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Phase-III-Studie

Neues Alzheimer-Medikament bremst kognitiven Abbau

Mit dem Antikörper Lecanemab ist erstmals ein Alzheimer-Medikament in Sicht, das, eingesetzt im Frühstadium, in einer großen Studie den kognitiven Verfall abbremsen konnte. Die Hersteller Eisai und Biogen wollen bald die Zulassung beantragen. Ein Wundermittel ist es allerdings nicht.
Daniela Hüttemann
29.09.2022  10:30 Uhr

Lecanemab ist ein monoklonaler Antikörper, der sich gegen Amyloid-Beta-Protofibrillen richtet. Er bindet an diese neurotoxischen löslichen Aggregate und sorgt dafür, dass diese eliminiert werden. Sie stehen unter Verdacht, an der Pathogenese von Alzheimer, also dem Untergang von Nervenzellen, beteiligt zu sein. 

Entscheidend für die Zulassung ist jedoch, ob ein potenzielles Alzheimer-Medikament eine Verbesserung der Symptome bringt oder das Fortschreiten der Erkrankung verzögern kann. Das hatte beispielsweise Biogen für Aducanumab (Aduhelm™) nicht zeigen können, weshalb die US-Zulassung umstritten ist und die Europäische Arzneimittelagentur EMA diesen Antikörper bislang nicht zulassen wollte.

Bessere Chancen scheint nun Lecanemab zu haben. In der placebokontrollierten, randomisierten, doppelblinden Phase-III-Studie Clarity AD mit 1795 Alzheimer-Patienten im frühen Stadium, also mit milden kognitiven Einschränkungen (MCI) und bestätigter Amyloid-Pathologie, konnte es den primären Endpunkt erreichen, berichteten die Hersteller am Mittwoch. Gemessen wurde der Score Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes (CDR-SB). Dabei werden Patienten und deren Angehörige und Pflegekräfte zu kognitiven Leistungen und der Alltagbewältigung befragt, darunter zu Erinnerungsvermögen, Orientierung, Beurteilungskraft und Problemlösung, Hobbys und wie gut sie sich um sich selbst kümmern können.

Die Probanden erhielten über 18 Monate zweimal wöchentlich entweder Lecanemab 10 mg pro Kilogramm Körpergewicht oder Placebo als Infusion. Dann wurde der CDR-SB und als sekundäre Endpunkte weitere Scores erneut erhoben sowie ein PET-Scan des Gehirns gemacht. Den Herstellerangaben zufolge wurden alle Endpunkte mit hoher statistischer Signifikanz erreicht. Die detaillierten Ergebnisse sollen Ende November auf einem internationalen Alzheimer-Kongress präsentiert werden und eine Publikation in einem Peer-Review-Journal folgen.

Deutsche Experten verhalten optimistisch

Die wohl wichtigste Zahl: Gegenüber Placebo verlangsamte Lecanemab den Abbau der geistigen Fähigkeiten um 27 Prozent. Von einem Durchbruch in der Alzheimer-Forschung sprach Professor Dr. Frank Jessen, Forscher am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), gegenüber der Deutschen Presseagentur. Es sei »eine ordentliche Studie, in der die klinische Wirksamkeit sorgfältig geprüft wurde«.

Das Medikament hält die Erkrankung aber nicht ganz auf und wird wohl auch keine Option für bereits schwer demente Patienten sein. »Die Krankheit wird auch weiter voran schreiten, nur langsamer, was aber für die Patienten und Angehörigen von großer Bedeutung sein kann«, so Jessen. Unklar sei zum jetzigen Zeitpunkt auch, wie lange der berichtete Effekt anhalte. Das müssen weitere Beobachtungsstudien zeigen.

»Positiv ist zu vermerken, dass Nebenwirkungen wie zum Beispiel Hirnschwellungen weniger oft auftraten als in Studien zuvor mit vergleichbaren Wirkstoffen«, ergänzt Dr. Linda Thienpont, Leiterin Wissenschaft bei der Alzheimer Forschung Initiative. »Für eine umfassende Einschätzung müssen wir die detaillierten Studienergebnisse abwarten.« Für ein hochschnelle der Aktienkurse beider Unternehmen reichte die Pressemitteilung jedoch.

Klinische Relevanz bleibt unklar

Derweil rät die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) dazu, die Vollpublikation vor einer Einordnung abzuwarten. »Die Studie zeigt nach dieser Meldung, dass der Antikörper die Amyloid-Beta-Ablagerung im Gehirn vermindert und dass dies mit einer Progressionsverlangsamung bei Betroffenen in frühen Stadien der Erkrankung assoziiert ist«, fasst Professor Dr. Richard Dodel, Alzheimer-Experte der DGN, zusammen.

»Die Ergebnisse waren statistisch signifikant, jedoch ist zurzeit noch unklar, ob klinisch bzw. im Lebensalltag tatsächlich ein Nutzen für die Betroffenen zu spüren war. Statistisch signifikant bedeutet nicht automatisch klinisch relevant. Unter Alzheimer-Experten gilt üblicherweise ein Score-Unterschied von 0,5 Punkten als klinisch bedeutsam für die Betroffenen [2]. Dieser wurde mit 0,45 Punkten in der Studie nicht ganz erreicht.«

Zulassungsantrag Anfang 2023 geplant

Derweil kündigten Biogen und Eisai bereits an, nun mit den Zulassungsbehörden in den USA, Japan und auch der EU reden zu wollen. Ziel sei es, bis zum Ende des ersten Quartals 2023 den Zulassungsantrag einzureichen.

Weitere Studien laufen: Zum einen wird eine subkutane Applikationsmöglichkeit durch den Patienten oder seine Betreuenden entwickelt. Zum anderen wird der noch frühere Einsatz bei noch symptomlosen Patienten mit erhöhten Amyloid-Werten sowie bei einer dominant vererbten Alzheimer-Form mit früher Krankheitsentwicklung.

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