Neuentwicklung für die Krebstherapie |
Theo Dingermann |
02.03.2021 15:30 Uhr |
Die Forschung zu drei neu vorgestellten bispezifischen Antikörpern hat gerade erst – im Tiermodell – begonnen. Möglicherweise lässt sich das Konzept künftig für die Krebstherapie nutzbar machen. / Foto: Fotolia/lculig
Mit bispezifischen Antikörpern wird ein interessantes therapeutisches Konzept verfolgt, bei dem Antikörper oder Antikörperfragmente genutzt werden, um zwei zelluläre Strukturen in unmittelbare Nachbarschaft zueinander zu bringen. Zugelassene Vertreter dieser Wirkstoffgruppe sind Blinatumomab (Blincyto®) der Firma Amgen und Emicizumab (Hemlibra®) von Roche.
Blinatumomab bindet das Oberflächenprotein CD19 auf entarteten B-Zellen und an CD3, das von T- und B-Zellen exprimiert wird. Dadurch bringt man zytotoxische T-Zellen zusammen mit Tumorzellen, die den CD19-Marker exprimieren.
Emicizumab auf der anderen Seite übernimmt die Funktion von Faktor VIII in der Gerinnungskaskade. Dieser dient als Verbindungsbrücke zwischen Faktor IXa und Faktor X. Auf diese Weise wird der Faktor X in seine aktive Form Faktor Xa überführt. Somit lässt sich mit Emicizumab der Gerinnungsfaktor VIII ersetzen, was wichtig ist bei Hämophilie-Patienten, die hohe Konzentrationen an Inhibitoren gegen den Faktor VIII entwickeln.
Neu entwickelte bispezifische Antikörper haben nun in zwei Fällen zum ersten Mal ihre Wirksamkeit gegen bisher für eine Antikörpertherapie unzugängliche Tumorzellziele demonstriert. Sie werden in Publikationen in »Science« von einer Gruppe um Emily Han-Chung Hsiue und in »Science Translational Medicine« von Autoren um Suman Paul beschrieben. Die bispezifischen Antikörper binden ähnlich wie Blinatumomab gleichzeitig an Tumorantigene und T-Zellen. In Mäusetumormodellen und/oder Zellkulturexperimenten ließ sich zeigen, dass mithilfe dieser Antikörper Krebszellen eliminiert werden können, ohne gesunde Zellen zu schädigen.
Diese Ansätze ähneln vom Prinzip her einer Therapie mit CAR-T-Zellen: Auch durch CAR-T-Zellen werden T-Zellen an einen Tumor herangebracht. Dies geschieht durch einen »künstlichen T-Zell-Rezeptor«, der an ein Oberflächen-Protein des Tumors bindet. Im Unterschied dazu übernehmen bispezifische Antikörper die Vermittlerrolle der beiden Zelltypen. Dadurch erübrigt sich das aufwendige und teure Herstellungsverfahren von CAR-T-Zellen, bei dem dem Patienten T-Zellen entnommen werden, die im Labor gentechnisch verändert und dann reinfundiert werden.
Der von Han-Chung Hsiue und Kollegen beschriebene bispezifische Antikörper dient zur Reaktivierung von mutiertem p53, eines der häufigsten mutierten Tumorsuppressorgene, die bei menschlichen Krebserkrankungen bekannt sind. Bislang ist es noch nicht gelungen, dieses auf den ersten Blick ideale Target für eine Tumortherapie erfolgreich zu nutzen. Das liegt vor allem daran, dass es sehr viel schwieriger ist, mutierte Tumorsuppressorgene zu reaktivieren als krebsauslösende Gene zu deaktivieren.
Den Autoren der Studie gelang es, dieses Problem zu lösen, indem sie zunächst ein bestimmtes Fragment des mutierten Tumorsuppressorproteins identifizierten. Dieses Fragment musste so beschaffen sein, dass es zum einen den T-Zellen präsentiert wird. Zum anderen müssen Antikörper dieses Fragment spezifisch erkennen, ohne an das analoge Fragment des p53-Proteins aus nicht transformierten Zellen zu binden.
Den Antikörper mit dieser anspruchsvollen Spezifität wandelten die Forscher dann in ein bispezifisches Antikörperformat um, das neben dem tumorassoziierten p53-Fragment auch eine T-Zelle zu binden vermochte. In einem tumorspezifischen Mausmodell erwies sich dieser Antikörper nicht nur als hocheffektiv, sondern auch als hochspezifisch. Denn es gelang, die Effektivität dieses Antikörpers auch bei Tumoren zu zeigen, die nur sehr geringe Konzentrationen des p53-Neoantigens exprimieren.
