Neuer Ansatz zur Früherkennung von Krebs |
Annette Rößler |
08.12.2022 14:00 Uhr |
Aus der großen Masse von Gesunden zuverlässig diejenigen mit einer Krebserkrankung herauszufischen, ist die schwierige Aufgabe der Früherkennung. / Foto: Adobe Stock/H_Ko
Je früher eine Krebserkrankung entdeckt wird, desto besser ist die Prognose. Seit Jahren wird daher schon an der sogenannten Liquid Biopsy oder auch Flüssigbiopsie gefeilt, mit der Tumoren im Frühstadium anhand einer Blutprobe identifiziert werden sollen. Analysiert werden dabei im Blut schwimmende DNA-Schnipsel des Tumors, sogenannte circulating free DNA (cfDNA).
Sensitivität und Spezifität dieser Tests, also die Raten an richtig positiven beziehungsweise richtig negativen Ergebnissen, reichen aber noch nicht für den breiten Einsatz aus, zumal die Untersuchungsmethode sehr teuer ist. Hinzu kommt, dass manche Tumorarten, etwa bestimmte Hirntumore, gar keine cfDNA freisetzen, sodass sie mit der Methode auch nicht erkannt werden können.
Vor diesem Hintergrund schlagen jetzt Forscher um Dr. Sinisa Bratulic von der Technischen Universität Chalmers in Göteborg, Schweden, eine neue Gruppe von Biomarkern für die Flüssigbiopsie vor: Glykosaminoglykane (GAG). Dabei handelt es sich um saure Polysaccharide mit großer struktureller Diversität; Beispiele für GAG sind etwa Hyaluron, Chondroitinsulfat und Heparin. Zu den biologischen Funktionen der GAG zählen die Modulation der extrazellulären Matrix, der Zellproliferation und des Zellmetabolismus sowie die Immunsupervision.
Im Fachjournal »PNAS« berichten die Autoren, sie hätten festgestellt, dass sich die Profile der freien GAG im Blutplasma und im Urin bei Patienten mit einem Nierenzellkarzinom bereits in frühen Stadien der Erkrankung signifikant von denen bei Gesunden unterschieden. In einem nächsten Schritt hätten sie für insgesamt 14 Krebsarten spezifische sogenannte GAGome entwickelt und deren Treffsicherheit zur Krebserkennung anhand von 2064 Blut- und Urinproben von 1260 Krebspatienten und gesunden Kontrollen überprüft.
Die Autoren legten die Spezifität des Tests auf 95 Prozent fest; höchstens 5 Prozent falsch positive Testergebnisse waren also gestattet. Unter dieser Bedingung wurde Krebs im Frühstadium anhand der Blutproben mit einer Sensitivität von 41,6 Prozent erkannt, bei Hinzunahme der Urinproben stieg die Sensitivität auf 62,3 Prozent. Somit wurden etwa sechs von zehn (Blut) beziehungsweise vier von zehn (Blut und Urin) Personen, die eigentlich Krebs hatten, mit dem Test fälschlicherweise nicht erkannt. Die Lokalisation des Tumors zeigte der Test in 89 Prozent der Fälle korrekt an.
Eine Validation des Tests im Mausmodell und anhand von Proben aus einer niederländischen Blutbank bestätigte die Größenordnung der Ergebnisse. Unter Screening-Bedingungen mit einer geforderten Spezifität von ≥ 99 Prozent habe der Test Krebserkrankungen mit schlechter Prognose innerhalb der folgenden 18 Monate mit 43-prozentiger Sensitivität erkannt, berichtet die Gruppe. Alles in allem könne sich die GAGom-Analyse daher durchaus als kostengünstiger Biomarker für die Flüssigbiopsie eignen.
Bevor das Verfahren für ein Krebsscreening infrage kommen könnte, müsste es sich allerdings erst in verschiedenen Populationen unter Real-World-Bedingungen bewähren. Darauf weist Professor Dr. Almut Schulze vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg hin. Die Leiterin der Abteilung Tumor-Metabolismus und Microenvironment am DKFZ, die nicht an der Studie beteiligt war, hält die Ergebnisse der Kollegen aus Schweden für »ziemlich beeindruckend«, benennt aber auch einige Limitationen der Studie.
»Bestimmte Erkrankungen wie etwa das metabolische Syndrom dürften die Aussagekraft des Tests verfälschen, weil sich durch derlei Erkrankungen auch die GAG verändern und dann womöglich zu einem falsch positiven Test führen«, so Schulze. »Die Autoren schreiben weiterhin, dass die Sensitivität des Tests bereits bei der Validierung gesunken ist, und deuten an, dass zum Beispiel Patienten mit einer akuten Entzündung ausgeschlossen werden müssten«, ergänzt Professor Dr. Edgar Dahl, der an der RWTH Aachen die Arbeitsgruppe Molekulare Onkologie leitet.
Interessant an der GAGom-Analyse sei zwar, dass sie etwa fünf- bis zehnmal kostengünstiger sei als die cfDNA-Analyse. Derzeit hält Dahl Letztere aber für überlegen: »Nach meiner persönlichen Einschätzung hat die amerikanische Firma Grail mit ihrem Galleri-Test den Standard zur blutbasierten Krebsfrüherkennung gesetzt.« Dieser Test erkennt anhand einer Blutprobe per Flüssigbiopsie 50 verschiedene Krebsarten.