Neurologische Symptome Indiz für schweren Verlauf |
Daniela Hüttemann |
04.11.2020 11:56 Uhr |
Auch das Gehirn kann bei einer SARS-CoV-2-Infektion in Mitleidenschaft gezogen werden. Entwickelt der Patient schwere neurologische Symptome, ist das ein schlechtes Zeichen für den weiteren Verlauf. / Foto: Getty Images/Shidlovski
Im Oktober erschienen im Fachjournal »Neurology« die Ergebnisse einer prospektiven, multizentrischen Beobachungsstudie aus den Krankenhäusern im Raum New York. Darin war erfasst worden, wie häufig hospitalisierte Covid-19-Patienten schwere neurologische Symptome wie eine Enzephalopathie, einen Krampf- oder Schlaganfall oder eine hypoxische Hirnschädigung während der Covid-19-Erkrankung zeigten.
Insgesamt betraf solch ein Ereignis 13,5 Prozent der 4491 eingeschlossenen Patienten, war also durchaus häufig. Im Median traten die neurologischen Begleiterkrankungen zwei Tage nach Einsetzen erster Covid-19-Symptome wie Fieber, Durchfall und Erkältungserscheinungen auf, im Schnitt noch vor der Krankenhauseinweisung. »Eine Rate von schwerwiegenden neurologischen Komplikationen von 13 Prozent ist erschreckend hoch, letztlich bedeutet dies, dass jeder siebte bis achte Patient betroffen ist«, kommentiert Professor Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). »Für die Betroffenen ist dies eine erhebliche Belastung, weil die neurologischen Begleiterkrankungen eine klare Implikation für die Prognose haben, wie die vorliegende Arbeit zeigt.«
Die Forscher um Erstautorin Jennifer A. Frontera von der New York University Grossmann School of Medicine verglichen auch den Verlauf der Covid-19-Erkrankung zwischen Patienten mit und ohne schwere neurologische Symptome. Dabei stellten sie fest, dass vor allem Patienten mit bekannten Risikofaktoren für einen schweren Covid-19-Verlauf von solchen Ereignissen betroffen waren, darunter ältere und männliche Patienten sowie solche mit Bluthochdruck oder Diabetes und zudem Patienten, die intubiert wurden und einen höheren Score für ein Organversagen (SOFA) hatten. Doch auch nach Herausrechnen von Risikofaktoren wie Geschlecht, Alter, Hautfarbe, Intubation, Vorerkrankungen und Medikation blieb für diejenigen mit neurologischen Komplikationen eine um 38 Prozent höheres Risiko, im Krankenhaus zu sterben. Die Wahrscheinlichkeit, nach Hause entlassen werden zu können, sank um 28 Prozent.
»Die hier erfassten neurologischen Manifestationen sind ein Indikator für den Schweregrad von Covid-19«, betont Berlit. Mit zunehmendem Wissen um die Pathogenese dieser meist sekundär entstehenden neurologischen Krankheitsbilder werde eine gezielte Behandlung einzelner Manifestationen möglich. Daher sollten bei der intensivmedizinischen Versorgung schwer erkrankter Covid-19-Patienten Neurologen miteinbezogen werden, so die DGN mit Verweis auf die Leitlinie »Neurologische Manifestationen bei Covid-19«.
Als sekundärer Endpunkt wurde in der neuen Studie auch erhoben, welchen Einfluss der Zeitpunkt des Einsetzens neurologischer Beschwerden auf die Mortalität hat. Es zeigte sich, dass Patienten, bei denen sich neurologische Begleiterkrankungen erst nach der Aufnahme ins Krankenhaus einstellten, eine sehr viel schlechtere Prognose hatten als die, bei denen sie bereits vor oder zum Zeitpunkt der Aufnahme vorlagen.
Hieraus leitet Berlit eine weitere Erkenntnis ab: »Das bedeutet, dass wir bei hospitalisierten Covid-19-Patienten neurologische Screenings durchführen müssen, damit wir eine schwerwiegende neurologische Komplikation frühzeitig erkennen und behandeln können.« Gerade bei schwerstkranken, beatmeten Patienten könnten solche Diagnosen ansonsten übersehen werden und zur hohen Mortalität der Betroffenen beitragen.
Wie sich Geruchs- und Geschmacksstörungen, eines der häufigsten und typischsten Symptome für Covid-19, auf den Verlauf einer schweren Erkrankung auswirken, wurde in dieser Studie nicht erfasst. Sie treten nach bisherigen Erkenntnissen bei bis zu 85 Prozent der symptomatischen SARS-CoV-2-Infizierten auf. Zählt man sie mit, weisen laut DGN vier von fünf Patienten, die im Krankenhaus wegen Covid-19 behandelt werden, neurologische Begleitsymptome auf. Unklar ist noch, welche neurologischen Langzeitschäden eine Coronavirus-Erkrankung nach sich ziehen kann.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.