Paul und Kollegen setzten dagegen bispezifische Antikörper ein, um bösartige T-Zellen zu behandeln. Die Herausforderung bestand auch hier darin, Leukämie-Zellen zu attackieren, ohne gleichzeitig gesunde T-Zellen zu schädigen.
Therapien, die breit auf B-Zell-Antigene abzielen und einen nahezu vollständigen Verlust sowohl gesunder als auch krebsartiger B-Zell-Populationen bewirken, sind bekanntlich bemerkenswert erfolgreich und werden zudem von den Patienten gut vertragen. Die Depletion aller T-Zellen hingegen würde zu einer gefährlichen Immunsuppression führen.
Die Autoren der Studie stellten nun die Hypothese auf, dass sich die β-Ketten der T-Zell-Rezeptoren als Zielstruktur für eine Immuntherapie mit Antikörpern eignen könnten, um bösartige T-Zellen selektiv zu eliminieren. Sie entwickelten bispezifische Antikörper, die entweder an die variable Region der β-Kette des T-Zell-Rezeptors 5 (TRBV5-5) oder an die analoge Region des T-Zell-Rezeptors 12 (TRBV12) binden. Dies sind zwei Varianten für die 30 β-Ketten, die auf bösartigen T-Zellen vorhanden sein können. Aus diesem Grund könnte man erwarten, so die Hypothese, dass Antikörper dieser sehr speziellen Spezifität an nicht transformierte T-Zellen, die eine der anderen 29 variablen β-Ketten exprimieren, nicht binden sollten.
Tatsächlich ließ sich diese Hypothese in Zelllinien von Patienten mit T-Zell-Lymphomen und Leukämien beweisen. Die bispezifischen Antikörper töteten sehr effektiv bösartige T-Zellen ab, ohne gesunde T-Zellen anzugreifen. Auch in spezifischen Mausmodellen töteten die Antikörper bösartiger T-Zellen, ohne gesunde T-Zellen zu attackieren.
In einem dritten Ansatz, der nun in »Science Immunology« publiziert wurde, modifizierten Jacqueline Douglass und Kollegen bispezifische Antikörper, um in Kultur isolierte Tumorzellen zu erkennen und abzutöten, die extrem geringe Mengen an krebsauslösenden mutierten RAS-Proteinen auf ihrer Oberfläche tragen.
Hier handelt es sich um eine Verbesserung eines Konzepts, das experimentell schon seine Machbarkeit bewiesen hatte. Der Erfolg dieser Behandlungsstrategie wird allerdings momentan noch durch die Tatsache eingeschränkt, dass einige der mutierten RAS-Proteine nur in sehr geringen Mengen auf Tumorzellen exprimiert werden. Dies macht es für Antikörper sehr schwer, sie zu erkennen.
Um dieses Problem zu lösen, setzte die Gruppe um Douglass die Phage Display-Methode ein, um in einer menschlichen Antikörperbibliothek nach spezifischen Antikörpern zu suchen, die ein mutiertes RAS-Protein erkennen. Dann entwickelten die Forscher sogenannte mutationsassoziierte Neoantigen-gerichtete Antikörper (MANAbodies). Mit diesen MANAbodies modifizierten sie einen optimierten T-Zell-angreifenden bispezifischen Antikörper.
Die Forscher konnten dann zeigen, dass dieser Antikörper Tumorzellen erkennt und abtötet, auch wenn diese nur extrem geringe Mengen von mutierten RAS-Proteinen auf der Zelloberfläche exprimieren. Gesunde Zellen wurden nicht erkannt.
Obwohl alle drei Studien das Potenzial haben, bispezifische Antikörper näher an die klinische Anwendung heranzubringen, sind noch etliche Probleme zu lösen. Zum Beispiel handelt es sich bei einigen dieser Moleküle um kleinere Fragmente von Antikörpern, bei denen mit einer schnellen Elimination zu rechnen ist. Hier werden dann pharmazeutische Technologen gefragt sein, die Lösungen erarbeiten müssen, um die biologische Halbwertszeit dieser interessanten neuen Wirkstoffe zu optimieren.