Niedrigeres Krebsrisiko unter Statinen |
Annette Rößler |
28.06.2021 18:00 Uhr |
Die Entstehung von Krebs – hier Lungenkrebs – ist kompliziert. Möglicherweise kann die Einnahme eines Statins sich schützend auswirken. / Foto: Getty Images/Science Photo Library - Moredun Animal Health Ltd
Haben Statine nennenswerte Wirkungen, die über die Senkung des LDL-Cholesterols hinausgehen? Über diese Frage diskutiert die Fachwelt schon seit geraumer Zeit. Pleiotrope Effekte der Statine umfassen eine antioxidative, antiinflammatorische, antithrombotische und vaskuloprotektive Wirkung, die vor allem auf die Hemmung des Mevalonat-Stoffwechselwegs zurückgeführt werden. Zuletzt gab es einige Veröffentlichungen, die einen positiven Einfluss der Statin-Einnahme auf die Krebssterblichkeit beziehungsweise das Erkrankungsrisiko an Krebs nahelegten.
Vor diesem Hintergrund hat jetzt ein Team um Qing-Wen Ren von der Universität Hongkong den möglichen Zusammenhang zwischen Statin-Einnahme und Krebs bei einem großen Patientenkollektiv mit Herzinsuffizienz untersucht und das Ergebnis im »European Heart Journal« veröffentlicht. Warum gerade Herzinsuffizienz? Diese teile mit Krebs bestimmte Risikofaktoren wie etwa Diabetes und Rauchen, schreiben die Autoren. Außerdem gebe es die Hypothese, dass Herzinsuffizienz selbst onkogen wirke, und zwar über die Aktivierung von Neurohormonen, Entzündung und oxidativen Stress.
Jedenfalls spiele Krebs bei Patienten mit Herzinsuffizienz eine zunehmende Rolle: Durch die Behandlungsfortschritte der vergangenen Jahre habe sich die Lebenserwartung von herzinsuffizienten Patienten deutlich verlängert, sodass zunehmend auch andere Erkrankungen als Morbiditäts- und Mortalitätsursachen infrage kämen. Krebs sei mittlerweile die häufigste nicht kardiale Todesursache für Patienten mit Herzinsuffizienz.
Für ihre Analyse im Design einer retrospektiven Kohortenstudie konnten die Autoren auf ein großes Patientenregister aus Hongkong zugreifen. Berücksichtigung fanden die Daten von 87.102 Patienten mit Herzinsuffizienz aus den Jahren 2003 bis 2015, von denen in diesem Zeitraum 36.176 mit einem Statin behandelt worden waren. Die Teilnehmer waren im Durchschnitt 76,5 Jahre alt und wurden über einen Zeitraum von 4,1 Jahren beobachtet, in dem insgesamt 11.052 (12,7 Prozent) von ihnen an Krebs erkrankten.
Diejenigen, die ein Statin einnahmen, hatten dabei verglichen mit denjenigen ohne Statin insgesamt ein 16 Prozent niedrigeres Erkrankungsrisiko (Hazard Ratio: 0,84). Je länger die Statin-Therapie dauerte, desto größer war dieser Effekt: Während eine Kurzzeitanwendung von drei Monaten bis zwei Jahren keinen Einfluss auf das Krebsrisiko hatte (HR 0,99), wirkte sich die Einnahme mit längerer Dauer umso stärker aus. Nach zwei bis vier Jahren Anwendungsdauer betrug die Risikoreduktion 18 Prozent (HR 0,82) und nach vier bis sechs Jahren sogar 22 Prozent (HR 0,87). Innerhalb von zehn Jahren starben von den Statin-Anwendern 3,8 Prozent an Krebs und von denjenigen ohne Statin-Therapie 5,2 Prozent.
Die Assoziationen zwischen der Statin-Anwendung und niedrigerem Krebserkrankungs- und -sterberisiko sind statistisch signifikant – aber sie sind eben aufgrund des Studiendesigns lediglich Assoziationen und keine Beweise für eine Kausalität. Dennoch kann die Studie für Ärzte bei der Auswahl der Therapie für ihre Patienten mit Herzinsuffizienz hilfreich sein, zumal die Autoren mögliche Störfaktoren weitestgehend herausgerechnet haben. So wurde etwa auch die Anwendung von Metformin und Acetylsalicylsäure (ASS) berücksichtigt, die häufig zusammen mit Statinen verordnet werden und von denen angenommen wird, dass sie ebenfalls krebspräventiv wirken.
Selbst wenn diese Studie als Rechtfertigung für eine Statin-Therapie bei Herzinsuffizienz allein wohl nicht ausreicht, wäre es sicherlich sinnvoll, sie zum Anlass für eine Überprüfung der Medikation des Patienten zu nehmen und gegebenenfalls ein Statin zu verordnen, wenn eine entsprechende Indikation vorliegt. Das gilt insbesondere, wenn es sich – wie bei der in der Studie untersuchten Population – um einen Patienten mit asiatischer Ethnie handelt.
Aus Sicht der Autoren war es »bemerkenswert«, wie viele Patienten trotz vorhandener Indikation kein Statin einnahmen, nämlich 23,3 Prozent derjenigen mit koronarer Herzkrankheit, 9 Prozent der Schlaganfall-Patienten und 5,2 Prozent derjenigen mit Dyslipidämie. Sie führen das vor allem darauf zurück, dass asiatische Menschen besonders häufig an Statin-bedingten Muskelbeschwerden leiden, was die Abbruchraten bei entsprechender Therapie in die Höhe treibt. Bei Europäern wird dagegen als Ursache für eine vermeintliche Statin-Unverträglichkeit meist ein Nocebo-Effekt vermutet.
Dass die beobachtete Risikoreduktion durch Statine in der Studie unabhängig von der ursprünglichen Indikation (Atherosklerose oder Dyslipidämie) und vom LDL-Spiegel war, spricht aus Sicht der Autoren dafür, dass hier die pleiotropen Effekte der Wirkstoffklasse zum Tragen kommen. Ob lipophile Statine dabei stärker wirksam waren als andere, wie frühere Ergebnisse gezeigt hatten, wurde nicht untersucht.