen Stufentherapie der Insomnie leitliniengemäß sodann die kurzzeitige Gabe von Antihistaminika, Benzodiazepinen, Benzodiazepin-Rezeptoragonisten, sedierenden Antidepressiva oder Antipsychotika mit Zulassung für Schlafstörungen zum Einsatz, so seien insbesondere Benzodiazepine mit langen Halbwertszeiten nicht zuletzt mit Blick auf Hangover-Effekte und somit Beeinträchtigungen der (morgendlichen) Leistungs-, Fahr- und Arbeitsfähigkeit mit großer Sorgfalt zu handhaben. Diese, so Fietze, sollten keinesfalls unkritisch und nur nach Ausschöpfung aller anderen Maßnahmen verordnet werden.

Stets sei dabei mit Blick sowohl auf die individuelle Konstellation des Patienten als auch auf den zu erwartenden Therapieerfolg eine genaue Nutzen-Risiko-Abwägung vorzunehmen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass auch eine Nichtbehandlung der Insomnie mit Gefahren für den Einzelnen und auch für die Allgemeinheit einhergehen kann. Ob Tagesmüdigkeit mit Einschlafneigung oder aber Konzentrationsstörungen: Bei einem Großteil der schweren Verkehrs-, Arbeits- oder Haushaltsunfälle spielt Übermüdung eine entscheidende Rolle, sagt Fietze.

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